Im BlickfeldStimmung vor Putins Jahrespressekonferenz

Russlands Wirtschaft wünscht den Frieden – und rechnet mit einem Schock

Die Wirtschaft war Putin nie egal, aber in der Priorität hinter der Geopolitik immer sekundär. Viele Wirtschaftstreibende hätten – so wie das Volk auch – gern endlich Frieden. Aber nicht allen ist wahrscheinlich bewusst, was er so alles mit sich bringen wird.

Russlands Wirtschaft wünscht den Frieden – und rechnet mit einem Schock

Russlands Wirtschaft wünscht den Frieden

Die Wirtschaft war Putin nie egal, aber in der Priorität hinter der Geopolitik immer sekundär. Viele Wirtschaftstreibende hätten – so wie das Volk auch – gern endlich Frieden. Aber nicht allen ist wahrscheinlich bewusst, was er so alles mit sich bringen wird.

Von Eduard Steiner, Moskau

Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin am Freitag dieser Woche seine berühmte Jahrespressekonferenz veranstaltet, die er mit den Fragen seitens der Bevölkerung verbindet, so kann er sich über mangelndes Interesse nicht beklagen. Sage und schreibe 1,6 Millionen Fragen seien mit Stand Dienstag bereits eingegangen, ließ der Kreml wissen. 702.000 davon kamen telefonisch, 327.000 über den Messenger Max, 262.000 als SMS, der Rest über Soziale Netzwerke oder über die Kreml-Homepage. Wie viele heikle Fragen darunter sind, wird man nicht erfahren. Und deshalb auch nicht, ob jemand von Putin wissen will, was eigentlich aus dem berühmt-berüchtigten Gesellschaftsvertrag geworden ist.

Dieser war noch in den Nullerjahren zwischen der Staatsführung und der Bevölkerung abgeschlossen worden und hatte auf den Punkt gebracht so gelautet: Ihr, die Bürger, verzichtet auf politische Einmischung im Sinne einer über die demokratisch mangelhaften Wahlen hinausgehenden Partizipation an der Macht. Und im Gegenzug gewährleisten wir wirtschaftliche Wohlfahrt. Natürlich hätte Putin mit seinem rhetorischen Geschick auch darauf eine Antwort, die beschwichtigen würde. Aber wenn jemand hartnäckig bliebe und seine Nachfrage mit Daten untermauern würde, käme Putin ins Schwitzen.

Ende des Wachstums

Denn während die Bürger ihren Teil des Vertrags einhalten und aufgrund der immer autoritäreren Verhältnisse einhalten müssen, hat der Staat den Vertrag gebrochen. Natürlich kann er den Menschen nun geopolitischen Bedeutungsgewinn als Ersatz anbieten. Aber das wirtschaftliche Werk läuft nicht mehr rund.

Das Wirtschaftsministerium hält noch an der Prognose fest, dass das Bruttoinlandsprodukt 2025 um ein Prozent wächst. Aber „die schwache Produktionsdynamik, der Rückgang des Konsums und der schwächere Beitrag der Schlüsselbranchen zur wirtschaftlichen Dynamik deuten auf einen möglichen Übergang der russischen Wirtschaft in eine Stagnationsphase hin“, schreibt die Zeitung „Kommersant“ und verweist auf die aktualisierte Prognose des Instituts für volkswirtschaftliche Prognosen der Russischen Akademie der Wissenschaften. Ihm zufolge geht die Phase der kontrollierten Abkühlung zu Ende und die Wirtschaft hat aufgehört zu wachsen. Dies wird auch von der staatlichen Statistikbehörde Rosstat bestätigt: Unter Berücksichtigung saisonaler Schwankungen ging das BIP von Quartal zu Quartal im ersten Vierteljahr um 0,7 Prozent zurück, um dann im zweiten und dritten Vierteljahr nur noch mit 0,3 bzw. 0,1 Prozent zu wachsen.

Nur Militär und Verwaltung wachsen

Und mit Verweis auf die Analysten der Raiffeisenbank fügt der „Kommersant“ noch hinzu, dass die meisten Branchen nur noch einen geringen Beitrag zur wirtschaftlichen Dynamik leisten. „Die einzige stabile Quelle für das Wachstum bleibt die öffentliche Verwaltung und die Deckung des Militärbedarfs mit einem Beitrag von etwa 0,4 Prozentpunkten“.

Russland hatte schon nach der Krim-Annexion bis 2020 de facto eine Stagnation durchlaufen. Die hohen Militärausgaben hatten dann 2023 und 2024 für ansehnliche Wachstumsraten von über vier Prozent gesorgt. Doch weil die Sanktionen zu Angebotsmängeln geführt haben und die Zentralbank als Antwort auf die hohe Inflation den Leitzins seit vergangenem Herbst bei anfänglich 21 Prozent festsetzte und nun noch immer auf hohen 16,5 Prozent hält, würgt das die Wirtschaft ab. Vom Beginn eines zweiten verlorenen Jahrzehnts spricht daher Vladislav Inozemcev, zwischen 2009 und 2011 Wirtschaftsberater des Kremls und heute Ökonom in den USA, gegenüber der „Börsen-Zeitung“.

Gewiss, man müsse sich von der Illusion verabschieden, dass sich das russische Volk erhebe, nur weil es schlechter lebt, sagt Inozemcev. Auch hätten die Menschen keine moralischen Bedenken wegen des Krieges. Aber „sie sind genervt, weil vieles nicht mehr funktioniert“. Die wiederholte Abschaltung des Internets etwa, Probleme wegen der Benzinversorgung, oder die vielen Flugausfälle aufgrund der Drohnenangriffe.

Zwei Drittel wollen Frieden

Einer Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Levada-Centre vom November zufolge unterstützen zwar nach wie vor 74 Prozent der Befragten das Vorgehen der russischen Streitkräfte in der Ukraine, während nur 17 Prozent dagegen sind. Aber zwei Drittel sind für einen Übergang zu Friedensverhandlungen, während sich die Befürworter einer Fortsetzung des Krieges auf ein Viertel der Befragten und damit auf den niedrigsten Stand seit Beginn der soziologischen Beobachtung reduzierten.

Die Tendenz deckt sich mit dem Wunsch der Wirtschaftstreibenden nach einem Frieden. Sichtbar wurde das immer wieder an der russischen Börse. Wenn Friedensinitiativen gestartet wurden, stieg sie deutlich an. Als aber die Nachrichtenagentur Bloomberg am Mittwoch berichtete, dass die USA neue Sanktionen gegen Russland vorbereiten, drehte der Leitindex iMOEX in den roten Bereich. „Die russische Börse reagiert auf positive Signale zwischen Trump und Putin immer positiv“, erklärt Vasily Astrov, Russland-Experte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), im Gespräch mit der „Börsen-Zeitung“: „Die Reaktion zeigt, wie gut ein Friede der Wirtschaft tun würde“.

Aber wie stellt man sich den Übergang in die Nachkriegszeit vor? Man weiß, dass eine gewisse Aufhebung der Sanktionen Teil des Friedensplans sein wird. Man weiß auch, dass große Wirtschaftskooperationen zwischen den USA und Russland angedacht sind. Blickt man auf die Börse, so würde allein ein Waffenstillstand die Risikoprämie beseitigen und wäre ein wesentlicher Treiber, wie eine ganze Reihe Analysten in einer Analyse des russischen Wirtschaftsmediums RBK neulich zu Protokoll gab. Bei einem nachhaltigen Frieden erwarten Optimisten ein Kursplus von bis zu 30 Prozent auf Einjahressicht.

Frieden würde Schock auslösen

Gewiss, die Börse würde einen künftigen Wirtschaftsaufschwung lediglich antizipieren. Eintreten dürfte er allgemeiner Einschätzung zufolge aber erst mit der Zeit. „Mittel- und langfristig wird die Wirtschaft profitieren, denn auch wenn Europa zögert, steht zumindest eine Kooperation mit den USA im Raum“, sagt Ökonom Astrov: „Kurzfristig jedoch ist aufgrund rückläufiger Militärausgaben ein Schock zu erwarten“.

Es wird den Experten zufolge ein gemischtes Bild: So würde die ersehnte Rückkehr ausländischer Direktinvestitionen der Industrie einen Modernisierungs- und Produktivitätsschub verleihen. Ob die teilweise de facto enteigneten Unternehmen schnell zurückkommen wollen und das vielfach vereinbarte Rückkaufrecht auch gewährt bekommen, ist eine andere Frage. In jedem Fall erwarten Experten, dass der steigende Import und der Zustrom von Arbeitskräften – nämlich auch jener, die aus Angst vor einem Fronteinsatz geflüchtet sind – die immer noch hohe Inflation dämpfen wird. Und das wiederum hätte zur Folge, dass die Zentralbank den Leitzins zügiger senken kann, was die Menschen in den Konsum treiben und die Wirtschaft ankurbeln würde.

Bleibt nur die Frage, wann der Krieg aufhört. Sie würde laut Levada-Umfrage jeder Fünfte der Befragten am Freitag stellen, wenn er die Möglichkeit dazu hätte.