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Ein Stuhlklassiker wird wiederentdeckt

Italien verfügt über eine Vielzahl von Design-Klassikern. Einer davon ist der Chiaverina-Stuhl aus dem ligurischen Städtchen Chiavari.

Ein Stuhlklassiker wird wiederentdeckt

Notiert in Mailand

Leidenschaft für einen Stuhl-Klassiker

Der Chiavarina bezaubert Architekten und Designer

Von Gerhard Bläske
bl Mailand

Das ligurische Städtchen Chiavari, knapp 30 Kilometer östlich von Genua gelegen, ist mit seinen malerischen Laubengängen ein touristisches Schmuckkästchen. Den Besuchern weniger bekannt ist, dass es auch Heimat des charakteristischen Chiavarina ist – ein Stuhl, der einst in vielen Königshäusern zu finden war und heute Innendesigner und Architekten fasziniert. Vor knapp 220 Jahren entworfen, besticht seine Urform aufgrund ihrer Eleganz, des geringen Gewichts von gerade mal 1,3 Kilogramm, einer enormen Stabilität und Elastizität. Der Stuhl hob sich ab von den schweren, klobigen und oft reich verzierten Stühlen der Zeit.

Neben der Urform gibt es heute behutsame Weiterentwicklungen. Doch mit Ausnahme von zwei Herstellern sind alle ursprünglichen Produzenten verschwunden. Sie wurden Opfer billigerer, teilweiser stapelbarer Imitationen, die etwa als Chiavari-Hochzeitsstühle bekannt sind. Es wurde versäumt, Patentschutz zu beantragen.

Handwerk pur

Die Fahne hoch halten die Fratelli Levaggi. Der Ursprungsbetrieb wurde 1963 von dem Dreher Rinaldo Levaggi und seinen drei Brüdern übernommen. Paolo und sein Bruder Gabriele repräsentieren die dritte Generation. In ihrem Betrieb an der Via Parma, drei Kilometer vom Zentrum entfernt, arbeiten zehn Mitarbeiter, überwiegend junge Leute. Die Hölzer − Ahorn, Wildkirsche, Buche und Esche − werden im bergigen Hinterland geschlagen. Nach zwei bis fünfjähriger Lagerung werden sie verarbeitet – alle Arbeitsschritte erfolgen rein handwerklich. Da wird gedrechselt, gebogen, gesägt, gebohrt, gefeilt und geleimt. In den Stühlen finden sich weder Nägel noch Schrauben. Nur drei bis vier Stühle können so pro Tag fertiggestellt werden. „Und mehr sollen es auch nicht werden“, sagt Paolo Levaggi, der keine Kompromisse bei der Qualität eingehen will. Die Sitze werden mühsam geflochten – nicht mehr wie früher von Frauen unter den Lauben in Chiavari, sondern in Heimarbeit. Paolo hat Architektur studiert, bevor er in den elterlichen Betrieb zurückkehrte. Er sieht sich auch als Wahrer einer kulturellen Tradition. Er arbeitet mit dem Designer Matteo Thun zusammen, aber auch mit Modehäusern wie Fendi und Laura Biagiotti. Die Chiavarine sind Teil des „Made in Italy“, so wie Alessi, Armani oder die Vespa.

In der Stadt wird man sich bewusst, welche Schätze man beherbergt. Es gibt Ausstellungen und Veranstaltungen zu dem Thema. Der Holzbildhauer Franco Casoni, ein wandelndes Archiv, und sein Sohn Jacopo haben ein Buch über die „Leichten Stühle von Chiavari“ verfasst. So findet der Stuhl, der in einer ähnlichen Form von der österreichischen Firma Thonet angeboten wird, wieder die Anerkennung, die ihm gebührt.

In Chiavari sind die Stühle in vielen Caffès zu finden. Im Gran Caffè Defilla, in dem seit 35 Jahren jeden Samstag der Musiker Marco Bugliani italienische Musik-Klassiker zum Besten gibt, stehen viele Dutzende davon. Seit Jahrzehnten.