Finanzielle Bildung

Finanzkompetenz für alle in Deutschland fördern

Eine bundesweite Verankerung der Finanzbildung in den Schulen ist noch Zukunftsmusik. Nicht nur deshalb kommt außerschulischen Ange­boten weiterhin eine große Bedeutung zu.

Finanzkompetenz für alle in Deutschland fördern

Die gute Nachricht zuerst: Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) vermeldet für das Jahr 2021 knapp 12,1 Millionen Aktiensparerinnen und Aktiensparer. Jeder sechste beziehungsweise jede sechste legt damit Geld in Aktien, Aktienfonds oder Exchange Traded Funds (ETFs) an. Die Liebe zur Aktie entdeckten gerade junge Menschen im Jahr 2020 – eine der wenigen positiven Folgen der Corona-Pandemie.

Endlich war Zeit genug, um sich Gedanken über Finanzen und Geldanlage zu machen. Dass dabei gerade die Aktienanlage in den Fokus rückte, war angesichts der seit Jahren andauernden Hausse an den Börsen die logische Konsequenz. Schließlich zeigten die Märkte scheinbar, wie schnell sie Krisen verarbeiten.

Zwar ging es wegen der Corona-Pandemie zunächst rasant bergab, allein der Dax verlor in 28 Tagen 39% seines Wertes, doch erholten sich die Kurse nahezu genauso schnell. Und so stellt sich die Frage, ob die Börsenneulinge auch bei einer länger anhaltenden Baisse die Nerven behalten werden oder ob sich wiederholt, was sich Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre abspielte (Neuer Markt, Volksaktie), als enttäuschte Aktionäre sich mit hohen Verlusten von der Börse zurück­zogen.

Niedrige Finanzbildung

Die Gefahr eines anhaltenden Rückzugs scheint zumindest wahrscheinlich. Denn was die für Deutschland verhältnismäßig hohen, aktuellen Aktionärszahlen vergessen lassen: Die Finanzbildung ist hierzulande weiterhin auf einem niedrigen Niveau. Das legt zumindest eine aktuelle Studie des Bankenverbands nahe. Demnach kennen sich junge Menschen zwar mit Aktien aus, investieren langfristig und wollen so für ihr Alter vorsorgen, wissen aber darüber hinaus nicht besonders viel über das Thema Finanzen.

Weitere wichtige Erkenntnisse der Studie: Materiell Bessergestellte haben eine bessere Finanzbildung als materiell Schlechtergestellte. Ein ähnliches Gefälle herrscht zwischen den Geschlechtern – Männer kennen sich in Finanzfragen demnach besser aus als Frauen. Finanzbildung ist also auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau.

Doch wie soll man das Thema Finanzbildung angehen? Wie erreicht man alle Schichten, alle Geschlechter? Es ist nicht so, als gäbe es in Deutschland nicht viele Ansätze, Geldanlage, Versicherungen und andere Finanzthemen zu erklären. Doch die vielen Initiativen von Banken, Versicherern, Verbraucherzen­tralen und staatlichen Stellen laufen nebeneinander, nicht miteinander.

Ein Überblick fehlt meistens

Jede Sparte der Finanzindustrie informiert über ihren Bereich. Eine Verzahnung der einzelnen Finanzbranchen, ein Überblick fehlt zumeist. Auch wirtschaftliche und politische Zusammenhänge werden kaum vermittelt. Doch „Inselwissen“ zu einzelnen Finanzaspekten macht es den Menschen schwer, Chancen und Risiken von Finanzprodukten einzuschätzen – sogar, wenn sie deren Aufbau verstehen.

Als ein wichtiger Schritt wird häufig die Verankerung der Finanzbildung an den Schulen genannt. In einigen Bundesländern gibt es bereits „Wirtschaft“ in den Lehrplänen, jedoch hängt es zu häufig noch vom Zufall ab, ob Schülerinnen und Schülern Finanzbildung in hinreichendem Umfang vermittelt wird. Das „Bündnis Ökonomische Bildung Deutschland (BÖB)“ will das ändern. Hier engagieren sich über 90 meist institutionelle Mitglieder. Ziel ist die bundesweite Verankerung von ökonomischer Bildung – wozu auch die Finanzbildung zählt – in den Lehrplänen sowie die entsprechende Ausbildung der Lehrkräfte.

Eine bundesweite Verankerung der Finanzbildung in den Schulen ist jedoch noch Zukunftsmusik. Nicht nur deshalb kommt außerschulischen Angeboten weiterhin eine große Bedeutung zu. Ein Lösungsansatz könnte die Schaffung einer zentralen Anlaufstelle zum Thema Finanzen sein. Da es keine staatliche Stelle hierfür gibt, ist private Initiative in Form einer Stiftung oder eines Vereins gefragt. Projekte zur Bündelung von Angeboten zur Finanzbildung auf einer zentralen Plattform gab es in der Vergangenheit bereits. Häufig scheiterten die Initiativen letzten Endes an der mangelnden Nachfrage aus der Bevölkerung.

Vielen Menschen scheint ihr Mangel an Finanzwissen schlicht nicht bewusst zu sein. Dabei sollte das Interesse an Finanzthemen gerade auch bei Menschen geweckt werden, die womöglich nicht aus eigenem Antrieb auf die Idee kommen, sich mit dem Thema auseinander­zusetzen.

Aktiv auf Menschen zugehen

Eine zentrale Initiative darf sich daher nicht auf eine passive Rolle beschränken. Für einen breit gestreuten Erfolg muss sie aktiv auf die Menschen zugehen, also nicht nur in die Schulen, sondern auch in die Stadtteilzentren, die Schuldnerberatungen, die Volkshochschulen und ähnliche Orte für Erwachsenenbildung, in die Vereine etc. Nur so kann sichergestellt werden, dass auch vulnerable Gruppen wie beispielsweise von Armut bedrohte Menschen oder Migranten angesprochen werden.

Als Grundlage und Richtschnur für die Vermittlung von Wissen bietet sich die „OECD Financial Education Initiative“ an. Zum Start könnten zunächst alle bestehenden Initiativen, Studien, Statistiken, Materialien zusammengeführt, evaluiert und, wo nötig, ergänzt werden. Neben der Erklärung wirtschaftlicher Zusammenhänge und der Funktionsweise der am Markt verfügbaren Finanzprodukte sollten auch psychologische Erkenntnisse beispielsweise aus dem Bereich der Verhaltensökonomie einfließen, um Fähigkeiten wie die richtige Einschätzung von Risiken oder eine gesunde Selbsteinschätzung zu vermitteln.

Idealerweise sorgt ein interdisziplinäres Team aus Finanzexpertinnen, Pädagogen, Psychologen und Sozialpädagoginnen dafür, dass die Inhalte für die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen zielgruppengerecht und vor allem auch spannend aufbereitet werden.

Blick über die Grenzen

Ein Blick über die Grenzen kann den erfolgreichen Aufbau einer solchen zentralen Stelle für Finanzbildung unterstützen. Andere Länder wie Schweden, die Niederlande und zuletzt Österreich haben vorgemacht, wie man das Thema erfolgreich in den Fokus rückt. Mit Lebensphasenmodellen beispielsweise, die auf die Lebensstationen wie Schule, Studium, Berufseinstieg, Familiengründung und Rentenbeginn eingehen. Oder mit prominenten Schirmherren oder -herrinnen. So engagiert sich die niederländische Königin Maxima für Finanzbildung, inzwischen nicht nur national, sondern auch international über die Vereinten Nationen.

Die Zielsetzung einer zentralen Institution für Finanzbildung ist laut OECD Finanzkompetenz. Finanzwissen und Finanzbildung sind lediglich die Voraussetzung für Finanzkompetenz. Finanzkompetenz versetzt den Einzelnen, die Einzelne in die Lage, solide finanzielle Entscheidungen zu treffen und am Ende „finanzielles Wohlbefinden“ (OECD) zu erreichen.

Finanzielles Wohlbefinden wiederum definiert die OECD als einen Zustand, in dem ein Individuum seinen finanziellen Verpflichtungen in der Gegenwart und in der Zukunft vollumfänglich nachkommen kann und fähig ist, eigene finanzielle Entscheidungen zu treffen, die es ihm erlauben, das Leben in Sicherheit zu genießen. Oder kurz gesagt: Ziel ist der mündige Anleger, die mündige Anlegerin. Für den beziehungsweise die es allerdings in der digitalen Welt immer schwieriger wird, den Durchblick zu behalten und aus der Masse der verfügbaren Informationen die relevanten und seriösen für die Entscheidungsfindung herauszufiltern. Menschen, die früh an das Thema Finanzwissen herangeführt werden, haben später eine bessere Ausgangslage, um ihr finanzielles Wohlbefinden zu erreichen. Auch dies ist ein eindeutiges Ergebnis der regelmäßigen OECD-Erhebungen.

All das zeigt, dass die Förderung der Finanzkompetenz endlich auch in Deutschland als ein zentrales Thema erkannt werden muss. Finanzkompetenz ist essenziell für soziale Gerechtigkeit und Teilhabe. Auch deshalb gehen wir bereits seit Jahren in Schulen, um über das Thema Aktien und Börse zu informieren. Hierzu nutzen wir auch unsere So­cial-Media-Kanäle. Doch uns als einzelnem Unternehmen sind enge Grenzen gesetzt. Eine zentrale Initiative für Finanzkompetenz würden wir daher begrüßen und natürlich voller Überzeugung und Einsatz unterstützen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.