„Wir werden anders wahrgenommen als früher“
„Wir werden anders wahrgenommen als früher“
Herr von Storch, Sie haben Flossbach von Storch 1998 zusammen mit Bert Flossbach gegründet. Die Welt war damals eine andere. Würden Sie den Schritt heute noch wagen?
Wahrscheinlich hätten wir heute einen schwereren Start. Wir haben als klassischer Vermögensverwalter für wohlhabende Privatkunden und Familien angefangen – und erst 2007 unsere Multi-Asset-Fonds aufgelegt. Die Banken haben sich damals für Drittfonds geöffnet. Wir waren jung, unabhängig, irgendwie sexy – und letztlich keine Konkurrenz für die etablierten Anbieter. Wir waren also genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und wir haben seither geliefert. Im Laufe der Jahre ist dann der Rückenwind durch die niedrigen Zinsen hinzugekommen – die gesamte Fondsbranche hat geboomt. Das ist definitiv vorbei! Die Zinsen sind zurück, der Wettbewerb ist deutlich härter geworden, insbesondere durch die ETFs. Und wir haben viel mehr Regeln und Bürokratie.
Welche Rolle können aktiv gemanagte Fonds denn in einer ETF-Welt überhaupt noch spielen?
Eines vorab: Das eine ist nicht besser oder schlechter als das andere! Es gibt Anleger, für die ergibt ein ETF absolut Sinn. Das sind Anleger, die für sich selbst Verantwortung übernehmen und auch in schwierigen Phasen nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Wichtig ist, dass die Leute investieren, gerade mit Blick auf die Altersvorsorge. Warren Buffett hat einmal gesagt, man brauche einen langen Hügel und ein wenig feuchten Schnee. Rollt man die Kugel den Abhang hinunter, wird sie mit der Zeit größer und größer. Unsere Aufgabe ist es, die Menschen auf den Hügel zu bringen, sie auch in schwierigen Zeiten zu begleiten und dort oben zu halten. Bei ETFs sehe ich die Gefahr, dass viele Menschen in Krisen aussteigen, weil sie die Ausschläge der Indizes schlicht nicht aushalten – also den Hügel verlassen und nicht wieder zurückkehren.
Haben Sie Sorge, dass es in absehbarer Zeit zu einem Einbruch kommt?
Wir haben keine Kristallkugel! Deshalb machen wir auch bei den beliebten Prognose-Spielchen nicht mit – wo steht der Dax am Jahresende? Niemand weiß es. Die Erfahrung zeigt aber, dass ein schwarzer Schwan immer wieder des Weges dahergeschwommen kommt. Was genau die Korrektur dann auslöst, wissen wir dummerweise immer erst, wenn sie ausgelöst wurde. Es muss aber jeder verstehen, dass die Märkte nicht völlig unabhängig von der darunterliegenden Wirtschaft boomen können.
Glauben Sie, dass sich junge Leute, die in ETF eingestiegen sind, nach einem Rückschlag wieder vom Finanzmarkt verabschieden werden?
Das Risiko besteht. Es geht dabei aber gar nicht um Jung oder Alt, es geht vielmehr um erfahren oder unerfahren. Nach einer Krise machen unerfahrene Anleger erfahrungsgemäß eine lange Pause und steigen meist zum falschen Zeitpunkt wieder ein, nämlich wenn alles ganz hübsch aussieht, die Kurse ordentlich geklettert sind und die Angst wächst, etwas zu verpassen. Das generelle Problem bei uns in Deutschland und Europa ist die fehlende Anlagekultur. In den USA kauft der Großvater seinem Enkel zur Geburt eine Aktie von Coca-Cola, Johnson & Johnson oder Procter & Gamble. Und 30 Jahre später freut sich der Junior, dass das jeweilige Unternehmen genauso viel Dividende ausschüttet, wie die Aktie einst gekostet hat. Den Deutschen fehlen diese positiv belegten Geschichten. Wir haben den Neuen Markt und Wirecard. Deshalb gibt’s zur Geburt das Sparbuch!
Zurück zu Flossbach von Storch. Was unterscheidet sie von einer DWS, Union Investment oder Deka?
Ich mag nicht über andere sprechen, zumal mir da auch der Einblick fehlt. Ich kann nur sagen, wofür wir stehen wollen, nämlich einen klaren Investmentprozess – mit dem Ziel, ein bestehendes Vermögen in seiner Kaufkraft zu erhalten. Das ist defensiv formuliert, und diese Haltung mag nicht zu allen Zeiten die höchste Performance liefern; sie hat sich aber insbesondere in Krisenphasen und über die Zeit bewährt. Kunden schätzen das. Zweiter Punkt: Wir sind authentisch. Wir investieren mit eigenem Geld in unsere Fonds – die Geschäftsführung, die Mitarbeiter. Unsere betriebliche Altersversorgung etwa fließt in die eigenen Produkte. Weil wir von unserer Investmentphilosophie, der daraus abgeleiteten Strategie überzeugt sind. Drittes Thema ist Unabhängigkeit. Wir sind allein unseren Kunden und Anlegern verpflichtet, müssen also keine Rücksicht nehmen auf übergeordnete Konzerninteressen oder die Politik.
Sie sind mit dieser Strategie unter die Top-30-Investoren im Dax aufgestiegen. Was hat sich mit der Größe verändert?
Wir werden anders wahrgenommen als früher. Das gilt nicht nur für deutsche Unternehmen, sondern auch international. Es gibt praktisch kein Unternehmen weltweit, in das wir investieren, bei dem wir nicht mit dem Management sprechen können. Den CEO einer Firma zu treffen und ihn persönlich befragen zu können, hilft ungemein. Mehr zu erfahren über dessen Ziele, die Strategie, anstehende Veränderungen oder Fehlschläge. Er ist schließlich der Kapitän des Schiffes und entscheidet maßgeblich, wohin es steuert. Dieser Zugang hat sich für uns enorm verbessert.
Wie wichtig ist diese menschliche Komponente in Zeiten von KI?
Ich tue mich schwer damit, dass irgendwann ein Algorithmus die Anlageentscheidung trifft. Das ginge zwar schnell. Ratter, ratter – und schon wäre das Portfolio fertig. Die KI-Antwort würde auch zu 80% stimmen, aber eben nur zu 80%. Für uns als aktiver Vermögensverwalter, der davon lebt, Einzelunternehmen zu identifizieren, wird weiter die Erfahrung unserer Analysten und Portfoliomanager ausschlaggebend sein. Nur so können wir uns differenzieren; andernfalls hätten wir keine Daseinsberechtigung. Nichtsdestotrotz müssen wir jeden Tag überlegen, wie wir unsere PS besser auf die Straße bekommen. KI hilft etwa beim im Research. Ich muss nicht mehr die kompletten Geschäftsberichte lesen, sondern kann mit einigen geschickten Fragen in viel kürzerer Zeit meine Antworten bekommen.
Bedeutet das, dass sie weiter Analysten und Portfoliomanager suchen?
Auch, ja. Aber wir stellen nicht jeden Tag zehn neue Portfoliomanager oder Analysten ein. Momentan suchen wir vor allem im IT-Bereich und der Compliance. Cybersecurity etwa ist ein Riesenthema! Beide Bereiche haben mit unserem Kerngeschäft erst einmal nichts zu tun. Im Grunde wären wir da wieder bei Ihrer Einstiegsfrage: Sich mit derlei Themen beschäftigen zu müssen, macht es für Gründer heute unfassbar kompliziert. Deshalb gibt es auch so wenig Nachwuchs – weil der einen hohen Anteil seiner Zeit in Themen investieren muss, die mit Geldanlage direkt nichts zu tun haben.
Wie schätzen Sie Investments in KI ein? Hat sich hier eine Blase aufgebaut, wie vielfach befürchtet?
Es gibt schon Entwicklungen, die mich nachdenklich stimmen. Die Oracle-Aktie etwa steigt über Nacht um 40%, weil sie irgendwo Aufträge entdeckt haben, die ich als sehr vage einstufen würde. KI-Konzerne bestellen beim Chiphersteller, der dann wiederum in die KI-Konzerne investiert. Wir sehen, dass Tech-Konzerne, die sich früher fast ausschließlich über Eigenkapital finanziert haben, im großen Stil Anleihen begeben, um ihre KI-Investitionen zu stemmen. KI wird unser aller Leben maßgeblich verändern, zweifellos. Irgendwann müssen sich die gewaltigen Investitionen für die Unternehmen aber auch rechnen. An der Börse trägt die Fantasie für eine Weile, aber nicht ewig.
Kann man die Situation mit der Dotcom-Zeit vergleichen?
Teilweise. Auch damals gab es Unternehmen, die als große Gewinner galten. Bis andere ihnen den Rang abgelaufen haben. Das Internet hat zwar alle Erwartungen übertroffen. Die wahren Gewinner haben sich aber erst über die Jahre herauskristallisiert. Viele der Börsen-Lieblinge von einst sind dagegen verschwunden.
Neben einer möglichen KI-Blase haben die Entwicklungen auf den Private Markets vielen Beobachtern zuletzt Sorgen gemacht, Stichwort First Brands und Collateralized Loan Obligations. Entsteht in dieser Ecke die nächste Finanzkrise?
Wir sollten die emotionale Seite der Finanzmärkte nicht unterschätzen. Gier und Angst spielen eine große Rolle. In den USA wurden der Finanzsektor als Folge der Finanzkrise sehr stark reguliert; das ist nach und nach aufgeweicht worden. Schattenmärkte sind entstanden. Und die werden vermutlich wieder zu Problemen führen. Alles, was intransparent ist und deshalb kaum nachvollziehbar, birgt Gefahren. Wann sich diese Gefahren materialisieren, lässt sich aber nicht seriös vorhersagen.
Gibt es denn Kunden, die sie auf First Brands und CLOs ansprechen?
Dafür ist das Phänomen noch zu klein und zu weit weg. Das ist sowas wie ein Schwelbrand. Die Profis riechen ihn schon; das breite Publikum hat von First Brands aber noch nichts mitbekommen.
Wie geht es denn mit Flossbach von Storch weiter? Sie haben sich ja kürzlich in eine SE umgewandelt.
Das ist Teil unseres Nachfolgeplans. Der erste Schritt war, den Vorstand zu erweitern und vor allen Dingen zu verjüngen. Der zweite Schritt war die erwähnte Umwandlung einer deutschen AG in eine europäische SE, weil die AG ein sehr enges Korsett für ein Familienunternehmen hat. Entweder ist man operativ tätig oder im Aufsichtsrat. Beides geht nicht. Und Dr. Bert Flossbach und ich möchten unsere Erfahrung weiterhin im Tagesgeschäft einbringen. Mit dem dritten Schritt haben wir beide unsere Anteile jeweils in eine Familienstiftung überführt. Wenn ich mich also beim Mittagessen an einem Fisch verschlucke, hat das keine gravierenden Auswirkungen auf das Unternehmen, weil die Nachfolge vorbereitet ist und keiner meiner Erben Anteile verkaufen muss, um die Erbschaftssteuer zu bezahlen.
Ein Datum, wann sie mal ausscheiden wollen, gibt es aber noch nicht. Welchen Zeithorizont haben Sie im Kopf?
Keinen. Ich hoffe, die Größe und die Demut zu haben, den Rückzug anzutreten, sollte ich merken, nicht mehr ausreichend fit im Kopf zu sein. Das ist nicht einfach und gelingt nicht jedem im deutschen Mittelstand. Dass Alter in unserem Geschäft nicht zwingend ein Hindernis ist, beweist Warren Buffett.
Im Interview: Kurt von Storch
„Wir werden anders wahrgenommen als früher“
Der Mitgründer von Deutschlands größtem unabhängigen Vermögensverwalter spricht über die Anfänge, die Nachfolge und das Fondsgeschäft in ETF-Zeiten
Flossbach von Storch ist der größte unabhängige Vermögensverwalter Deutschlands. Im Interview spricht Mitgründer Kurt von Storch über die Rolle eines Fondsspezialisten in einer Welt voller ETF, die Bedeutung des menschlichen Fondsmanagers in KI-Zeiten und die Regelung der eigenen Nachfolge.
Das Interview führte Daniel Schnettler.
