Die Fondsindustrie erlebt jetzt ihren Canossa-Moment
Die Fondsindustrie erlebt jetzt ihren Canossa-Moment
Die Fondsindustrie erlebt jetzt ihren Canossa-Moment
Von Werner Rüppel, Frankfurt
In der Fondsindustrie findet eine Revolution statt, die ähnlich wie der Gang nach Canossa einer grundlegenden Veränderung der Machtverhältnisse gleichkommt. ETFs werden zum bevorzugten Investmentvehikel. Daher legen immer mehr Assetmanager auch ETFs auf.
Was war im Jahre 1077? Da war der Gang nach Canossa, der Bitt- und Busgang im Büßergewand von Kaiser Heinrich IV. gegenüber Papst Gregor VII. vor der Burg Canossa in Oberitalien. Was hat nun Canossa mit der Fondsbranche im Jahre 2025 zu tun? Nun ja, Canossa steht in der Geschichtsschreibung für eine grundlegende Veränderung im Verhältnis zwischen Kaiser und Papsttum. Aktuell stellen Beobachter auch ein Canossa-Moment in der Fondsbranche fest. Denn ETFs haben sich nicht allein gegenüber den herkömmlichen, meist aktiven Investmentfonds etabliert. Sie sind inzwischen zur bevorzugten Fondshülle geworden.
Besonders in Deutschland investieren Anleger inzwischen vor allem in ETFs. „Beim Netto-Mittelaufkommen hängen börsengehandelte Fonds klassische Publikumsfonds ab: Insgesamt flossen fast 90% der zwischen Juni 2023 und Juni 2025 neu in Publikumsfonds angelegten Gelder in ETFs“, zeigt eine wegweisende Analyse des deutschen Fondsverbands BVI auf. „Mit einem Anteil von 70% waren Aktien-ETFs besonders gefragt, doch auch Renten- und Geldmarkt-ETFs verbuchten ein Mittelaufkommen in zweistelliger Milliardenhöhe.“
Erneutes Rekordjahr
Zugleich ist auch das Wachstum der europäischen ETF-Industrie in 2025 beeindruckend und ungebrochen gewesen. So waren Ende Oktober Assets im Rekordvolumen von 3,11 Bill. Dollar in europäischen ETFs und ETPs angelegt. Und auch die Mittelzuflüsse haben 2025 bis Ende Oktober ein neues Hoch von 311 Mrd. Dollar erreicht.
Was macht nun die Fondsindustrie in einer Situation, in der kostengünstigen ETFs massiv an Zuspruch und Popularität gewinnen, und von den Zuflüssen her die Branche dominieren? Und dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Blackrock frühzeitig auf ETFs gesetzt hat und durch seine führende Stellung bei ETFs die Branche in den vergangenen Jahren regelrecht aufgemischt hat?
Alle legen ETFs auf
Die Antwort ist einfach: Immer mehr Fondsgesellschaften legen in Europa ETFs auf. Dabei erlaubt es das Segment der aktiven ETFs inzwischen auch den traditionellen aktiven Managern in das ETF-Segment einzusteigen. Und über White-Labeling, das immer mehr ETF-Häuser anbieten, können auch alle kleineren Fondshäuser inzwischen ohne Probleme ETFs auflegen.
Zumindest fast jede große Fondsgesellschaft möchte inzwischen auch etwas vom ETF-Kuchen abbekommen. So hat hierzulande die DWS ihr ETF-Geschäft stark ausgebaut und verzeichnet gerade hier hohe Mittelzuflüsse. Auch die Deka vertreibt neben herkömmlichen Fonds inzwischen auch ETFs über die Sparkassen; wenn der Sparkassenkunde nach ETFs fragt, hat der Berater etwas im Angebot, und der Kunde muss nicht zum Discountbroker gehen. Und sogar Union Investment hat gerade über ihre Tochtergesellschaft Quoniam erstmals einen aktiven ETF aufgelegt.
Hohe Zuflüsse für Verteidigung
Nicht zuletzt sind auch spezielle Produkte im ETF-Mantel ungemein erfolgreich. So haben VanEck und WisdomTree mit ihren Verteidigungs-ETFs sehr viel Geld eingesammelt. Daraufhin haben auch die großen Adressen wie Blackrock, DWS und Amundi Verteidigungs-ETFs begeben. Und die Deka hat, obwohl sie Monate zuvor bereits einen aktiven Verteidigungs-Aktienfonds begeben hatte, dann auch noch einen Verteidigungs-ETF aufgelegt.
Da die Palette der von einzelnen Häusern angebotenen ETFs stetig steigt, wächst die Zahl der insgesamt in Europa im Ucits-Gewand aufgelegten ETFs. Nach Angaben des Analysehauses ETFGI sind es per Ende Oktober bereits 2.463 ETFs, und inklusive der ebenfalls börsengehandelten ETPs sogar insgesamt 3.450 Produkte.

Insgesamt wird der ETF-Mantel immer mehr zum präferierten Anlagevehikel. „Der ETF-Markt ist stark im Wandel“, erklärt Martin Bechtloff, Vice President ETF Distribution Dach bei Franklin Templeton. „Immer stärker werden auch in Europa aktive ETFs aufgelegt.“ Diese würden in den kommenden Jahren überdurchschnittlich zulegen. Vorbild sei hier die USA, in denen aktive ETFs bereits eine viele größere Rolle spielen als in Europa. „Auch die Zahl der ETF-Anbieter dürfte sich bis Ende des Jahrzehnts verdoppeln“, sagt Bechtloff.
Darüber hinaus sieht der Franklin-Templeton-Experte ESG-Integration, Kosteneffizienz und Diversifizierung auch auf der ETF-Seite nicht als kurzfristige Trends. Diese würden bei Investoren durchaus Mehrwert generieren. Ein Beispiel für globale Diversifizierung seien Emerging-Markets-Aktien. Hier seien in Europa bereits über 100 Mrd. Euro in ETFs investiert. Franklin Templeton stellt dabei ein wachsendes Interesse fest, auch für ETFs auf China oder Indien.
Wachstum geht weiter
Nach Angaben von Blackrock gibt es inzwischen 32,8 Millionen ETF-Anleger in Europa, das sind satte 13 Millionen mehr als im Jahr 2022. Mit insgesamt 14,5 Millionen Anlegern und einem Anteil von 44% am europäischen Markt ist Deutschland dabei der mit Abstand größte ETF-Markt Europas. 55% der deutschen Anleger halten bereits ETFs, das sind mehr als doppelt so viel wie im europäischen Durchschnitt.
Das Wachstum der börsennotierte Fonds wird sich in Europa nicht verlangsamen, meint Blackrock. In den kommenden zwölf Monaten wird ein Zuwachs um 8,7 Millionen neuen ETF-Anleger oder 27% in ganz Europa prognostiziert. In Deutschland wird ein Anstieg der ETF-Anleger um 11% auf dann 16 Millionen erwartet. Deutlich höhere Wachstumsraten dürften in Ländern erzielt werden, in denen ETFs noch nicht so stark wie hierzulande verbreitet sind.
