LEITARTIKEL

Ameise auf Börsenspaziergang

Bald ist es so weit. Chinas größte Fintech-Adresse Ant Financial hockt schon in den Startlöchern für einen geschichtsträchtigen Börsengang der Superlative. Der vom legendären Technologie-Entrepreneur und Alibaba-Gründer Jack Ma aufgezogene...

Ameise auf Börsenspaziergang

Bald ist es so weit. Chinas größte Fintech-Adresse Ant Financial hockt schon in den Startlöchern für einen geschichtsträchtigen Börsengang der Superlative. Der vom legendären Technologie-Entrepreneur und Alibaba-Gründer Jack Ma aufgezogene Zahlungssystembetreiber und Finanzdienstleister ist über Jahre als weltgrößtes Start-up-Unternehmen ohne Börsenlisting behutsam mit einer Reihe von Finanzierungsrunden weiter angefüttert worden. Nun aber bietet sich für Ma und die externen Geldgeber eine perfekte Aktienmarktkonstellation, um das Werk zu vollbringen.Es ist kein Geheimnis, dass Jack Ma, der im September 2014 mit dem E-Commerce-Riesen Alibaba das damals weltgrößte Initial Public Offering (IPO) über gut 25 Mrd. Dollar in New York stemmte, das Kunststück nun mit einem dualen Listing in Hongkong und Schanghai wiederholt sehen möchte. Dazu bedarf es einer noch gewaltigeren Kapitalaufnahme, denn mittlerweile hat sich der saudische Ölkonzern Aramco mit einem 29,4 Mrd. schweren IPO die Krone aufgesetzt. Die Marktteilnehmer sind sich einig, dass Ant, deren chinesischer Name in Übersetzung auf Ameisen-Finanzdienste hinausläuft, die 30 Mrd. Dollar Marke anpeilt. Man verlässt sich auf die Begeisterung der chinesischen Kleinanleger, die mit der neuen IPO-Bühne Star Market in Schanghai erstmals gebührend an IPO von großen heimischen Technologiefirmen partizipieren können. Dies dürfte dafür sorgen, dass sich Ant Financial im Zweifelsfall eine schwindelerregend hohe Bewertung leisten kann, ohne die Nachfrage nach dem neuen Titel abzuwürgen.Ein rauschendes Debüt scheint also programmiert. Interessant jedoch wird die Frage, ob Ant in seinem weiteren Börsendasein eher als Technologieriese mit scheinbar unbegrenztem Wachstumspotenzial wahrgenommen wird oder aber als ein Zahlungsdienstleister mit angehängten Plattformen für Online-Kredite und Geldmarktfondsverwaltung. Als solcher nämlich steht Ant vor einigen Expansionshindernissen und dürfte Mühe haben, über seinen Heimatmarkt China hinaus zu wachsen.Ants Geschäftsmodell lässt in gewisser Weise beide Interpretationen zu. Ant hat sich im Tandem mit der Schwester Alibaba dazu aufgeschwungen, in zahlreiche andere Technologiefirmen zu investieren und sich eine Präsenz im heißen Markt für Online-Konsumdienste, in der Bandbreite von Essenslieferungen bis zum Videosharing, aufzubauen. Hier sind in der Tat noch zahlreiche Wachstumschancen abzugreifen. Im eigentlichen Kerngeschäft mit Zahlungsdiensten auf Basis des auch für die Abwicklung des Alibaba-Online-Handels verwendeten Zahlungssystems Alipay aber bauen sich einige Hürden auf.Ant hat bereits Ambitionen gezeigt, auf dem US-Markt zu landen, scheiterte aber mit der geplanten Übernahme des Zahlungsdienstleisters Moneygram am Widerstand der US-Regierung, die den Zugang einer chinesischen Adresse zu US-Zahlungsverkehrsdaten als ein Sicherheitsrisiko einstuft. Der US-Markt bleibt also bis auf weiteres Terra non grata, und auch Expansionschancen im bevölkerungsreichen südostasiatischen Raum und Indien werden angesichts wachsender politischer Spannungen Chinas mit benachbarten Ländern zu einem eher vagen Hoffnungswert.In der Heimat wiederum stößt Ant mit seinem auf Alipay-Restguthaben fußenden Geldmarktfonds allein schon aus regulatorischen Gründen an Wachstumsgrenzen. Im mittlerweile für fast 40 % der Konzernumsätze aufkommende Geschäft mit Online-Krediten an Konsumenten und Kleinunternehmer, das Alipay in Partnerschaft mit anderen Kreditinstituten betreibt, stellt sich die Frage nach wachsenden Kreditrisiken in Coronazeiten. Und dann ist da noch der Elefant im Raum, nämlich die Pläne der chinesischen Zentralbank, eine digitale Version des Yuan zu verbreiten. Gegenwärtig ist noch völlig offen, ob dies nicht auf ein Zahlungssystem hinausläuft, das manche Funktionen von Alipay mehr oder weniger überflüssig machen könnte.Auch wenn die Analysten angesichts des opaken Geschäftsmodells und der äußerst dürftigen Einblicke in die Gewinnentwicklung einzelner Sparten Mühe haben, das Unternehmen zu bewerten, wird die Aktie in der jetzigen Marktphase zweifelsohne einen Senkrechtstarter an den chinesischen Börsen abgeben. Danach wird man aber bohrende Fragen stellen dürfen, was eine börsennotierte Ant Financial so alles mit seiner dann immensen Kriegskasse anzustellen gedenkt, um den weiteren Wachstumspfad abzusichern. ——Von Norbert HellmannDie Tech-Hausse bietet dem Börsengang von Ant Financial einen Spazierweg. Danach wird es schwer, Wachstumschancen zu realisieren. ——