Aktien-Research

Frankfurt am Main erfindet sich ständig neu

Der Analystenschwund steht für einen Paradigmenwechsel am Markt für Aktien-Research.

Frankfurt am Main erfindet sich ständig neu

Wohl keine Stadt in Deutschland ändert so stetig ihr Bild wie Frankfurt am Main. Ganze Quartiere wie das Mertonviertel werden aus dem Boden gestampft, während kurzerhand die neue Altstadt im Zentrum das Mittelalter wieder auferstehen lässt. Frei nach dem Motto „Stillstand bedeutet Rückschritt“ schläft diese Stadt nie, sondern erfindet sich ständig neu. Der stete Wandel betrifft auch die Geschäftsmodelle von Unternehmen und die damit in Zusammenhang stehenden Berufe. Dabei hat sich in den vergangenen Jahren wohl kein Sektor so stark geändert wie das Aktien-Research.

Renommierte Häuser haben diesen Bereich in letzter Zeit aufgegeben – beispielsweise die Commerzbank, das frühere Bankhaus Lampe oder die Nord/LB. In Frankfurt am Main war diese Entwicklung weit früher zu spüren, beispielsweise als die Equinet Bank zu taumeln begann und die relativ üppige Zahl an Analysten woanders unterkommen musste. Demgegenüber vermelden Anbieter wie ODDO BHF, Berenberg Bank, Quirin Privatbank und auf internationaler Ebene AllianceBernstein, dass sie ihr Research ausbauen und mit weiteren Services anreichern wollen. Wir werten das als Zeichen eines allgemein wenig beachteten Prozesses, der jedoch als symptomatisch für tiefgreifende Veränderungen am Kapitalmarkt gelten kann.

Während die Zahl an Finanzanalysten um die Jahrtausendwende auf rund 1000 geschätzt wurde, war sie bis 2016 bereits auf unter 200 Personen gesunken, wie seinerzeit aus gut informierten Kreisen zu hören war. Kundige Marktteilnehmer gehen heute davon aus, dass sich die Finanzanalysten zahlenmäßig seither nochmals deutlich reduziert haben.

Wir glauben, dass dies nicht dem Fachkräftemangel ge­schuldet ist, sondern dass wir einen Markt im Umbruch oder besser im Anpassungsprozess erleben. Es sind weitreichende Veränderungen in der Nachfrage nach Re­search-Produkten, die einen regelrechten Paradigmenwechsel eingeleitet haben. Diese Entwicklung geht sicher auch, aber nicht ausschließlich auf die Einführung von Mifid II (Markets in Financial Instruments Directive) im Januar 2018 zurück.

Dahinter verbirgt sich vor allem der Wettbewerb zwischen der aktiven und passiven Verwaltung von Vermögen. In der Marktaufteilung gewinnen zunehmend die ETF-Anbieter (ETF steht für Exchange Traded Funds) an Terrain, die sich bei der Auswahl einzelner Titel vor allem an der Analyse-Vorarbeit der Indexanbieter orientieren. Aktive Portfoliomanager müssen sich hingegen sichtbar von der mechanischen Aktienauswahl durch ETF-Verwalter unterscheiden. Das tun sie am besten, indem sie ihre Fähigkeit mit einer überdurchschnittlichen Entwicklung im Sinne der Outperformance unter Beweis stellen.

Eine weitere Herausforderung stellt der aktuelle Trend zu Themenfonds dar, dem sehr anspruchsvolle Analysen zugrundeliegen. ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance – kurz ESG) heben die Komplexität weiter an.

Wertstiftendes Aktien-Research erhält vor diesem Hintergrund eine Bedeutung, die weit über die reine quartalsweise Aufbereitung und Bewertung von Unternehmenskennzahlen hinausgeht. Eine klug umgesetzte Digitalisierung sowie die nahe Orientierung an den Kundenbedürfnissen dürften langfristig wesentliche Erfolgsfaktoren sein. Dabei müssen sich nicht zwingend die Häuser als am erfolgreichsten entpuppen, die das breiteste Spektrum abdecken.

Auch wenn die Finanzanalyse-Branche derzeit durchgerüttelt wird, blicken wir doch zuversichtlich in die Zukunft. Ein großes Vorbild dabei ist die Zeitungsindustrie, der vor Jahren bereits das schnelle Ableben vorausgesagt wurde. Auch dort kam es zu Konsolidierungen und zu Anpassungen. Dennoch sind die hochwertigen, wertstiftenden Titel erhalten geblieben. Das nüchterne, faktenbasierte Redaktionskonzept der Börsen-Zeitung kann dabei gar nicht hoch genug geschätzt werden. Herzlichen Glückwunsch zum 70. Geburtstag – wir freuen uns auf viele weitere Jahre mit hervorragender Berichterstattung!

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