„Im Retailbereich liegt ESG gerade im Koma“
„Im Retailbereich liegt ESG gerade im Koma“
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Zehn Jahre FNG‑Siegel – ein Meilenstein für nachhaltige Geldanlagen. Wenn Roland Kölsch darüber spricht, klingt es nicht nach Schlagworten. Seit fast zwei Jahrzehnten widmet sich der gelernte Portfoliomanager einer Finanzwelt, die nicht nur Rendite, sondern auch Verantwortung kennt. Sein Weg führte vom klassischen Bankbetrieb in eine Branche im Wandel, und das Siegel steht heute für einen zentralen ESG‑Qualitätsstandard. Das unabhängige Gütezeichen gibt es auf Antrag für nachhaltige Publikumsfonds im deutschsprachigen Raum. Es beurteilt Fonds jährlich nach definierten Transparenz‑, Prozess‑ und Wirkungskriterien und vergibt bis zu drei Sterne.
Start mit klassischer Bankausbildung
Seine Karriere begann der 50-Jährige 1995 mit einer Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank. Parallel zum Studium an der Hochschule für Bankwirtschaft Frankfurt (heute Frankfurt School of Finance) sammelte Kölsch erste Erfahrungen im Portfoliomanagement. Doch nicht die klassische Karriere reizte ihn, sondern das größere Ganze.
Nach Stationen im institutionellen Asset Management – unter anderem bei der Deutschen Asset Management – führte ihn ein Sabbatjahr 2004 zurück an das elterliche Weingut an der Mosel. 2005 wechselte Kölsch zu Dexia Asset Management in Brüssel. Dort stieg er als Fondsmanager in die damals noch junge Welt der nachhaltigen Investments ein. Es folgten Stationen bei LGT Capital Management sowie als Leiter Asset Management der Alternativen Bank Schweiz.
Siegel ist kein Vertriebshebel
2017 übernahm Kölsch die Geschäftsführung der QNG, einer Tochter des Fachverbands Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG). Kernaufgabe: die Verantwortung für das FNG‑Siegel. „Das FNG‑Siegel war nie als großer Vertriebshebel gedacht“, betont Kölsch. „Es ging darum, einen nachvollziehbaren, wissenschaftlich fundierten Qualitätsrahmen zu schaffen – und das ist gelungen.“
Allerdings blieb das Siegel nicht frei von Herausforderungen. Interne Differenzen im Verband führten 2021/22 zu einem Reformprozess. Seit 2024 liegt die Verantwortung beim unabhängigen Verein F.I.R.S.T., während die Prüfung von einem universitären Forschungsinstitut durchgeführt wird. Kölsch begleitete diesen Übergang und übernahm 2025 die Geschäftsführung. F.I.R.S.T. – das Kürzel steht für „Finance, Impact, Research, Sustainability & Transparency“ – wurde 2021 gegründet, um Forschung, Transparenz und Qualitätsstandards im Bereich nachhaltiger Geldanlagen zu fördern. Kölsch verantwortet dort nun die strategische Weiterentwicklung von Standards und Labels wie des FNG‑Siegels – ein Rollenwechsel mit Signalwirkung für die Branche.
Transparenz, Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit
„Nicht jeder Asset Manager braucht das Siegel“, sagt Kölsch. „Manche institutionelle Investoren nutzen eigene Fragebögen oder Bewertungslogiken.“ Dennoch habe das FNG‑Siegel seine Relevanz behalten – gerade, weil es mehr ist als ein ESG‑Stempel. Es liefert Transparenz, Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit – Werte, die in einer aufgeheizten Debatte um Greenwashing an Bedeutung gewinnen.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Branche gewandelt. Nach einem Boom gab es insbesondere in den USA zuletzt Gegenwind für grüne Investments. In Europa ist das Bild gemischt. „Bei institutionellen Investoren sehen wir keine Abflüsse, keine Mandatskündigungen – da ist ESG weiterhin gesetzt“, sagt Kölsch heute. Gleichwohl räumt er ein: „Im Retailbereich ist das Thema gerade eher im Koma. Einige Fondsplattformen sagen ganz offen: Bleibt mir weg mit dem ESG‑Kram.“ Der Grund: regulatorische Komplexität und ein gewisser Frust im Vertrieb.
Rückschläge schrecken Roland Kölsch nicht. Ihm geht es um Fachlichkeit, Ausdauer und die Fähigkeit, Brücken zu schlagen – zwischen Wissenschaft und Markt, Idealismus und Machbarkeit. In Fachgruppen der Bundesregierung, bei EU‑Initiativen oder in Hochschulformaten bringt er seine Erfahrung ein. Der nachhaltige Umbau der Finanzwirtschaft ist für ihn ein langfristiges Projekt.