„Alle sind jetzt erstmal geerdet“
„Alle sind jetzt erstmal geerdet“
Durchwachsene Zwischenbilanz der Berichtssaison – Vor allem die vielen gesenkten Ausblicke enttäuschen – Quartalszahlen treffen oft Erwartungen
Diese Berichtssaison hat es in sich: Zollstreitigkeiten, Konjunktursorgen und reihenweise Unternehmen, die vor diesem Hintergrund ihre Erwartungen ans Gesamtjahr senken – und das ausgerechnet in einigen von Deutschlands Vorzeigebranchen. Doch lief es bislang wirklich so schlecht? Analysten zeichnen ein differenzierteres Bild.
Von Werner Rüppel und
Daniel Schnettler, Frankfurt
Die Berichtssaison zum zweiten Quartal hatte noch gar nicht richtig angefangen, da hagelte es schlechte Nachrichten: Mit BASF, Covestro und Brenntag kassierten gleich drei Schwergewichte der Chemiebranche ihre Jahresprognosen. In der Stahlindustrie schockte Salzgitter die Anleger mit einer Gewinnwarnung. Auch die Autohersteller mussten reihenweise zurückrudern. Software-Größe SAP wiederum verfehlte die hohen Erwartungen.
Kurzzeitig schien es so, als ob der von US-Präsident Donald Trump geschürte Zollkonflikt, die trüben Konjunkturaussichten und hausgemachte Probleme alles überschatten würden. Doch ganz so schwarz sieht es zur Halbzeit der Bilanzsaison nicht aus. Es gibt durchaus weiß – und viel grau, wie die von der Börsen-Zeitung befragten Analysten sagen.
„Die Bilanzsaison bietet eine große Bandbreite“, sagt Pascal Spano, Leiter des Researchs beim Bankhaus Metzler. „Wir haben viele Prognosesenkungen gesehen und viele Enttäuschungen erlebt.“ Dabei habe das Jahr gut begonnen: mit einer neuen Regierung und einem Konjunkturpakt. „Aber die Transmission in die Wirtschaft dauert einfach. In den Quartalszahlen sehen wir davon jedenfalls noch wenig, höchstens in den Ausblicken einzelner Unternehmen.“ Dagegen habe das Zollthema „hart durchgeschlagen.“
Unterschiedliche Einschätzungen
„Alle sind jetzt erstmal geerdet“, sagt Spano. „Wir haben eine neue Nulllinie gefunden. Die Gewinnschätzungen sind deutlich zurückgekommen, die Anpassungsprozesse haben stattgefunden.“
Weniger trübe schätzt die Helaba die Lage ein – zumindest mit Blick auf den Dax. „Bislang haben 16 von 40 Unternehmen Zahlen vorgelegt. Die Gewinnschätzungen wurden in 64% der Fälle übertroffen, in 36% verfehlt“, erklärt Helaba-Aktienstratege Markus Reinwand. „Auf Indexebene liegen die Ergebnisse damit bislang im Rahmen der Erwartungen. Entsprechend sehen wir derzeit keinen Revisionsbedarf.“
LBBW erkennt ein Muster
Die Experten der LBBW sehen das ähnlich. Sie machen aber noch eine zweite, gegenläufige Strömung aus: „Mit den berichteten Zahlen konnte die Hälfte der Unternehmen positiv überraschen, negative Überraschungen gab es wenige“, sagt Berndt Fernow, Leiter Research. „Bei den Ausblicken verhält es sich genau umgekehrt. Fast die Hälfte der Firmen nahm ihre Ausblicke zurück.“ Hier seien insbesondere die Autowerte betroffen gewesen.
Überdies hatte einzelne Unternehmen ihren Ausblick nicht wie erwartet erhöht, sondern lediglich beibehalten, namentlich SAP und Adidas. „Fazit also: ausgesprochen ambivalent, anständige Zahlen, aber enttäuschende Ausblicke“, sagt Fernow. „Auf unsere aggregierten Gewinnschätzungen haben die neuen Zahlen bislang noch nicht durchgeschlagen. Der errechnete Dax-Gewinn verringerte sich um weniger als 0,5%.“ Allerdings fehlten hier noch einige große Werte.
So legen in dieser Woche unter anderem die Commerzbank, die Deutsche Telekom, Deutz, Allianz oder Rheinmetall ihre Geschäftszahlen vor. Also höchst unterschiedliche Unternehmen. Entsprechend gibt es Überraschungspotenzial. „Es gibt durchaus positive Entwicklungen, etwa in Teilen des Maschinen- und Anlagenbaus oder bei Unternehmen, die mit Infrastruktur zu tun haben. Und ganz klar in der Rüstung“, sagt Metzler-Experte Spano. Selbst in der Autobranche gebe es „einzelne positive Aussagen, etwa beim Elektroauto-Absatz von Volkswagen.“
Dennoch verwundert der gute Lauf an den Aktienmärkten. Trotz aller Widrigkeiten in Wirtschaft und Politik und einer durchwachsenen Bilanzsaison hat der Dax in diesem Jahr bereits rund 20% zugelegt. „Mit der gleichen Stimmung vor 20 Jahren hätten wir einen anderen Aktienmarkt erlebt", sagt Metzler-Research-Leiter Spano. „Dann hätten wir eine Baisse gehabt. Jetzt beobachten wir: Sobald es runtergeht, kaufen schon wieder die ersten.“ Auch ETFs mit ihren regelmäßigen Geldflüssen hätten einen stabilisierenden Einfluss.
Wenige Einzelwerte treiben
Hinzu kommt, dass der hohe Dax-Gewinn letztlich an wenigen Einzelwerten hängt. Nach den Berechnungen der LBBW kommt mit Rheinmetall ein einziger Titel für ein Viertel der Kursgewinne im deutschen Leitindex auf. Das Papier des Rüstungskonzerns hat sich vom Wert her seit Jahresbeginn fast verdreifacht. Viele Analysten favorisieren ungebrochen die Aktie der Düsseldorfer. Damit steigt natürlich die Spannung vor den Rheinmetall-Zahlen, deren Veröffentlichung am Donnerstag (7. August) ansteht.

Deutlich zugelegt im laufenden Jahr haben auch die Aktien der Deutschen Bank und der Commerzbank. Deutschlands größtes Geldhaus und die Fondstochter DWS Group haben ihre Ergebnisse bereits veröffentlicht – und gehörten zu den ersten, die nach dem enttäuschenden Einstieg in die Bilanzsaison die Erwartungen übertreffen konnten. Die Commerzbank veröffentlicht ihre Geschäftszahlen an diesem Mittwoch (6. August), wobei für den Kurs sicherlich entscheidender ist, wie Unicredit mit den Übernahmeplänen voranschreitet.
Überreaktion bei SAP und Autos?
Bei SAP, dem größten Dax-Wert und dem einzigen großen Softwareunternehmen hierzulande, überraschte die harsche Kursreaktion am Tag der Zahlenvorlage, als das Papier in der Spitze um mehr als 4% abrutschte. Denn mit deutlich steigenden Erlösen aus dem Cloud-Geschäft hat SAP eigentlich geliefert. Das meinen auch etliche Analysten und empfehlen die Aktie weiterhin zum Kauf. Doch macht dem Softwarekonzern bei der Bilanz in Euro natürlich der schwache Dollar zu schaffen. Zudem verschoben sich einige Vertragsabschlüsse aufgrund des Handelskonflikts. Eine vielfach erwartete Prognoseerhöhung blieb aus.
Bei den Autoaktien kommen Analysten ebenfalls zu einem differenzierten Bild: Denn die deutlichen Gewinneinbußen sind vielfach erwartet worden. Beim Blick nach vorne sind die Analysten der Deutschen Bank der Ansicht, dass bei VW und Porsche der Boden jetzt erreicht sei. Sie sehen die aktuellen Kurse als Gelegenheit an und empfehlen beide Aktien zum Kauf. Dabei verweisen sie bei VW auf die neuen Modelle und die Entwicklung im Kernsegment.
„Dax nicht teuer“
Darüber hinaus fällt der LBBW auf technischer Seite noch etwas anderes auf: „Der Median aus den KGVs der Dax-Werte liegt unter 13, deutlich tiefer als das rechnerische Durchschnitts-KGV des Dax. Meistens verhält es sich andersherum“, erläutert Research-Leiter Fernow. „Diese Entwicklung kam zustande, weil seit Jahresanfang sowohl die teuren Werte (durch Kursgewinne) teurer geworden sind als auch die billigen (durch Senkungen der Gewinnschätzungen). In der Mitte tat sich hingegen wenig. Insofern kann man den Dax keinesfalls pauschal als ‚teuer‘ einschätzen.“
Doch wie geht es nun weiter in der Bilanzsaison? Sind alle schlechten Nachrichten schon eingepreist und liegen alle bösen Überraschungen hinter uns? Mit dem Zolldeal zwischen der EU und den USA ist zumindest ein Unsicherheitsfaktor ausgeschaltet. „Wir sind aber weit davon entfernt, dass wir einen positiven Stimmungsumschwung haben“, sagt Metzler-Experte Spano. „Im dritten Quartal werden wir davon jedenfalls noch nichts sehen, vielleicht im ersten Quartal kommenden Jahres. Das ‚Wumms-Paket‘ der Bundesregierung sollte bis dahin den Weg in die Wirtschaft gefunden haben.“