Geschlechtergerechtigkeit

Mindestens 257 Jahre zu spät

Die Gender Pay Gap wird noch bis 2270 bestehen, sagen die Vereinten Nationen. Dabei ließe sich mit mehr Transparenz vieles schneller erreichen.

Mindestens 257 Jahre zu spät

Wir werden die Gleichstellung von Frau und Mann nicht erleben. Und damit ist nicht einmal die vollständige Gleichstellung in Job, Familie und Gesellschaft gemeint. Allein eine gleiche Bezahlung zu erreichen, wird noch dauern. Die Vereinten Nationen haben berechnet, dass es bei derzeitigem Tempo wohl noch 257 Jahre braucht, um die sogenannte Gender Pay Gap global zu schließen. Das ist zu spät.

Heute ist Weltfrauentag, und wie jedes Jahr – dieses eine Mal im Jahr – überschlagen sich Unternehmen und Institutionen mit vermeintlichen Erfolgsmeldungen, was sie im vergangenen Jahr Großes für die Gleichstellung der Frauen geleistet haben. Von „Powerfrauen“ ist die Rede, von Fortschritt und Meilensteinen. Gleichzeitig werden Dystopien entworfen, was passiert, wenn wir nicht handeln. Immerhin steht nicht zuletzt unser Lebensstandard auf dem Spiel – und wenn es um Geld und Wohlstand geht, verstehen die meisten schließlich keinen Spaß.

Und dann passiert: nichts. Zumindest nicht bis zum nächsten Weltfrauentag. Dabei könnten wir 364 Tage mehr für die Gleichstellung tun. Jeder Einzelne, aber auch Politik und Unternehmen. Doch selbst das vermeintlich fortschrittliche Indus­trieland Deutschland ist noch Lichtjahre entfernt von der Erreichung dieses universellen Menschenrechtsanliegens.

Das beweisen zahlreiche Statistiken: Noch immer verdienen Frauen im Durchschnitt weniger als Männer. Noch immer bekleiden Frauen nur ein Drittel der Führungspositionen – obwohl sie fast die Hälfte der Erwerbstätigen stellen. Noch immer verrichten Frauen deutlich mehr unbezahlte Arbeit – wie die Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen.

Fakt ist: Deutschland wird es wohl nicht schaffen, die Gender Pay Gap bis 2030 zu schließen. Die Regierung hat das Ziel ausgegeben, die Lohnlücke auf 10% zu reduzieren – von aktuell 18%. Das ist wenig ambitioniert. Mit einer umfassenden Gleichstellungspolitik und der konsequenten Ahndung jedweder Diskriminierung ließe sich mehr erreichen. Und vor allem: mit Transparenz. Wenn über Gehalt, Arbeitsbelastung in Beruf und Familie und Diskriminierung gesprochen wird, kann an mehr Stellschrauben offen gedreht werden.

So eine Stellschraube ist etwa die Berufsorientierung: Auch in zukunftsträchtigen Berufen mit guter Bezahlung fehlen Fachkräfte. Junge Frauen sollten sich Klimatechnik, Umwelttechnik, IT und Co ebenso zutrauen wie ihre männlichen Altersgenossen – zumal sie während der Schulzeit in den naturwissenschaftlichen Fächern ohnehin vergleichbare Ergebnisse erzielen. Ohne mehr Frauen in diesen Berufen werden wir in vielen Jahren noch über mangelnde Gleichstellung und fehlende Fachkräfte jammern.

Und dann wäre da noch der Einzelne: Geschlechtergerechtigkeit beginnt im Kopf. Da ist sie aber noch nicht verankert. In schauderhaften Briefings zum Weltfrauentag etwa heißt es, erfolgreiche Aktienanlage sei „keine Raketenwissenschaft, sondern einfacher, als Sie denken“. Wenn es keine Raketenwissenschaft ist, kann es eine Frau also auch schaffen?  Bleibt zu hoffen, dass sich zumindest hier bis zum nächsten Weltfrauentag etwas tut. Denn wer das liest, hält die 257-Jahre-Prognose der UN noch für optimistisch.