InterviewKevin Thozet, Carmignac

„Wir erwarten, dass sich das Wachstum in Deutschland verdoppelt“

Nicht nur amerikanische Tech-Größen verwöhnen Anleger mit satten Renditen. Eine Carmignac-Untersuchung zeigt, dass sich deutsche Unternehmen dahinter nicht verstecken müssen. Kevin Thozet erklärt, warum sie in den nächsten Jahren ihre US-Pendants sogar abhängen könnten.

„Wir erwarten, dass sich das Wachstum in Deutschland verdoppelt“

Im Interview: Kevin Thozet

„Wir erwarten, dass sich das Wachstum verdoppelt“

Carmignac-Experte glaubt dank Infrastrukturpaket an ein „Erwachen des deutschen Tigers“ – Deutsche Aktien können mit US-Titeln mithalten

Nicht nur amerikanische Tech-Größen verwöhnen Anleger mit satten Renditen. Eine Carmignac-Untersuchung zeigt, dass sich deutsche Unternehmen dahinter nicht verstecken müssen. Kevin Thozet erklärt, warum sie in den nächsten Jahren ihre US-Pendants sogar abhängen könnten.

Herr Thozet, Sie haben herausgearbeitet, dass deutsche Aktien amerikanischen auf lange Sicht in nichts nachstehen und auf eine ähnliche Performance kommen. Wie kamen Sie zu diesem Ergebnis?

Der allgemeine Eindruck, dass der amerikanische Aktienmarkt der einzige ist, der eine signifikante Performance liefert, ist tatsächlich falsch. Der amerikanische Markt mag außergewöhnlich sein, aber es gibt noch andere außergewöhnliche Märkte und dazu zählt auch der deutsche. Bei so einer Studie ist natürlich der Ausgangspunkt wichtig. Je nachdem, welchen Ausgangspunkt man nimmt, schneiden die USA mal besser und mal schlechter ab. Auf lange Sicht aber, über 18 oder 20 Jahre, zeigt unsere Studie, dass deutsche Aktien ähnliche Renditen erzielt haben wie US-Aktien, auf die alle schauen.

Sie haben Ihre Studie nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen.

Ja. Warum habe ich diesen speziellen Zeitraum gewählt? Weil ich zwei Momente in der deutschen Geschichte einbeziehen wollte, in denen es einige sehr bedeutende Steuerausgaben gab. Das erste wird heute das Wirtschaftswunder genannt. Ich glaube allerdings nicht, dass es ein Wunder war, sondern dass es einige handfeste Gründe dafür gab, was den deutschen Aktienmärkten sehr geholfen hat. Der zweite Moment ist die Wiedervereinigung mit ihren Folgen. Auch hier hatten wir bedeutende Steuerausgaben und sehen, dass deutsche Aktien in der Folgezeit starke Renditen erzielten. Doch auch wenn ich mir einen kürzeren Zeitraum anschaue, zum Beispiel die letzten drei Jahre, dann sehen wir, dass deutsche Aktien ähnliche oder sogar höhere Ergebnisse liefern als die US-Aktienmärkte. Das liegt auch an der Qualität von einzelnen deutschen Unternehmen. Aber wenn man ein positives BIP-Wachstum hat, sollte sich das noch zusätzlich auf die Unternehmensgewinne auswirken.

Gefühlt waren US-Aktien und hier insbesondere Tech gerade in den vergangenen Jahren deutlich stärker. Ihrer Untersuchung nach war das aber gar nicht der Fall. Können Sie uns das erklären?

Ja. Wir sehen in der Tat einige deutsche Aktien, die Renditen abwerfen, die nicht allzu weit von denen führender US-Aktien entfernt sind. Wenn ich mir die jüngere Geschichte anschaue, dann spricht jeder von den „Magnificent Seven“ und dem US-Tech-Sektor, aber wenn ich mir einige Unternehmen im Technologiesektor in Deutschland ansehe, Unternehmen wie SAP, wie Deutsche Telekom, die haben auch starke Ergebnisse geliefert. Und das ist nicht der einzige Sektor, der ähnliche Ergebnisse liefert. Das gilt auch für den Finanzsektor. Die Allianz und Munich Re haben eine Performance erzielt, die nicht weit von den beliebtesten US-Aktien entfernt ist. Das gilt auch für den Industriesektor: Siemens, Siemens Energy, Rheinmetall.

Sie blicken für deutsche Aktien auch sehr positiv in die Zukunft und sprechen von einem „Erwachen des deutschen Tigers“. Warum?

Schauen wir uns an, wo wir uns im Wirtschaftszyklus befinden. Die US-Wirtschaft befindet sich mehr oder weniger auf dem Höhepunkt des Zykluses. Sie ist lange stark gewachsen. Das, was man den US-Exzeptionalismus nannte, hat sich in den letzten Jahren entwickelt. Seit etwa 2015 waren die USA die einzige Region, in der wir durchgehend Wirtschaftswachstum hatten. Während China mit seinem Immobilienrückgang und dem Platzen der weltweiten Rohstoffblase zu kämpfen hatte, hatte Europa  seine eigenen Problemen zu bewältigen. Die US-Wirtschaft hat dagegen vom Schieferöl-Boom profitiert, das hat die Produktivität angetrieben. Hinzu kamen die hohen Steuerausgaben. 2016 gab es unter Trump erste Steuersenkungen. Unter Biden und mit den Post-Covid-Programmen sind die Defizite dann noch weiter gestiegen. Zu all dem kam noch eine sehr starke Einwanderung, was den Konsum förderte, und die KI-Revolution unterstützte die Investitionsausgaben. Es war ein Boom in den USA. Aber jetzt befinden sich die USA in einer Phase, in der sich die Wirtschaft verlangsamt. Der Arbeitsmarkt ist sehr angespannt. Wir sind sozusagen am Ende des Zykluses angelangt.

Ich wäre nicht überrascht, wenn das deutsche Wirtschaftswachstum 2026 und 2027 über dem der USA liegen würde.

Und Europa?

Wenn ich mir die Situation in Europa anschaue, vor allem in Deutschland, wo wir drei Jahre lang eine Stagnation und manchmal sogar ein leicht negatives Wirtschaftswachstum hatten, dann erwarten wir jetzt eine Erholungsphase. Vor einem Jahr hat die EZB mit der Senkung der Zinssätze begonnen. Wir sehen eine Belebung der Kreditströme. Haushalte und Unternehmen nehmen mehr Kredite auf. Und das bedeutet zukünftiges Wachstum, denn es bedeutet Investitionen, es bedeutet Konsum. In den USA verlangsamt sich nun das Wachstum und Deutschland steht an einem anderen Punkt im Zyklus und beginnt, sich zu erholen. Dazu kommen noch die Ausgabeabsichten von Herrn Merz. Hunderte von Milliarden an fiskalischen Unterstützungsausgaben für die Infrastruktur. Das würde etwa 1% des BIP ausmachen. Dazu kommen noch die Verteidigungsausgaben, das sind weitere 0,5 bis 1% des BIP. Damit haben wir das, was wir einen Multiplikatoreffekt auf die Wirtschaft nennen. Wenn Sie in die Infrastruktur investieren, ist der Multiplikatoreffekt hoch, weil Investitionen in die Digitalisierung, in die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland zu Produktivitätsgewinnen und positiven Spillover-Effekten führen.

Was bedeutet das?

Wenn zum Beispiel kleine und mittelständische Unternehmen einen besseren Zugang zum Internet haben, mehr Breitband, mehr Hochgeschwindigkeitszugang, zunehmende Digitalisierung, dann wird das das Wachstum mit hoher Produktivität fördern. Was wir erwarten können, ist, dass sich das potenzielle Wachstum in Deutschland tatsächlich verdoppelt. Langfristig dürfte das Wachstum durch die Investitionen in den nächsten zehn Jahren um 1% im Jahr anziehen und über dem durchschnittlichen Wachstum in der EU liegen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Steuerausgaben in der Regel getätigt werden, um auf einen punktuellen Schock zu reagieren, wie bei Covid oder der Finanzkrise, aber dieses Mal ist das anders. Das Geld wird über die nächsten zehn Jahre ausgegeben werden. Das ist das, was wir für die Zukunft in Deutschland erwarten, und daher haben wir eine sehr positive Einstellung zu deutschen Aktien. Ich wäre nicht überrascht, wenn das deutsche Wirtschaftswachstum 2026 und 2027 über dem der USA liegen würde.

Welche Unternehmen und Branchen dürften von diesem gigantischen Paket besonders profitieren?

Die offensichtlichste Antwort ist Rüstungsfirmen, die natürlich von den Verteidigungsausgaben profitieren werden. Dann denke ich, dass im Industriesektor viele Unternehmen davon profitieren können. Unternehmen wie Siemens, das die Nummer eins in der Welt bei Automatisierung ist. Sie haben auch ein bedeutendes Eisenbahngeschäft, das ebenfalls direkt von den Infrastrukturausgaben profitieren kann. Auch im Bauwesen gibt es einige Unternehmen, die von diesem Ausgabenplan profitieren werden. Und wenn es mehr Wirtschaftswachstum in einem Land gibt und sich die Stimmung verbessert, dann werden die Menschen mehr ausgeben. Das wird dann auch dem Bankensektor helfen. Ich habe ja eben davon gesprochen, dass einige deutsche Aktien Renditen erzielten, die nicht weit von den „Magnificent Seven“ entfernt sind. Und das sind besonders Unternehmen, die wir als „global leader“ bezeichnen. Siemens ist ein Weltmarktführer. SAP ist auch ein Weltmarktführer.

Sie haben jetzt schon viel über die Auswirkungen des Infrastrukturpakets auf das BIP erzählt. Wie steht es mit dem Aktienmarkt? Wie hoch und wie lang kann das den Dax tragen?

Ich sagte ja bereits, dass das BIP-Wachstum in Deutschland über dem der USA liegen könnte. Ich glaube, dass das EPS-Wachstum, also die Gewinne pro Aktie, für deutsche Unternehmen ebenfalls über dem der USA liegen kann.

Werden auch andere europäische Aktienmärkte von dem Infrastrukturpaket profitieren?

Ja, einige von ihnen. Da muss man sich genauer anschauen, welche Unternehmen stark mit der deutschen Wirtschaft verbunden sind. Auf der verarbeitenden und auf der industriellen Seite sind das hauptsächlich Frankreich und Italien. In Frankreich fällt mir zum Beispiel ein Unternehmen wie Schneider Electric ein, das auch im Bereich der Elektrifizierung für die  Industrieautomatisierung und im Nichtwohnungsbau tätig ist. Auch einige nordische Banken könnten davon profitieren.

Klingt nach einer goldenen Zukunft für die europäischen Aktienmärkte.

Na ja, es gibt auch Bereiche, in denen man vorsichtig sein sollte. Das eine ist, dass zwischen dem Zeitpunkt, an dem Herr Merz die Absicht hat, Geld auszugeben, und der tatsächlichen Ausgabe, Zeit vergehen kann. Wir haben mit einigen CFOs diskutiert und die rechnen damit, dass die Auswirkungen des deutschen Infrastrukturpakets erst 2026 oder 2027 in ihren Einnahmen zu sehen sein werden, weil es Zeit braucht, das Ganze zu entfalten. Darum ist das ein Bereich, in dem man vorsichtig sein muss, denn manchmal können die Finanzmärkte sehr ungeduldig sein.

Und was ist der andere Bereich?

Der andere Punkt ist, dass mit mehr Wirtschaftswachstum auch höhere Anleiherenditen einhergehen. Ich spreche von zehn-, 20-, 30-jährigen Anleiherenditen. Die haben bereits begonnen, das widerzuspiegeln. In diesem Umfeld wirken höhere Anleiherenditen zwar einerseits als automatischer Stabilisator, wenn sie sinken, aber andererseits auch als Gegenwind, wenn sie steigen. Wir setzen darum auf Qualitätswachstum und Qualitätsunternehmen. Unternehmen mit soliden Fundamentaldaten. Deshalb sprach ich von Siemens. Das ist ein gutes Beispiel für ein Unternehmen, das es schon lange gibt, mit nicht zu vielen Schulden, das nicht übermäßig empfindlich ist oder übermäßig von den höheren Anleiherenditen betroffen.

Zur Person: Kevin Thozet ist Mitglied des Investment-Komitees bei Carmignac. Er kam 2019 zu der Anlageverwaltungsgesellschaft. Seine berufliche Laufbahn begann Thozet bei Axa Investment Managers. 2011 kam er zu Edmond de Rothschild Asset Management, wo er insbesondere als Produktspezialist im Bereich Asset Allocation and Sovereign Debt und später als Head of Product Specialists tätig war. Thozet hat einen Master in Betriebswirtschaftslehre der Université Paris-Dauphine und einen zweisprachigen Master in Journalismus der Université Paris-Sorbonne.

Das Interview führte Tobias Möllers.