Brüssel

Aufstand in der EU gegen Lügen und Desinformation

Die EU-Institutionen scheinen fest entschlossen, den Desinformationskampagnen von Ländern wie Russland oder China etwas entgegenzusetzen. Der Krieg hat wohl vielen die Augen geöffnet.

Aufstand in der EU gegen Lügen und Desinformation

Viele Menschen haben persönlich wohl erstmals während der Pandemie die Erfahrung gemacht, was Verschwörungstheorien und ge­zielte Desinformation anrichten können. Natürlich war auch schon vorher über ausländische staatliche Einflussnahme insbesondere aus Russland und China diskutiert worden. Natürlich wusste man von den Troll-Fabriken, die Meinungsmache betreiben, um den sozialen Zusammenhalt in westlichen Gesellschaften und das Vertrauen in demokratische Strukturen zu schwächen. Natürlich hatte man schon von Social-Media-Kampagnen und ausländischer Wahlbeeinflussung gehört. Aber bisher war in der EU weder das Bewusstsein für die konkreten Gefahren besonders groß gewesen noch die Resilienz gegenüber diesen Gefahren, wie die grüne EU-Abgeordnete Viola von Cramon-Taubadel bemerkte.

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Der Krieg scheint vielen in Brüssel die Augen geöffnet zu haben. Die EU-Institutionen zeigen sich in diesen Tagen auf jeden Fall entschlossen, den „toxischen Lügen“ (Ursula von der Leyen), die aktuell von Moskau verbreitet werden, schnell und effektiv etwas entge­genzusetzen. „Die vom Kreml or­chestrierten systematischen Informationsmanipulationen und Desinformationen spielen bei dem russischen Angriff auf die Ukraine eine maßgebliche Rolle“, stellte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell klar. Dies sei auch eine erhebliche und unmittelbare Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der EU. In einem ersten Schritt beschlossen die Mitgliedstaaten daher am Mittwoch, die beiden Kreml-Sprachrohre „Russia Today“ und „Sputnik“ in der gesamten EU zu verbieten. Begründet wird dies damit, dass beide „Medien“ mit Desinformationskampagnen und manipulierten Informationen ein Instrument der Kriegsführung von Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine seien. Um sich nicht dem Vorwurf der Zensur und der Einschränkung von Meinungsfreiheit aussetzen zu müssen, wurde das Verbot als Teil der Sanktionen gegen Russland deklariert und zunächst zeitlich befristet eingeführt.

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Im EU-Parlament beschäftigt sich bereits seit eineinhalb Jahren ein Sonderausschuss mit dem Thema Desinformation und ausländische Einflussnahme. Ein umfassender Bericht mit vielen Handlungsempfehlungen liegt jetzt auf dem Tisch. In der nächsten Woche soll das Plenum darüber abstimmen – eine breite Mehrheit ist mehr als sicher. „Der Zeitpunkt könnte nicht aktueller sein“, sagt der österreichische Sozialdemokrat Andreas Schieder, einer der federführenden Abgeordneten bei dem Thema. Der Bericht zeigt, wie insbesondere Russland und China Anti-EU-Propaganda betreiben – beispielsweise in den Staaten des Westbalkans, die in der EU ja als Beitrittskandidaten gelten.

Es wird aber auch die unheilige Allianz beschrieben, die viele der rechtsextremen Parteien in Europa mit Russland eingegangen sind. Und der Bericht nennt konkrete Namen von EU-Spitzenpolitikern, die sich insbesondere von Russland und China, aber auch Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten vor den Karren spannen lassen, um deren Narrative zu verbreiten: Gerhard Schröder wird erwähnt, der ehemalige finnische Regierungschef Paavo Lipponen, die ehemalige österreichische Außenministerin Karin Kneissl, Frankreichs Ex-Premier François Fillon und andere.

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„Die aktuelle Selbstregulierung in der EU funktioniert nicht gut“, räumt auch die CDU-Europaabgeordnete Sabine Verheyen ein. Das Parlament fordert daher eine neue Taskforce mit ausreichend Personal, die in der EU-Kommission angesiedelt wird, um den Fake News in den Social-Media-Blasen etwas entgegenzuhalten. Auch soll ein EU-weiter Sanktionskatalog eingeführt werden. In Tschechien ist man da übrigens schon einen Schritt weiter: Behörden haben in den letzten Tagen bereits gegen neun Personen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, weil sie in den sozialen Medien den russischen Angriffskrieg gebilligt hatten. 200 weitere Fälle werden geprüft. Es drohen bis zu drei Jahre Gefängnis.