Grüner Kulturkampf

Nachhaltigkeit als Wettbewerbsjoker für Europa

Nachhaltigkeit als Wettbewerbsjoker für Europa

ESG als Wettbewerbsjoker für Europas Finanzbranche

Während die USA das Nachhaltigkeit politisieren, wächst Europa in die Rolle des verlässlichen Standorts für nachhaltiges, langfristiges Kapital. Daraus könnte der Finanzplatz einen Vorsprung formen, wenn die Branche ihn nutzt.

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Nachhaltigkeit: Europas Wettbewerbsjoker

Der Kampf um ESG spaltet die Finanzmärkte und eröffnet Europa zugleich neue Chancen. Während in den USA Anti-ESG-Gesetze, politisierte Debatten und der Rückzug von Aufsehern für Unsicherheit sorgen, baut Europa seine Regulierung zu einer Infrastruktur für nachhaltige Finanzströme aus. Für Banken und Asset Manager diesseits des Atlantiks kann daraus ein Standortvorteil entstehen, sofern sie die Komplexität beherrschen und Nachhaltigkeit konsequent ins Kerngeschäft integrieren.

In den Vereinigten Staaten hat sich ESG in den vergangenen Jahren zum Kulturkampf entwickelt. Mehrere Bundesstaaten sanktionieren Institute mit Klimapositionierung, Investoren stimmen seltener für ESG-Anträge, grüne Fonds sehen Mittelabflüsse und viele Unternehmen kommunizieren Nachhaltigkeitsziele nur noch vorsichtig. Zugleich haben Aufseher Leitlinien zu Klimarisiken zurückgenommen.

Größter Markt für ESG-Fonds

Politischer Druck und sehr reale Klima- und Übergangsrisiken stehen sich in den USA gegenüber – ein Zangenangriff, der Risiken nicht beseitigt, sondern eher schlechter messbar macht. Europa hat sich für einen anderen Weg entschieden. EU-Taxonomie, Offenlegungsverordnung SFDR und CSRD spannen ein dichtes Regelwerk über Produkte, Risiken und Berichte, flankiert von Lieferketten-Vorgaben wie der CSDDD.

Die EZB führt Klimastresstests durch, Banken müssen Szenarien durchrechnen und die Ergebnisse ins Risikomanagement einbauen. Europa ist damit der größte Markt für nachhaltige Fonds und ESG-Anleihen – auch wenn schwache Kurse, die Zinswende und offene Detailfragen zuletzt zu Nettoabflüssen geführt haben.

„Die Regulierung hat dazu geführt, dass sich sehr viele Unternehmen mit Fragen auseinandergesetzt haben, die sie so vorher nicht gestellt hätten“, sagt Andreas Gruber, ESG-Verantwortlicher bei der DKB. Nachhaltigkeit sei heute in Geschäftsstrategien, Governance und Vergütungssystemen verankert. „Dadurch hat sich der Horizont erweitert, mit Blick auf Geschäftsmodell, Wettbewerb, Umweltschäden und dieses vielbeschworene Thema Resilienz.“

Sicherer ESG-Hafen

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich die Polarisierung in den USA in einen Standortvorteil für Europa übersetzen lässt. „Der politische Kulturkampf um ESG in den USA eröffnet europäischen Banken und auch dem Finanzplatz Frankfurt eine paradoxe Chance, nämlich als ‚Safe Harbor‘ für rationales Kapital“, sagt Daniel Sailer, Leiter des Sustainable Investment bei Metzler Asset Management. Während US-Marktteilnehmer verunsichert seien, biete Europa „durch klare Rahmenwerke und umfassende Nachhaltigkeitsberichterstattung die notwendige Planungssicherheit“. Entscheidend sei das europäische Verständnis von Nachhaltigkeit: „Sie ist keine ‚grüne Moral‘, sondern ökonomische Weitsicht.“

Regeln geben Sicherheit

Für Lennart Stackebrandt, Abteilungsleiter Nachhaltigkeit bei der DZ Bank, ist die regulatorische Architektur dabei ein wichtiger Punkt. „Instrumente wie Taxonomie, CSRD und SFDR erhöhen Transparenz und Vergleichbarkeit. Ohne regulatorische Stabilität entsteht keine Planungssicherheit für Investitionen“, betont er. Die europäische Wirtschaft investiere bereits massiv in GreenTech, ClimateTech und Kreislaufwirtschaft, deutsche Anbieter sauberer Technologien seien international gut positioniert.

Operative Seite als Nadelöhr

Auch andere Stimmen sehen die operative Seite als Nadelöhr. „In Europa sehen wir bei der ESG-Regulierung derzeit einiges im Fluss, die Entwicklungen sind also generell dynamisch“, sagt Jörg Eigendorf, Chief Sustainability Officer der Deutschen Bank. Für Europa ergebe sich gleichzeitig die Chance, zusätzliche Nachhaltigkeitsexpertise an Standorten und Finanzplätzen aufzubauen – der Beratungsbedarf sei vorhanden.

Torsten Jäger, Leiter Sustainable Finance beim Bundesverband deutscher Banken, erinnert daran, dass Europa mit Aktionsplan und Green Deal eine Vorreiterrolle eingenommen habe. „Damit dieser Vorsprung wirkt, braucht es in der EU allerdings deutlich weniger Komplexität und Detailtiefe in der Regulierung“, fordert er. Nur dann könne aus der regulatorischen Dichte ein echter Wettbewerbsvorteil werden.

Genug ESG-Experten

Die Diskussion um einen möglichen Abzug von Mandaten und Fachkräften aus den USA nach Europa wird von Praktikern nüchtern betrachtet. Gruber verweist darauf, dass Europa längst eine starke eigene Expertise aufgebaut habe – mit Studiengängen, spezialisierten Ausbildungswegen und vielen gut ausgebildeten Fachkräften. „Wir sind nicht darauf angewiesen, dass uns die Fachkräfte aus den USA zulaufen“, sagt er. Viele Beobachter betonen, eine Abwanderung von ESG-Expertise aus den USA sei nicht erkennbar. Und

Nachhaltigkeitsexpertin Silke Stremlau spricht von einem Markt, der schon lange ein Wachstumsfeld sei: „Fakt ist ja, dass der europäische Markt in den letzten Jahren der Wachstumsmarkt für nachhaltige Finanzierungen, nachhaltiges Kreditgeschäft und auch Impact Investment war. Wir haben hier eine weitaus größere Tiefe an Expertise und Know-how.“

Vorteile für China

Gleichzeitig bleibt der globale Wettbewerb nicht auf die Achse USA–Europa beschränkt. China verschafft sich mit niedrigeren Standards und weniger strengen ESG-Auflagen spürbare Vorteile, etwa bei Infrastruktur- und Rohstoffprojekten im Globalen Süden – ein Spannungsfeld zwischen hohen Ansprüchen und harter Entwicklungsrealität.

Für Europa erhöht das den Druck, hohe Nachhaltigkeitsstandards mit Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden – über Technologieführerschaft, Effizienz und verlässliche Partnerschaften.

Vor diesem Hintergrund warnt Kristina Jeromin, Expertin für Transformationsfinanzierung und Co-Leiterin der Initiative „Made in Germany 2030“, vor falschen Alternativen. „Europa hat die Chance, ESG als Kern der treuhänderischen Pflicht zu begreifen: Wir können ökologische, soziale und Governance-Risiken nicht einfach ausblenden“, sagt sie. Wer Kapital in die reale Wertschöpfung der Zukunft lenke, vermeide Stranded Assets und schütze Wettbewerbsfähigkeit. Politische Mehrheiten, die wie in den USA den Kurs ständig zurückdrehten und alten Geschäftsmodellen künstlich Leben einhauchten, erzeugten Unsicherheit und erwiesen ihren Unternehmen „am Ende einen Bärendienst“.

Das Bild bleibt ambivalent: Die USA senden Anti-ESG-Signale während Europa hat eine komplexe Regulierung geschaffen, die Transparenz und Planungssicherheit bietet. Ob daraus für die europäische Finanzbranche ein Standortvorteil wird, hängt weniger von symbolischen ESG-Bekenntnissen ab als von der Fähigkeit, Kapital in zukunftsfähige Geschäftsmodelle zu lenken und die Regeln praxistauglich auszugestalten.