Frankreichs Suche nach einem neuen Premierminister
Frankreichs Suche nach einem neuen Premierminister
Frankreichs Suche nach einem neuen Premierminister
Aktien- und Anleihemärkte reagieren kaum auf zweiten Sturz einer Regierung innerhalb von zehn Monaten – Bonitätsabstufung droht bald
Drohende Proteste diesen Mittwoch und die Überprüfung der Kreditwürdigkeitsnote durch Fitch am Freitag könnten sich auf die Renditen französischer Staatsanleihen auswirken. Der Haushalt der künftigen Minderheitsregierung dürfte weniger ambitioniert ausfallen, da sie Kompromisse eingehen muss.
wü Paris
von Gesche Wüpper, Paris
Nach dem Sturz der Regierung hat in Frankreich die fieberhafte Suche nach einem Nachfolger für Premierminister François Bayrou begonnen. Der Elysée-Palast hatte nur wenige Minuten nach Auszählung der Stimmen in der Nationalversammlung bekannt gegeben, Präsident Emmanuel Macron werde in den nächsten Tagen einen neuen Ministerpräsidenten berufen. Die Ernennung dürfte spätestens Ende der Woche erfolgen, heißt es in Paris.
Bei der Vertrauensfrage hatten 364 Abgeordnete gegen Bayrou und nur 194 für ihn gestimmt. Es ist das erste Mal seit Beginn der V. Republik 1958, dass eine Regierung an der Vertrauensfrage scheitert – und das zweite Mal innerhalb von zehn Monaten, dass in Frankreich ein Premierminister stürzt. Dennoch lag der CAC 40 Dienstag im Laufe des Tages leicht im Plus. Er hatte bereits am Montag trotz des erwarteten Sturzes der Regierung 0,6% zugelegt. Allerdings hat er sich seit den im letzten Jahr überraschend von Macron angesetzten Neuwahlen und der dadurch ausgelösten Instabilität schlechter entwickelt als der Dax und andere europäische Leitindizes.
Kein Erdbeben
Die Renditen der zehnjährigen französischen Obligations assimilables du Trésor (OAT) verringerten sich leicht auf 3,47%. Stärkere Reaktionen an Aktien- und Anleihemärkten blieben jedoch bisher aus. „Vieles war schon eingepreist, wie man an der Reaktion heute Vormittag sieht“, sagt Peter Goves, Head of Developed Market Debt Sovereign Research bei MFS Investment Management. „Der Sturz der Regierung wird derzeit als ein französisches Ereignis gesehen, nicht als europäisches Erdbeben.“
Allerdings gebe es in den nächsten Tagen mehrere Ereignisse, die sich auf die Risikoaufschläge französischer Staatsanleihen auswirken könnten, meint Goves: Die Proteste von Bloquons tout (Blockieren wir alles) am Mittwoch und die geplante Überprüfung der Kreditwürdigkeitsnote Frankreichs durch Fitch am Freitag. „Ich sehe jedoch in nächster Zeit keine weiteren größeren Schwankungen, sofern es zu einer Regierungsbildung kommt und Neuwahlen vorerst vermieden werden“, erklärt Goves.
Ratingagenturen prüfen
Doch Fitch könnte die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone dann von AA- auf A abstufen. Die Ratingagentur hat die Aussicht für Frankreich bereits im Oktober letzten Jahres auf negativ gesenkt, was oft ein Zeichen für eine drohende Abstufung ist. Da die Bonitätsbewertung von Fitch nur vier Tage nach der Vertrauensfrage erfolge, könnte die Ratingagentur jetzt aber erstmal abwarten und die Note zunächst beibehalten, um mehr politische Sichtbarkeit zu bekommen, meint Ökonomin Lucile Bembaron von der Wirtschaftsberatung Asterès. „Der Zusammenbruch der französischen Regierung – der zweite in weniger als einem Jahr – wirkt sich negativ auf die Bonität Frankreichs aus“, urteilt Analyst Thomas Gillet von der Ratingagentur Scope. Sie bewertet Frankreich bisher mit der viertbesten Note AA-, bei stabilem Ausblick.
Scope will die Note für das Land am 26. September überprüfen. Moody‘s folgt am 24. Oktober, S&P am 28. November. S&P und Moody‘s hatten Frankreichs Kreditwürdigkeit bereits letztes Jahr abgestuft, S&P auf AA- und Moody‘s auf AA3. Kurzfristig hätten die nicht neuen politischen Probleme Frankreichs vor allem wirtschaftliche Auswirkungen, meint Investmentstratege Christopher Dembik von Pictet. Die ohnehin zu optimistischen Wachstumsaussichten der Regierung Bayrous von 0,7% seien jetzt noch unrealistischer. Frankreichs Wirtschaft dürfte in diesem Jahr belastet von der Ungewissheit bestenfalls 0,5% zulegen, erwartet er. Der wahre Realitätstest für Frankreich stünde dann aber im nächsten Jahr an, wenn es bei der Emission von Staatsanleihen mit Deutschland konkurrieren müsse. Die ab 2021 begonnene langsame Herabstufung französischer Schulden dürfte sich dann beschleunigen, glaubt Dembik.
Kompromisse beim Haushalt
„Die Volatilität der französischen Spreads könnte nach dem verlorenen Vertrauensvotum für Bayrou zunehmen“, meint Mauro Valle, Head of Fixed Income bei Generali Investments. Zumal sich an den zersplitterten Verhältnissen in der Assemblée Nationale nichts geändert hat. Sie ist seit den vorgezogenen Parlamentswahlen 2024 in drei ungefähr gleich große Blöcke gespalten. Die künftige Minderheitsregierung muss deshalb versuchen, sich die Unterstützung der konservativen Republikaner und oder der Sozialisten zu sichern. Die Republikaner haben bereits erklärt, nicht für eine neue Regierung zur Verfügung zu stehen, sollte ein Sozialist Ministerpräsident werden. Deshalb wird in Paris spekuliert, Macron könnte einen Vertrauten oder einen Experten berufen, der mit den Sozialisten kompatibel ist, ihnen aber nicht angehört.
„Bei der Bildung einer neuen Regierung müssen Kompromisse eingegangen werden“, meint Peter Goves von MFS Investment Management. „Das bedeutet, dass der Haushalt weniger ambitioniert als bisher ausfallen wird.“ Bayrous Regierung wollte das Defizit 2026 auf 4,6% reduzieren. Dieses Jahr soll es auf 5,4% sinken. „Bei einem zu erwartenden Kompromiss dürfte das Defizitziel einer neuen Regierung in der Mitte liegen“, sagt Goves. Das wichtigste sei jetzt, eine Regierung zu bekommen, die den Haushalt durchbringen könne. Wenn das gelingt, könnten die Risikoaufschläge auf französische Staatsanleihen wieder etwas sinken. Letztes Jahr betrug das Defizit 5,8% des Bruttoinlandprodukts (BIP), die Verschuldung 113%, weit mehr als erlaubt.