Großbaustelle bei Schwarz-Rot

Regierung steckt fest auf dem Weg zum Wachstumsziel

Im ersten Regierungsjahr von Schwarz-Rot bleibt Wachstum aus. Die Wirtschaft ist bitter enttäuscht. Die Regierung tut einiges, aber zu wenig und das Falsche, um das Wohlstandsversprechen zu erfüllen. Dies lässt sich korrigieren.

Regierung steckt fest auf dem Weg zum Wachstumsziel

Regierung steckt fest in der Umleitung zum Wachstumsziel

Im ersten Regierungsjahr von Schwarz-Rot bleibt Wachstum aus. Die Wirtschaft ist bitter enttäuscht. Die Regierung tut einiges, aber zu wenig und das Falsche, um das Wohlstandsversprechen zu erfüllen. Dies lässt sich korrigieren.

Von Angela Wefers, Berlin

Die Euphorie ist verfolgen. Große Hoffnungen lagen nach der vorgezogenen Bundestagwahl im Februar auf der neuen Bundesregierung. Bis zum Sommer sollte Wesentliches geschafft sein. Dann war ein Herbst der Reformen angekündigt. Die Bürger hat Schwarz-Rot nicht überzeugt. Nach knapp acht Monaten im Amt steckt die Bundesregierung in einem Stimmungstief. Eine Mehrheit stellt ihr ein schlechtes Zeugnis. CDU und SPD werden als zerstritten wahrgenommen. Ihre Umfragewerte sind stark gesunken. Union lag bei der Sonntagsfrage im Dezember drei bis vier Punkte hinter das Ergebnis der Bundestagswahl von 28,5% und sichtbar hinter der AfD. Die SPD verharrt im Tief bei 14% bis 15% und ist damit weit davon entfernt, ihren Status als stolze Volkspartei zurückzugewinnen.

Unerfülltes Versprechen

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte Wachstum und Wohlstand versprochen. Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) lässt keine Gelegenheit aus, Investitionen für Wachstum und Arbeitsplätze heraufzubeschwören. Die Fraktionsspitzen von CDU/CSU und SPD hatten nach ihrer Klausur im September vollmundig angekündigt. „Wir bringen Deutschland auf Wachstumskurs.“ Als Rezept stellten sie wettbewerbsfähige Energiepreise, weniger Bürokratie sowie schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren in Aussicht. Ausgerechnet das ersehnten Wachstum will sich aber nicht einstellen. Vielmehr dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland im dritten Jahr in Folge preisbereinigt gesunken sein.

Die Industrie spürt es noch stärker. Der Dachverband BDI rechnete bei der Produktion des Verarbeitenden Gewerbes 2025 mit einem Minus im vierten Jahr in Folge, nicht zuletzt wegen der hohen Energiepreise. Mit seiner Kritik an der Bundesregierung hält Industriepräsident Peter Leibinger nicht hinter dem Berg: „Der Wirtschaftsstandort befindet sich im freien Fall, doch die Bundesregierung reagiert nicht entschlossen genug“, konstatierte Leibinger jüngst.

Die schwierigen staatlichen Rahmenbedingungen treffen auf eine deutsche Industrie, die im Strukturwandel steckt. Die aggressive Zollpolitik der USA, die angespannten Lieferketten, Verknappung bei seltenen Erden oder geopolitisch Verwerfungen auf einst florierenden Exportmärkten setzen der deutschen Wirtschaft zu. Die Unsicherheit ist groß, Investitionsentscheidungen werden gehemmt. Die Bundesregierung kann allenfalls die Folgen der Veränderung auf den globalen Märkten mildern, Verursacherin ist sie nicht. Sie kann ebenso wenig den verpassten Strukturwandel in angestammten Branchen der deutschen Industrie heilen.

Verzögerte Wirkung

Untätig ist die Bundesregierung nicht, sie steckt aber in der Umleitung auf der Großbaustelle zum versprochenen Wachstums fest. In ihrer erst kurzen Amtszeit sie einiges bewegt. Manches dauert bis es wirkt. So kann der Investitionsbooster mit verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten und der schrittweisen Körperschaftsteuersenkung von 2028 an nicht sofort Erfolg zeitigen. Auch Gesetze zum Bürokratieabbau und zur Planungsbeschleunigung wirken nicht ad-hoc. Eine Gutteil der Misere ist aber auch falsches Erwartungsmanagement. Absehbar unrealistische Versprechen, sollte niemand machen, der daran gemessen werden wird.

Die Regierung tut aber auch das Falsche. Wirtschaftsforschungsinstituten wie das Münchner ifo oder das IfW Kiel haben die Wachstumsaussichten ihre jüngsten Prognosen für die zunächst aussichtsreichen Jahre 2026 und 2027 zurückgenommen. Fachkräftemangel, hohe Lohne(neben)kosten und Energiepreise, bürokratische Hürden und veraltete Infrastruktur behindern demnach die Unternehmen. Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser führt den Verlust an Dynamik in der deutschen Wirtschaft darauf zurück, dass Arbeitskräftepotenzial, Unternehmensinvestitionen und Produktivitätswachstum zurückgehen. „Ohne strukturelle Reformen droht eine weitere Erosion des Wirtschaftsstandorts", warnt Wollmershäuser. Mehr Produktivität gelinge über eine durchgreifende Digitalisierung und ein vereinfachtes Staatswesen, rät er.

Den Plänen der Regierung, mit steuerfreien Überstundenzuschlägen oder der steuerbegünstigten Aktivrente das Arbeitsangebot zu beflügeln, messen viele Ökonomen indessen wenig Wirkung bei. Sie sehen Mitnahmeeffekte voraus oder bezweifeln, dass der Steueranreiz überhaupt geeignet ist, Arbeitskräfte zu mobilisieren. Eingelöste Wahlversprechen aus der CSU wie die Mütterrente oder die Gastrosteuer sind im Wesentlichen teuer, haben aber null Wachstumseffekt. Oder sie sind kostspielig und gehen an veränderten Verhältnissen vorbei −wie eine erhöhte Pendlerpauschale für Arbeitnehmer, die im Homeoffice tätig sind.

Haushaltskonsolidierung nötig

Würde der Bund im Geld schwimmen, wäre dies ein geringes Problem. Das Gegenteil ist aber der Fall. Zwei Bundeshaushalte haben Bundesregierung und Regierungsfraktionen in ihrer kurzen Amtszeit gestemmt – den von der Ampel unerledigten 2025er Etat und das Rechenwerk für 2026. Damit ist die verschleppte Finanzplanung wieder im Rhythmus. Dies ist beachtlich, aber auch von einer Neuverschuldung ohne Extrarechnungen für Infrastruktur und Klima mit derart exorbitanten Werten flankiert, die es nur in den großen Krisen der vergangenen Dekaden gab. Steigende Zinslasten sind die unvermeidliche Folge und engen künftige Ausgabespielräume empfindlich ein.

Ein Weiter so kann es nicht geben. Die Finanzplanung des Bundes weist für die Budgets 2026, 2027 und 2028 milliardenschwere Deckungslücken von zusammen rund 145 Mrd. Euro auf. Konsolidierung ist angesagt. Damit führt an Reformen in den sozialen Sicherungssystemen kein Weg vorbei. Nicht nur aktuell schon muss der Bund Löcher bei Rente, Gesundheit und Pflege decken. Die Alterung der Bevölkerung zeichnet zudem eine Entwicklung vor, die mittelfristig bei einem Weiter-so weder aus öffentlichen Budgets, noch von Bürgern und Arbeitgebern zu schultern ist.

Den erschreckend rasanten Anstieg der Sozialbeiträge zeigte jüngst der Wirtschaftsweise Martin Werding auf. Sie könnten 2030 schon 45% der beitragspflichtigen Einkommen erreichen und 2040 sogar 50% oder noch mehr. Dies verringert nicht nur die Nettolöhne und Beschäftigungschancen jüngerer Arbeitnehmer. Bei paritätischer Finanzierung belasten die Beiträge auch als Lohnnebenkosten die Arbeitgeber. Schon viele Regierungen haben die längst nötigen Reformen verschleppt. Länder wie Schweden zeigen, dass der frühzeitige Aufbau einer kapitalgedeckten Altersvorsorge das Umlagesystem solide entlasten kann. Schafft es diese Bundesregierung nicht, das Thema zu lösen, wird allein sie dafür verantwortlich gemacht werden. Um so verwunderlicher ist, dass Entscheidungen nun erneut in eine Rentenkommission vertagt worden, der Vorschläge entwickeln soll, die längst auf dem Tisch liegen. Dies löst nichts. Die schwere Einigung steht Schwarz-Rot dennoch bevor.

Schuldenbremse reformieren

Revidieren muss die Regierung 2026 auch ihrem Umgang mit Geld, wenn sie reüssieren will. Die Reformkommission für die Schuldenbremse will Anfang des Jahres ihre Ergebnisse parat haben. So konträr wie das Gremium besetzt ist, wird es keine Blaupause liefern, die ohne Auseinandersetzung in der Koalition in ein Gesetz gegossen werden kann. Die Geldschleusen weiter zu öffnen, verbietet sich als Lösung. Das zeigt sich schon an den Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität. Zu wenig davon wird für investive Zwecke eingesetzt und zu viel für konsumtive Ausgaben.

Einem flüchtigen Frieden in der Koalition mag dies 2025 geholfen haben. Absehbar fällt es der Regierung aber auf die Füße. Der Wachstumseffekt, den diese Regierung so sehr als Erfolgsbarometer braucht, ist damit viel geringer als er sein könnte. Die Wirtschaftsweisen hatten im Jahresgutachten aufgezeigt, dass investive Ausgaben eine deutlichen Multiplikatoreneffekt haben und substanzielles Wachstum entfalten können. Bei Konsum- und Verteidigungsausgaben liegen die Multiplikatoren hingegen unter eins.

Koalition muss am Gelingen interessiert sein. Es ist der einzige Weg für beide Koalitionspartner, wieder auf die Erfolgsspur zu kommen. 2026 ist das Jahr, in dem die Regierung die große Reformen anpacken muss. Die anstehenden Landtagwahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im März sowie Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern im September lassen mehr politisches Manövrierfeld als in den Folgejahren. 2027 wird in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holsten, Bremen, dem Saarland und Niedersachsen gewählt. 2028 wirf schon die nächste Bundestagswahl ihre Schatten voraus. Gewählt wird zudem im Herbst in Bayern und Hessen. Dann zählen ganz andere Themen als Sachfragen.