Japans Schuldenkrise meldet sich zurück
Japans Schuldenkrise meldet sich zurück
Japans Schuldenkrise meldet sich zurück
Japans Politiker und Notenbanker weichen der neuen Realität aus, dass die Inflation dauerhaft zurückgekehrt ist. Staatsanleihen und Währung verlieren an Wert.
Von Martin Fritz, Tokio
Japans langjähriger Notenbankchef Haruhiko Kuroda erklärte den Misserfolg seiner ultraexpansiven Geldpolitik zwischen 2013 und 2023, die auf eine Erzeugung von Inflation zielte, mit dem „deflationären Mindset“ der japanischen Verbraucher. Nach über zwei Jahrzehnten einer leichten Deflation würde ihnen die Fantasie fehlen, sich steigende Löhne und Preise vorzustellen. Erst der Post-Pandemie-Schock im Frühjahr 2022 löste die von Kuroda angestrebte Inflation aus. Seitdem liegt die Teuerungsrate über dem 2%-Ziel der Bank of Japan, fast jeden Monat wuchsen die Preise schneller als die Löhne.
„Fiskalische Nachhaltigkeit“
Umfragen zufolge gehen Konsumenten und Manager inzwischen davon aus, dass die Inflation dauerhaft nach Japan zurückgekehrt ist. Doch Politiker und Notenbanker sind in dem von ihnen beklagten deflationären Mindset steckengeblieben. Sie halten an den fiskal- und geldpolitischen Rezepten aus der Zeit der Deflation fest, insbesondere an niedrigen Zinsen und hohen Staatsausgaben. Die Inflation bekämpfen sie mit staatlichen Subventionen. Damit wecken sie jedoch neue Sorgen vor einer Schuldenkrise. Staatsanleihen (JGBs) und der Yen verloren an Wert. Ausländische Adressen reiten diese Trends mit mehr Yen-Carry-Trades und verstärktem JGB-Handel. Ihr Anteil daran sprang auf 65%, was die Kursvolatilität erhöhte.
Dennoch normalisiert die Bank of Japan (BoJ) ihre Geldpolitik in Zeitlupe: Am Freitag dieser Woche wird sie wohl ihren Leitzins um einen viertel Punkt auf lediglich 0,75% erhöhen. Für 2026 erwartet die Mehrheit der Analysten nur noch einen Zinsschritt auf 1%. Währenddessen kauft die BoJ immer noch JGBs für monatlich rund 3 Bill. Yen (17 Mrd. Euro), gerade mal halb so viel wie unter Kuroda. Bei einer erwarteten Inflation von 1,8% im Jahr 2026 würden die Realzinsen weiter negativ bleiben.
Enorme Preissubventionen
Auch die neue Premierministerin Takaichi handelt in alten Kategorien. Den größten Nachtragshaushalt seit der Pandemie, der zur Hälfte aus Subventionen gegen gestiegene Energiepreise besteht, finanziert sie zu zwei Dritteln mit neuen Anleihen. Takaichi nennt ihre Fiskalpolitik „verantwortungsvoll und proaktiv“. Gemeint ist, dass die Staatsschuldenquote nicht steigt. Tatsächlich sank Japans Schuldenquote von 258% im Jahr 2020 auf 237% im Vorjahr, weil höhere Steuereinnahmen das Defizit im Primärhaushalt, also ohne den Schuldendienst, und somit die Neuverschuldung kontinuierlich schrumpfen ließen.
Takaichis Politik beendet die positiven Trends: Sie will die Steuerlast senken und mehr Schulden aufnehmen. Dafür muss der Staat höhere Zinsen zahlen. Die 10-jährige JGB-Rendite kletterte bereits auf fast 2%. Das Finanzministerium erwartet einen Anstieg bis 2028 auf 2,5%. Dadurch würden sich die staatlichen Zinszahlungen bis 2028 gegenüber 2024 auf 16,1 Bill. Yen (88 Mrd. Euro) mehr als verdoppeln. Gemäß einer Einschätzung von Oxford Economics dürften die erhöhten Schuldenkosten die expansive Fiskalpolitik von Takaichi spätestens 2028 beenden.
Als Inflationstreiber und damit als Konsumbremse wirkt der schwache Yen, da Japan alle Kraftstoffe, viele Nahrungsmittel und Produktionsgüter importieren muss. Auch beim Yen zeigt sich eine auffällige Anomalie: Seit April wertete Japans Währung ab, obwohl der Renditeabstand bei 10-jährigen Staatsanleihen zu den USA schrumpfte. Der reale Wechselkurs sank auf den niedrigsten Stand seit über 50 Jahren. Schnelle Zinsschritte und eine solide Fiskalpolitik könnten den Yen stärken, werden aber eben nicht erwogen.
Linke Tasche, rechte Tasche
Die fallenden Kurse von Währung und Staatsanleihen bedeuten nicht, dass ein Crash droht. Erstens liegt Japans Nettoschuldenquote mit 155-160% des BIPs weit unter der Bruttoquote von 230-255%, abhängig von der Quelle sowie vom Kurswert, da der japanische Staat gewaltige Assets besitzt, etwa Pensionsfonds und Devisenreserven. Zweitens sank die konsolidierte Nettoschuldenquote von 145% im Jahr 2013 auf 95%, da die BoJ rund 50% der JGBs aufkaufte und der Staat sich dieses Geld nach dem Prinzip linke Tasche, rechte Tasche quasi selbst schuldet. Drittens fielen die staatlichen Nettozinszahlungen von 1% in 2012 auf 0,03% des BIP in 2024. Es wird also einige Zeit dauern, bis höhere Zinsen auf den Staatshaushalt durchschlagen.
Diese Umstände erleichtern es Japans Elite, trotz aller Bedenken weiter eine lockere Geld- und Fiskalpolitik zu verfolgen. Dabei übersehen sie die demografischen Belastungen. Zum einen nehmen durch die starke Alterung die Sozialausgaben stetig zu. Ihr Anteil am Staatshaushalt (ohne Schuldendienst) liegt bereits bei 44%. Zum anderen schrumpft die Bevölkerung rasant: Allein in diesem Jahr wird die Zahl der Japaner um eine knappe Million netto schrumpfen. Der Ausländerzuzug gleicht nur ein Drittel davon aus.
Demografische Belastungen
Unterm Strich schrumpft die Zahl der Einwohner in diesem Jahr netto um rund 0,5% bei einer erwarteten realen Wachstumsrate von plus 0,9%. Japans Unternehmen sehen ihre Wachstumschancen daher eher im Ausland. Zwischen Januar und November nahmen sie erstmals seit 35 Jahren mehr Auslands- als Yen-Kredite auf, nämlich 25 Bill. Yen (137 Mrd. Euro) im Ausland gegenüber 21 Bill. Yen in der Heimat. Ein Grund mag die beschränkte Kapazität des japanischen Anleihemarktes sein, insbesondere im spekulativen Hochzinsbereich. Aber Auslandskredite kosten die Unternehmen weniger als früher: In diesem Jahr stieg die 10-jährige Rendite in Japan um 0,9 Punkte, in den USA fiel sie um 0,4 Punkte. Dazu kommt das offenbar als hoch eingeschätzte Kursrisiko bei der Finanzierung einer Auslandsexpansion mit Yen-Krediten.
Die Regierung konzentriert sich jedoch nicht darauf, die Produktivität zu steigern, um die sinkende Zahl von Erwerbstätigen auszugleichen. Takaichi will öffentlich-private Investitionen in 17 ausgewählten Sektoren fördern, die von Technologien (KI, Quantencomputer) bis zum Schiffbau und der Hafenlogistik reichen, um das Wachstum anzukurbeln und unabhängiger von China zu werden. In ihrer ersten Regierungserklärung versprach Takaichi dem Mittelstand und Kleinbetrieben, die Steigerung der Produktivität zu fördern. Doch die Hauptmaßnahme dafür sind Subventionen für die Entwicklung und Anwendung von neuen Technologien. Davon profitierte in der Vergangenheit laut Ökonom Richard Katz nur eine dünne Schicht von Großkonzernen, weil ihnen die Kommerzialisierung gelingt. Bei den übrigen 90% der Beschäftigten habe es keine Produktivitätsgewinne gegeben.
