Finanzplatz Hamburg

Auf Kooperation statt auf Wettbewerb setzen

Von einer stärkeren Vernetzung können alle deutschen Finanzstandorte profitieren. Die Gewinnung von Fachkräften ist ein entscheidender Faktor.

Auf Kooperation statt auf Wettbewerb setzen

Ein Blick zurück in die Gründungszeit der Börsen-Zeitung zeigt, wie sehr sich der Finanzplatz Hamburg gewandelt hat. Die Hamburger Börse als ältester offizieller Börsenplatz in Deutschland hatte den Handel gleich nach dem Krieg wieder aufgenommen, doch erst schrittweise gewann der Kapitalmarkt gegenüber dem direkten Waren- und Leistungstausch an Bedeutung. Ereignisse wie die Währungsreform 1948 oder die Erlaubnis zum Kauf ausländischer Wertpapiere 1956 schufen die Voraussetzungen zur Finanzierung des deutschen Wirtschaftswunders der 1950er- und 1960er-Jahre. Die regionalen Börsen in Westdeutschland und die in Hamburg ansässigen Banken und Versicherungen waren dabei ein wichtiger Bestandteil. Der Parketthandel fand täglich seinen Spiegel in den Kurslisten der Börsen-Zeitung.

70 Jahre später hat sich das Bild grundlegend gewandelt. Regional, ja sogar national beschränkte Börsenplätze haben ihre Bedeutung und Funktion fast ganz verloren; allenfalls mit Nischenstrategien bestehen sie fort. Wieso sollte in diesem Umfeld ein Standort wie Hamburg eine Zukunft als Finanzplatz haben?

Die Antwort kann nicht (nur) in austauschbaren Maßnahmen liegen, wie zum Beispiel technische Infrastrukturen zur digitalen Vernetzung oder Start-up-Finanzierungen be­reit­zustellen. Einer der wichtigsten Faktoren ist, dass Finanzunternehmen in Hamburg hochqualifizierte Menschen mit angemessenen Vergütungen für sich gewinnen können. Doch wie attraktiv ist der Standort Hamburg für Nachwuchs- und Fachkräfte aus der Finanzbranche? In meiner Laufbahn war ich unter anderem in München, im Ausland und in Frankfurt tätig. Neu in Hamburg angekommen, fallen mir Unterschiede zu den großen europäischen und internationalen Finanzzentren ins Auge. Was sind Vorteile, was sind Nachteile, und welche Chancen kann die Stadt für eine positive Entwicklung des Finanzplatzes nutzen?

Auf der Habenseite gibt es einiges zu verbuchen:

Eine jahrhundertealte Tradition als international relevante Hafenstadt und Handelsmetropole mit einem starken Bürgertum; Banken verstehen sich hier bis heute als „Merchant Banks“ und sind eng mit Handel, Wirtschaft und der Stadt verknüpft. Aus dem Bürgertum ist ein starkes Stiftungswesen gewachsen, das neben kulturellen und sozialen Zwecken auch der Wirtschaftsbildung dient.

Die Finanzbranche hat eine immense Bedeutung für die Wirtschaft in der Metropolregion bis hinein nach Skandinavien; dies gilt insbesondere für kapital- und transaktionsintensive Branchen.

Die international orientierte, ­to­lerante und wachsende Stadt hat Magnetwirkung – sie zieht insbesondere Men­schen aus anderen Bundesländern und aus angrenzenden Staaten, wie zum Beispiel Dänemark, Polen, Niederlande und England an.

Doch die Augen dürfen auch vor Nachteilen nicht verschlossen werden:

Banken und Versicherungen haben in den vergangenen drei Jahrzehnten in Hamburg viele Tausend Arbeitsplätze abgebaut, allein von 2008 bis 2019 ging die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Finanzwirtschaft Hamburgs um 6% auf rund 44 300 zurück. Insbesondere große private Geschäftsbanken und Versicherungen mit jahrhundertealter Tradition am Platz haben Unternehmensfunktionen anderswo in Deutschland zentralisiert oder sogar ins Ausland verlagert. Kapitalmarktnahe Positionen wurden nach Frankfurt oder an internationale Finanzplätze wie London transferiert. Hamburg und Schleswig-Holstein haben ihre Landesbanken verloren.

Für Funktionen im qualifizierten Mittelbau von Finanzdienstleistern, bei denen die fachlichen Anforderungen stark gewachsen sind, ist das Rekrutierungspotenzial in Hamburg unter eine kritische Grenze gefallen. So haben Hamburger Banken und Versicherungen derzeit mehrere hundert Stellen für Berufserfahrene ausgeschrieben.

Aus dem Selbstbewusstsein der großen Tradition darf keine Selbstgefälligkeit und damit Stillstand werden. Stete Wiederholungen von „der schönsten Stadt der Welt“ allein schaffen keine Zukunftsfähigkeit. Hamburg darf sich nicht selbst genug sein, sich nicht auf Vergangenheit und Gegenwart ausruhen.

Die finanzwirtschaftlichen Forschungs- und Bildungseinrichtungen Hamburgs stehen zu sehr im Schatten, sie werden nicht ausreichend gestützt und sind deshalb im bundesdeutschen und internationalen Vergleich nicht attraktiv genug. So können sie die eigentlich notwendige Leuchtturmfunktion nicht erfüllen.

Aus den Vor- und Nachteilen lassen sich die Chancen für den Finanzplatz Hamburg ableiten. Sie liegen sicher nicht darin, Ziele zu definieren, die bei einer schonungslosen Bestandsaufnahme als unrealistisch einzuordnen sind: Frankfurt ist der bedeutendste deutsche Finanzplatz, München hat sich zum Zentrum im Venture- und Private-Equity-Bereich entwickelt und Berlin ist der deutsche Fintech- und Start-up-Platz. Hamburg sollte mit diesen Metropolen auf Kooperation statt auf Wettbewerb setzen. Nur von einer stärkeren Vernetzung können alle deutschen Standorte profitieren und der Finanzwirtschaft so letztlich auch auf dem Arbeitsmarkt ein besseres Image bescheren. Hier hat Hamburg traditionell seine Stärken: Als „Tor zur Welt“ weiß die Hansestadt, wie man Allianzen schmiedet und Vorteile für alle Seiten schafft.

Neben der Kooperation innerhalb der bundesdeutschen Finanzwirtschaft braucht es eine koordinierte Kooperation innerhalb der Stadt. Mit dem vom Senat, von der Handelskammer und der Initiative Finanzplatz Hamburg im Oktober 2021 erstellten Masterplan ist ein Anfang gemacht. Doch leider sind in dieser Kooperation wesentliche Institutionen nicht berücksichtigt. So kann die als wichtiger Punkt benannte Fachkräftesicherung nur gelingen, wenn auch Bildungseinrichtungen wie zum Beispiel Universitäten oder private Stiftungen einbezogen werden. Es reicht nicht, nur Anforderungen an diese zu stellen, es wird auch konkrete Maßnahmen brauchen.

Eine der großen Chancen für den Finanzplatz Hamburg bietet die Entwicklung der Stadt an sich. Bei vielen Nachwuchskräften hat die Work-Life-Balance heute einen höheren Stellenwert, als es bei vergangenen Generationen der Fall war. Eine Stadt wie Hamburg, die für junge Menschen und Familien verschiedenster Hintergründe Chancen bietet, hat Vorteile.

Um die jungen Kräfte konkurriert die Finanzdienstleistungsbranche allerdings auch mit völlig anderen Bereichen wie etwa dem öffentlichen Dienst. Banken und Versicherungen müssen ihre Arbeitsmodelle und Vergütungen wettbewerbsfähig gestalten, um mit anderen Branchen mitzuhalten.

Stärken herausarbeiten

Auch Themen wie Nachhaltigkeit (ESG-Faktoren – Environment, So­cial, Governance) und Sicherheit spielen für junge Menschen zunehmend zentrale Rollen bei der Berufswahl. Diese Tendenz wurde sicherlich durch die Corona-Pandemie noch einmal verstärkt. Durch den auf die Finanzmarktkrise und Fehlverhalten von Banken folgenden Reputationsverlust und den erwähnten Abbau von Stellen sendete die Branche kein gutes Signal an junge beziehungsweise künftige Arbeitnehmer. Diese schleichende Entwicklung muss gestoppt werden.

Das kann aber nur gelingen, wenn auch die Banken und Versicherungen vor Ort vermehrt auf Austausch und Kooperation setzen, die jeweils eigenen Stärken besser und konsequenter herausarbeiten und den Nachwuchskräften deutlich machen, wofür sie stehen und welche Bedeutung sie für die Gesellschaft haben. Da ist es kontraproduktiv im falsch verstandenen Wettbewerb mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die Branche und jedes einzelne Unternehmen müssen den Stellenwert für die Wirtschaft künftig noch sehr viel deutlicher betonen, um Nachwuchskräfte für sich zu begeistern und zugleich die gesellschaftliche Akzeptanz für Finanzdienstleister zu steigern. Gelingt dies, so werden auch die nächsten 70 Jahre für die Banken und Versicherungen in Hamburg erfolgreich verlaufen.

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