Haftungsvergleiche im VW-Dieselskandal: Zurück auf Los
Haftungsvergleiche im VW-Dieselskandal: Zurück auf Los
Haftungsvergleiche im VW-Dieselskandal:
Es geht zurück auf Los
Beschlüsse stehen zur erneuten Entscheidung an
Von Frauke Möhrle*)
Der sogenannte Dieselskandal hatte dieses Jahr 10. Geburtstag. Inzwischen ist schon so manches aufgeräumt, aber nun hat der Bundesgerichtshof (II ZR 154/23) am 30. September 2025 anlässlich der Zustimmungsbeschlüsse der Hauptversammlung der Volkswagen AG zu den Vergleichen von VW mit ehemaligen Vorstandsmitgliedern („Haftungsvergleiche“) und den D&O-Versicherern („Deckungsvergleich“) Recht gesprochen. Eine D&O-Versicherung bietet Versicherungsschutz etwa für Vorstände, die wegen einer Pflichtverletzung bei Ausübung ihrer Tätigkeit für Vermögensschäden in Anspruch genommen werden.
Deckungsvergleich nichtig
Die Hauptversammlung von VW fasste im Jahr 2021 mit großer Mehrheit die wegen der Verzichte auf Ersatzansprüche notwendigen Zustimmungsbeschlüsse zu den Vergleichen. Doch den Zustimmungsbeschluss zum Deckungsvergleich erklärte der BGH für nichtig und wegen der HV-Beschlüsse zu den Haftungsvergleichen wies er das Oberlandesgericht Celle zur erneuten Entscheidung an. VW hatte zuvor vergeblich versucht, diese Entscheidung abzuwenden. VW beantragte die Verlegung des Termins zur Urteilsverkündung, um noch einen Bestätigungsbeschluss der HV einzuholen. Es gibt zwar die rechtliche Möglichkeit, durch einen wirksamen Bestätigungsbeschluss etwaige Mängel zu heilen. Doch VW kam zu spät. Der BGH lehnte die Verlegung ab, denn VW hätte die Beschlüsse längst durch die HV bestätigen lassen können.
D&O-Versicherer beteiligt
Doch der Reihe nach: Am 9. Juni 2021 schloss u.a. VW mit seinem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden, Prof. Dr. Winterkorn, und seinem ehemaligen Vorstandsmitglied, Rupert Stadler, Haftungsvergleiche wegen möglicher Schadenersatzansprüche von VW im Dieselskandal beruhend auf dem Vorwurf, fahrlässig die Aufklärung des Einsatzes unzulässiger Softwarefunktionen von Dieselmotoren unterlassen zu haben. Gegen Verzicht von VW auf Schadenersatzansprüche und Freistellung von Ansprüchen Dritter aus diesen Vorwürfen verpflichtete sich Herr Winterkorn zu einem Eigenbeitrag in Höhe von insgesamt 11,2 Mill. Euro und Herr Stadler zu einem Eigenbeitrag in Höhe von 4,1 Mill. Euro. Mit den D&O-Versicherern einigte sich VW auf eine Zahlung von insgesamt rund 270 Mill. Euro. VW verpflichtete sich in dem Deckungsvergleich auch, sämtliche weitere Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat nicht mehr in Anspruch zu nehmen.
Schadenersatzansprüche
Und genau hier lag das Problem: VW hätte laut BGH bei der Einladung zur HV schon in der Tagesordnung darauf hinweisen müssen, dass der Deckungsvergleich einen Verzicht der Gesellschaft auf Schadenersatzansprüche gegen sonstige Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder beinhaltet. Dies ergab sich ausdrücklich nur aus dem der Tagesordnung beigefügten Vergleich und dem Bericht von Aufsichtsrat und Vorstand dazu. Auch wenn diese Unterlagen in der Tagesordnung als Bestandteil der Einberufung bezeichnet wurden, ist es nicht zwingend, dass ein verständiger Aktionär bei einer „Beschlussfassung über die Zustimmung zu einer Vergleichsvereinbarung mit den D&O-Versicherern der Volkswagen Aktiengesellschaft“ die Zustimmung zu einem in diesem Vergleich enthaltenen Verzicht von VW gegenüber sonstigen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern erwartet, zumal diese gar nicht Partei der Vereinbarung waren. Bei den Zustimmungsbeschlüssen zu den Haftungsvergleichen beanstandete der BGH, dass VW nicht genug Auskünfte zur Vermögenslage von Herrn Winterkorn und Herrn Stadler gegeben hätte. Dies wäre aber erforderlich gewesen, da laut VW die finanzielle Leistungsfähigkeit der in Anspruch genommenen Personen auch unter Berücksichtigung der Versicherungssumme weit hinter den behaupteten Schäden zurückbleibe. So muss nun das OLG erneut verhandeln und entscheiden.
Erledigungswirkung eingeschränkt
Jetzt ist aufgrund der Nichtigkeit des Zustimmungsbeschlusses der HV zum Deckungsvergleich auch der Deckungsvergleich selbst wegen der enthaltenen Verzichtsregelung nichtig, sodass sich VW und die D&O-Versicherer gewährte Leistungen zurückzuerstatten haben. Die Haftungsvergleiche regeln, dass dann auch ihre Erledigungswirkung eingeschränkt ist. VW kann weiter gegen Herrn Winterkorn und Herrn Stadler vorgehen, um eine Inanspruchnahme der D&O-Versicherer aus dem Versicherungsvertrag zu ermöglichen, wenn die Versicherer ihre Leistungen zurückfordern. Bei Leistung der Eigenbeiträge durch die ehemaligen Vorstandsmitglieder beschränkt sich dieses Vorgehen aber auf den Freistellungsanspruch gegen die Versicherer. Ob der Haftungsvergleich Bestand hat, wird sich erst nach der Entscheidung des OLG zeigen.
Dann also zurück auf Los! Die HV von VW wird wieder entscheiden müssen, falls die Beteiligten an einer Vereinbarung festhalten wollen. Spannend wird dies wegen der zwischenzeitlichen Sachverhaltsaufklärung und rechtlichen Aufarbeitung des Dieselskandals, welche sich VW und den D&O-Versicherern bei Abschluss der Vergleiche 2021 möglicherweise anders darstellte als heute.
*) Dr. Frauke Möhrle ist Partnerin und Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht bei Möhrle Happ Luther.