Amerikas Demokratie auf brüchigem Boden
Amerikas Demokratie auf brüchigem Boden
Amerikas Demokratie auf brüchigem Boden
Bei minimalem politischen Widerstand regiert US-Präsident Donald Trump mit eiserner Faust und nach einem präzisen Drehbuch, das den Rechtsstaat systematisch demontiert
Von Peter De Thier
Donald Trump zählte schon immer Unberechenbarkeit zu seinen größten Stärken. Im Geschäftsleben und später auch in der Politik. Seine erste Amtszeit war ein Flickwerk aus Pleiten und Pannen. Es fehlte an einem klar definierten Regierungsprogramm. Keiner wusste, für welche Überraschungen der damals 45. Präsident Trump gut sein würde. Das hat sich beim zweiten Anlauf aber fundamental geändert. Trump ist binnen vier Jahren von einem Elefant im Porzellanladen zu einem systematisch agierenden Systemsprenger mutiert, der die Fundamente der amerikanischen Demokratie erschüttert hat.
2016 hatte der Wahlsieg gegen die favorisierte Demokratin Hillary Clinton den Republikaner auf dem falschen Fuß erwischt. Folglich handelte der politische Neuling konzeptlos und impulsiv. Geprägt war der Regierungsstil von Vorurteilen, Plattitüden und Narzissmus. Jedes Land, das einen bilateralen Handelsüberschuss, begehe Betrug an amerikanischen Exporteuren, meinte er. Diese wollte er mit Zöllen bestrafen. Immigranten aus Lateinamerika oder afrikanischen Entwicklungsländern würden dem Staat auf die Tasche fallen, ergo musste er sie abschieben.
Globale Erwärmung sei eine Fiktion, argumentierte Trump. Deswegen verließ der Präsident ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt das Pariser Klimaabkommen. Zu guter letzt: „America First“ bedeutete, dass sich die USA in geopolitischen Fragen aus der Verantwortung ziehen. Wenn die übrigen Nato-Länder nicht mehr für Rüstung ausgeben, würden die Vereinigten Staaten den Klub der Nordatlantiker schlichtweg verlassen. Eine Drohung, mit der er ständig kokettierte. Trump umgab sich ausschließlich mit Handlangern, die ihm nach den Mund redeten. Keine wagte es, selbst die unsinnigsten Entscheidungen zu hinterfragen.
Der politische Dilettantismus der ersten vier Jahre ist aber unter „Trump 2“ einer objektiv eindrucksvollen Professionalität gewichen. Der 47. Präsident handelt nun nach einem präzise definierten Spielplan. Die strategische Grundlage dafür bildet das rechtsgerichtete „Mandate for Leadership“ - buchstäblich ein „Mandat für Führerschaft“. Das 900 Seiten lange Programm ist das Kernstück des „Project 2025“, das die erzkonservativen Denkfabrik Heritage Foundation konzipiert hat. Im Mittelpunkt steht die „Unitary Executive Theory“. Deren Postulat: Als Chef der Exekutive müsse der Präsident allein die gesamte Macht des staatlichen Verwaltungsapparats verkörpern.
Demnach sind der Kongress und die Gerichte nicht gleichwertige Staatsgewalten. Sie haben sich vielmehr den Dekreten des Alleinherrschers unterzuordnen. Parallelen, die Kritiker zu einer Autokratie ziehen, sind nicht politisch motiviert. Sie sind faktisch akkurat und unbestreitbar. So gesehen ist es kein Wunder, dass Paul Dans, der Gründer von Project 2025, sein Glück kaum fassen kann. „Ich hätte niemals träumen können, dass ein Präsident unsere Vision so perfekt und konsequent umsetzt wie Donald Trump“, jubelt Dans.
Strikt nach dem Drehbuch
Das erste Amtsjahr von „Trump 2“ trägt tatsächlich die Handschrift des „Mandats für Führerschaft“. Denn zahlreiche der Autoren, die zu dem episch langen Regelwerk Beiträge beigetragen haben, gehören seiner Regierung angehören. Nach Angaben der Beamtenvereinigung American Federation of Government Employees (AFGE) sind mehr als 140 Mitarbeiter der Trump-Regierung und seiner Wahlkampagne Mitverfasser des Heritage-Drehbuchs.
Diese reichen von Brendan Carr, dem Chef der Federal Communications Commission (FCC), bis hin zu Trumps stellvertretenden Stabschef Stephen Miller. Carr versucht, über Drohungen mit dem Entzug von Sendelizenzen die Gleichschaltung der führenden News-Networks zu erzwingen. Miller hingegen ist der Strippenzieher hinter einer rabiaten Migrationspolitik, in deren Fadenkreuz ethnische Minderheiten stehen. Ebenso mächtig ist Russell Vought, Chef der Haushaltsbehörde Office of Management and Budget (OMB). Vought beschreibt das OMG als „das Fluglotsensystem des Präsidenten“. Als Vorsitzender habe er die Aufgabe, „dessen Befehle umzusetzen“. Dazu zählen Haushaltsentscheidungen, die zur Streichung von Sozialprogrammen und insbesondere der Benachteiligung von Minderheiten führen.
Kongressbeschlüsse als Makulatur
Eine zentrale Rolle spielen auch zahlreiche von dem Präsidenten ernannte Anwälte im Justizministerium. Deren Job ist es unter anderem, Trump Präsidenten Argumente zur Umgehung von Kongressbeschlüssen und Gerichtsurteilen zu liefern. Das jüngste und prominenteste Beispiel dafür: Praktisch einstimmig beschlossen das Repräsentantenhaus und der Senat die Freigabe der sogenannten „Epstein Akte“. Monate lang hatte Trump republikanische Parlamentarier unter Druck gesetzt, gegen die Veröffentlichung zu votieren. Als aber immer mehr Republikaner abtrünnig wurden und klar wurde, dass der Kongressbeschluss unausweichlich sei, kam die plötzliche Kehrtwende. Trump behauptete, schon immer für Transparenz plädiert zu haben.
Eine Wegbereiterin des Systemsprengers Trump ist auch seine Justizministerin und Generalstaatsanwältin Pam Bondi. Rechtsgelehrte aus Bondis Ressort hatten festgestellt, dass der Präsident Kongressbeschlüsse einfach ignorieren kann. Dazu zählt auch der Beschluss, die Jeffrey-Epstein Akte freizugeben. Der Präsident brauche lediglich zu behaupten, dass deren Freigabe eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstelle, unschuldige Menschen in Gefahr bringe oder laufende Ermittlungen beeinträchigt. Folglich bleiben bis heute jene Dokumente, die ihn womöglich belasten würden, unter Schloss und Riegel.
Erosion des Rechtsstaats
Darin schlägt sich zuglich die Erosion des amerikanischen Rechtsstaats nieder. In einer Demokratie mit funktionierende Gewaltenteilung ist der Regierungschef nämlich verpflichtet, Parlamentsbeschlüsse auszuführen. Trump und seine Berater maßen sich aber an, legislative Vorgaben so auszulegen, dass sie ihrer politischen Agenda entsprechen. Der Verfall der Rechtsstaatlichkeit ist so weit vorangeschritten, dass er kaum noch in Frage gestellt wird.
Objektiv anzurechnen ist den ideologisch getriebenen Handlangern des Präsidenten, dass sie sich durch hohe Effizienz auszeichnen. Denn seit dem Tag ihrer jeweiligen Bestätigung versuchen sie systematisch, die Gewaltenteilung zu unterlaufen und Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Auch wollen sie den weltgrößten Schmelztiegel von „unerwünschten Bevölkerungsgruppen“ befreien und den ärmsten Bürgern Sozialleistungen entziehen.
Sozialleistungen unter den Opfern
Die Liste der bereits ergriffenen Maßnahmen und der laufenden Initiativen ist lang: So will das Arbeitsministerium durchsetzen, dass bezahlte Überstunden für Beamte deutlich reduziert werden. Auch soll das Ministerium Daten des Bureau of Labor Statistics (BLS) manipulieren, so dass sie dem Narrativ einer florierenden und inflationsfreien Wirtschaft entsprechen.
Ärmere Haushalte leiden vor allem unter Kürzungen beim staatlichen Lebensmittelhilfe SNAP. Selbst verwundete Kriegsveteranen würden Project 2025 zu spüren bekommen. Denn das zuständige Ministerium soll die Liste der Behinderungen und Krankheiten, die den Anspruch auf Hilfsgelder begründen, deutlich zusammenstreichen. Auch werden Landwirte, die erwiesene Stammwähler Trumps sind, weniger Subventionen erhalten. Hinzu kommen Bemühungen, Schwangerschaftsabbrüchen einen Riegel vorzuschieben. So kann der Postversand von Abtreibungspillen zu einer Gefängnisstrafe führen.
Rabiate Migrationspolitik
Nirgendwo manifestieren sich die Visionen der Strippenzieher hinter den Kulissen des Weißen Hauses so deutlich wie in der Migrationspolitik. So hat die Grenzschutzbehörde ICE bereits tausende von Menschen verhaftet, weil sie „wie Ausländer aussehen“. Darunter auch zahlreiche US-Staatsbürger. Die Gegenmaßnahme des Ministeriums für Heimatschutz: Seit Mitte Dezember muss jeder Amerikaner einen Beweis der Staatsbürgerschaft bei sich haben. Personalausweis oder Führerschein genügen nicht. Und historischer Revisionismus schlägt sich nieder in der Streichung von Sklaverei aus den Geschichtsbüchern von vielen öffentlichen Gymnasien.
Unter „Trump 2“ hat sich die Regierung nicht nur an die Buchstaben des 2025 Regelwerks gehalten. Darüber hinaus hat der Präsident seine eigenen autokratisch anmutenden Initiativen ergriffen. Wie das Beispiel der Epstein-Akte zeigt, zählt das Übergehen von rechtskräftigen Kongressbeschlüssen längst zur Tagesordnung. Das wiederum ist nicht neu. Schon während seiner ersten Amtsperiode hat der Präsident die Freigabe von parlamentarisch beschlossenen Hilfsgeldern für die Ukraine blockiert.
Sabotage politischer Gegner
Er wollte zunächst, dass die Regierung in Kiew belastende Informationen über Joe Bidens Sohn Hunter ausgräbt. Und rechtskräftige Gerichtsurteile interessieren ihn schon gar nicht. So haben Bondi und Heimatschutzministerin Kristi Noem Migranten rechtswidrig in Drittländer abgeschoben, nachdem Bundesgerichte dies längst verboten hatten.
Er wollte zunächst, dass die Regierung in Kiew belastende Informationen über Joe Bidens Sohn Hunter ausgräbt. Und rechtskräftige Gerichtsurteile interessieren ihn schon gar nicht. So haben Bondi und Heimatschutzministerin Kristi Noem Migranten rechtswidrig in Drittländer abgeschoben, nachdem Bundesgerichte dies längst verboten hatten.
Die MAGA-Basis bröckelt
Zwar deutet sich langsam eine Erosion von Trumps Make America Great Again (MAGA)-Basis an. Doch der Rückhalt, den ihm verängstigte Republikaner geben, bleibt weiter stark. So stark, dass Trumps Demontage der größten westlichen Demokratie weitergehen kann. Er hatte schon vor Jahren gesagt, dass es doch eine feine Sache wäre, nach dem Vorbild von Chinas Xi Jinping ein Präsident auf Lebenszeit zu sein.
Anzunehmen ist, das Trumps Kandidatur für eine dritte Amtsperiode nicht an der Verfassung scheitern würde, die es ihm verbietet. Zu einem Verzicht käme es nur dann, weil er mit 82 Jahren kein Interesse mehr haben wird. Offen bleibt auch, ob es bis dahin noch freie und faire Wahlen geben wird. DIe Sprengsätze, mit denen er das System zerstört, wirken. Und bis jetzt deutet nichts darauf hin, dass irgendjemand sie entschärfen kann oder will
