Europas Unternehmen „werden mit der nationalen Brille nicht weiter kommen“
Europas Unternehmen „werden mit der nationalen Brille nicht weiter kommen“
„Wir werden mit der nationalen Brille nicht weiter kommen“
Europas Unternehmen setzen verstärkt auf „Regionalisierung“ wichtiger Geschäftsteile, um geopolitische Risiken abzufangen. Aus Expertensicht ist zugleich eine stärkere Integration des Binnenmarktes nötig, um Barrieren abzubauen und mehr Wachstum zu ermöglichen.
Von Heidi Rohde
Wachsende geopolitische Konflikte und der Zerfall einer liberalen globalen Handelsordnung sind „eigentlich kein Novum des Jahres 2025“, wie Famke Krumbmüller, Partnerin bei EY Parthenon, sagt. Allerdings hätten viele Unternehmen in Europa gehofft, die Entwicklung, die mit der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump eskaliert ist, sei „doch irgendwie temporär“. Das glauben allerdings mittlerweile weder politische Beobachter noch Ökonomen. Eine zentrale Folge ist: „Es gibt nicht mehr die eine globale Strategie, mit der deutsche und europäische Unternehmen in der Vergangenheit sehr erfolgreich waren.“ Stattdessen brauche es jetzt „mutige Entscheidungen“.
Noch viel Potenzial
Großes Potenzial sehen Unternehmen und Ökonomen in einer stärkeren Ausschöpfung des EU-Binnenmarktes. „Der europäische Binnenmarkt bietet auf jeden Fall noch Potenzial für deutsche Exporte und kann insbesondere dazu beitragen, negative Effekte der US-Zollpolitik zu kompensieren,“ betont Alexander Sandkamp, Professor am Weltwirtschaftsinstitut in Kiel. Das zeige schon ein Blick auf den Status Quo: 2024 exportierte Deutschland Waren im Wert von knapp 846 Mrd. Euro (54,4% der Gesamtexporte) in die Mitgliedsländer der EU – gut fünfmal so viel wie in die USA (10,4%). „Es benötigt also nur eine verhältnismäßig kleine prozentuale Erhöhung der Exporte in die anderen EU-Mitgliedsländer, um nachlassende Exporte in die USA zu kompensieren“, so der Ökonom.
„Kulturelle Cluster“
Tatsächlich beobachten Experten nicht nur einen „langsamer wachsenden Welthandel“, sondern auch wirtschaftlich die „Ausbildung kultureller Cluster“, erklärt Wolfgang Schnellbächer, Managing Director & Senior Partner bei Boston Consulting. Als solche herausgebildet hätten sich neben China oder den USA auch die westliche Welt, inklusive osteuropäischer Staaten, darüber hinaus Russland und befreundete Länder. Die Beobachtung deckt sich mit einer Studie von EY Parthenon zu Lokalisierungs- und Regionalisierungsstrategien von Unternehmen. In der CEO-Befragung vom September gaben in Europa 38% der Manager an, ihre Produktion bereits stärker „lokalisiert“ zu haben, was in diesem Falle zunächst prinzipiell die Zusammenführung von Produktionsstandort und Vertriebsland meint. Rund ein Fünftel hat bereits eine „Regionalisierung“ nach diesem Prinzip vollzogen. Weitere 35% sind dabei, solche Schritte zu implementieren. Bei beiden Strategien legen insbesondere deutsche und französische Unternehmen den primären Fokus auf Westeuropa als Region – jeweils 88% bzw. 61% der befragten CEO. An zweiter Stelle mit immerhin 47% bzw. 39% steht indes das Zielland USA.

Allerdings spiegelt die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen in Europa, wie sie auch in der von EY erhobenen Umsatzentwicklung der Dax-Unternehmen im dritten Quartal exemplarisch deutlich wird, nicht grundsätzlich, dass Europa als Absatzraum für die heimischen Unternehmen an Bedeutung gewinnt. „Vertriebswege sind sehr viel aufwendiger zu ändern als Einkaufswege“, so Schellbächer. Deutsche Unternehmen beziehen daher Vorprodukte verstärkt aus osteuropäischen Ländern, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren. „Das geht bis hin zu einer Zero-China-Strategie“. Darüber hinaus komme es verstärkt zu Produktionsverlagerungen aus Kostengründen, vor allem in Leitindustrien wie Automobil-, Stahl-, oder Chemiesektor. Nicht nur Osteuropa, sondern auch Spanien lockt mit deutlich niedrigeren Energiekosten – der „größte Schmerzpunkt“ hierzulande – sondern mit schlankerer Regulatorik und inzwischen auch mit „Technologie-Expertise“, die etwa in der Autoindustrie auch die Anlieferung von Zulieferkomponenten aus Deutschland überflüssig mache.
Während europäische Länder für die Unternehmen also sowohl aufgrund von geopolitischen Risiken als auch aus Kostengründen zunehmend stärker für Belieferung und Produktion in Betracht kommen, „ist das Zielland für die meisten egal“, meint Schellbächer. Dies gitl vor allem für die Weltmarktführer im Maschinenbau wie Trumpf, Bosch, Heidelberger Druck, Krones und andere.

Dagegen beobachtet EY Parthenon nach den Worten von Krumbmüller durchaus bereits, dass sich der Trend zur „Regionalisierung seit ein paar Jahren auch bereits im Trade Flow niederschlägt“. Dies gelte für vor allem für strategisch wichtige Sektoren wie Verteidigung, aber für sonstige Technologie und Daten getriebene Geschäfte, wo in der CEO-Umfrage 44% entschlossen sind, diese Aktivitäten in der europäischen Region zu konzentrieren.
Marktintegration fehlt vielfach
Unterdessen tut sich Europa trotz aller ernsthaften Bemühungen um Resilienz in Schlüsselindustrien und digitale Souveränität auf der einen sowie Bürokratieabbau zur Lösung von Wachstumsbremsen auf der anderen Seite mit der Stärkung des Binnenmarktes weiterhin schwer. Sandkamp verweist darauf, dass einer Schätzung des IWF zufolge, „das Zolläquivalent der sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnisse im EU-Binnenmarkt 40% beträgt. Die nicht-tarifären Handelshemmnisse haben also die gleiche Wirkung wie ein 40-prozentiger Zoll zwischen den EU-Mitgliedsländern.“ Dabei geht es meist um unterschiedliche regulatorische Anforderungen in einzelnen EU-Ländern. „Als europäisches Unternehmen muss ich mich mit bis zu 27 unterschiedlichen Anforderungen auseinandersetzen“, moniert der Ökonom.
Zentrales Problem
Auch Krumbmüller sieht hier ein zentrales Problem. „Wir werden mit der nationalen Brille nicht weiter kommen“, unterstreicht die Beraterin und verweist unter anderem auf die „fehlende Energiemarktintegration“, die zu der oben beschriebenen Standortkonkurrenz innerhalb Europas führt. Darüber hinaus hat auch sie vor allem die regelrechten Wachstumsbremsen der innereuropäischen Wirtschaft im Blick. Dazu zählt sie ebenfalls die „sehr national geprägten Verbrauchermärkte für Waren und Dienstleistungen“, mit einer Unzahl einzelner Kennzeichnungs- und Materialvorschriften, die den Absatz in Nachbarländern hemmen. Auch die Anerkennung von Berufsqualifikationen innerhalb der EU funktioniert alles andere als reibungslos.
Dabei sticht der Widerstand in Deutschland besonders hervor. So hält beispielsweise das Handwerk an einer stark regulierten Gewerbeordnung fest. Ein eigenständiger Betrieb erfordert die Eintragung in eine Handwerksrolle, diese setzt einen deutschen Meisterbrief voraus. Die Anerkennung ausländischer Berufe gleicht einem olympischen Hürdenlauf, wie die Erfahrungen eines französischen Bäckermeisters zeigen, über den die FT kürzlich berichtet hatte. Der Mann schrieb demnach mehr als 20 Briefe an deutsche und französische Behörden, um ein Gewerbe in Deutschland zu eröffnen und gab schließlich auf.
Hoffnung auf „28th regime“
Mit Blick auf Unternehmensgründungen erhofft sich Krumbmüller Erleichterungen von dem sogenannten „28th regime“, das die EU in Angriff genommen hat. Dessen Ziel ist es, ein harmonisiertes Gesellschaftsrecht zu schaffen, das als Ergänzung zu den bestehenden nationalen Rechtsformen funktioniert und insbesondere die grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit in der EU erleichtert. „Das soll noch im ersten Quartal als Teil der EU-Roadmap vorgestellt werden.“
Als Ergänzung zu solchen Neuerungen wäre aus Expertensicht aber auch die Überprüfung von Missgriffen geboten. Als solcher gilt beispielsweise die sogenannte A1-Bescheinigung, die für die Entsendung von Mitarbeitern ins Ausland innerhalb der EU gefordert wird. Das Ziel, Schwarzarbeit zu vermeiden, hat in der Praxis erheblichen Dokumentationsaufwand zur Folge, der Dienstreisen und den Dienstleistungshandel hemmt, so auch Sandkamp. Allerdings sind auch bei den Dienstleistungen die nicht-tarifären Hemmnisse zwischen den Staaten das Hauptproblem, und sie wiegen sogar noch schwerer als bei Waren. Ihre Zollwirkung ist nach Schätzungen von EZB und IFW auf 100% bis 110% zu taxieren, mit anderen Worten teilweise prohibitiv.
