Inflation: Freund oder Feind?
Inflation: Freund oder Feind beim Schuldenabbau?
Staaten müssen Schuldenquoten senken, um öffentliche Ausgabenprogramme zu sichern und private Investitionen anzukurbeln
Die öffentlichen Schulden sind nach der globalen Finanzkrise (GFC) und der Covid-19-Pandemie sprunghaft angestiegen – laut Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) jeweils um etwa 15% des weltweiten BIP. Während die Industrieländer diesen Anstieg anführten, haben auch große Schwellenländer – insbesondere China – ihre Schulden erheblich ausgeweitet. Noch besorgniserregender ist, dass der IWF in den nächsten fünf Jahren keine Umkehr dieses Trends prognostiziert. Und doch werden Regierungen irgendwann beginnen müssen, ihre Schuldenquoten zu senken, um zu verhindern, dass die Kosten für den Schuldendienst öffentliche Ausgabenprogramme verdrängen und dass eine hohe Schuldenlast private Investitionen hemmt. Schuldenabbau ist auch notwendig, damit Regierungen ihre Fähigkeit zur Kreditaufnahme wiederherstellen – um künftige Notfälle bewältigen zu können.

In der Vergangenheit haben einige Staaten die Inflation dafür genutzt, hohe Schulden abzubauen oder sogar vollständig zu beseitigen. Der weltweite Inflationsschub von 2021 bis 2022 hat eine Debatte darüber entfacht, ob die Geldentwertungen Teil der Lösung des aktuellen Schuldenproblems sein können, oder ob hohe Schulden vielmehr als Treiber der Inflation anzusehen sind.
Erfahrungen aus 220 Jahren
Im folgenden nehme ich eine historische Perspektive auf diese Debatte ein, indem ich die Rolle der Inflation in Episoden des Schuldenabbaus der letzten 220 Jahre untersuche. In gemeinsamer Forschung mit Barry Eichengreen definieren wir diese als anhaltende Perioden, in denen die öffentliche Schuldenquote um mindestens 10% des BIP gesenkt wurde.
In Faktoren zerlegt
Staaten können ihre Schuldenquoten auf verschiedene Weise reduzieren: durch Primärüberschüsse, wirtschaftliches Wachstum, Inflation oder durch mit mehr oder weniger Zwang verbundene Maßnahmen zur Schuldenreduzierung (einschließlich Zahlungseinstellungen). Die in diesem Beitrag betrachteten Fälle schließen aggressive Schuldenschnitte oder -streichungen aus. Ein retrospektives Modell ermöglicht es, jede der hier betrachteten Episoden des Schuldenabbaus in ihre einzelnen Faktoren zu zerlegen und den jeweiligen Beitrag der Inflation und anderer Faktoren zur Schuldenreduzierung zu bestimmen.
378 Beispiele
Die Häufigkeit erfolgreicher Schuldenabbauprozesse variiert über volkswirtschaftliche Größenklassen und historische Epochen hinweg. Zwischen 1800 und 2019 können 378 Episoden des Schuldenabbaus in insgesamt 183 Ländern identifiziert werden. Industrieländer mit robusteren finanzpolitischen Institutionen erreichten häufiger eine Verringerung ihrer Verschuldung als volkswirtschaftlich schwächere Länder – insbesondere vor 1990, als viele Entwicklungsländer mit chronischer Inflation und fiskalischer Instabilität zu kämpfen hatten. Zwischen 1994 und 2008 gelang es jedoch mehr als 20% der Länder weltweit, ihre Schulden signifikant zu reduzieren. Das Ausmaß dieser „Großen Konsolidierung“ wurde bislang nicht ausreichend gewürdigt, obwohl es ausführliche Analysen zu einigen prominenten Fällen gibt – etwa den USA unter der Clinton-Regierung oder europäischen Ländern, die die fiskalischen Voraussetzungen für die Euro-Mitgliedschaft erfüllen wollten.

Die schrittweise Rückführung von Verschuldung durch fiskalpolitische Maßnahmen, Wachstum und Inflation tritt inzwischen häufiger auf als andere Formen der Schuldenreduktion – etwa durch Zahlungsausfälle oder Schuldenerlasse. Zahlungseinstellungen traten besonders häufig während systemischer Finanzkrisen in den 1830er, 1870er, 1930er und 1980er Jahren auf. Schuldenerlasse beobachtet man verstärkt in jüngeren Dekaden, insbesondere im Rahmen der Initiative zur Entschuldung hochverschuldeter armer Länder (HIPC) der 1990er Jahre und der Multilateralen Entschuldungsinitiative (MDRI) in den 2000er Jahren. Im Gegensatz dazu treten klassische Verfahren des Schuldenabbaus häufig nach Kriegen oder in Phasen relativer makroökonomischer Stabilität um die beiden Jahrhundertwenden auf.
Auftrag des IBF – Institut für Bank- und Finanzgeschichte e.V., das die in loser Reihe erscheinenden Artikel „Banken- und Finanzgeschichte“ beisteuert, ist die wissenschaftliche Aufarbeitung und Vermittlung der historischen Entwicklung unseres Geld- und Finanzwesens.
Weitere Informationen unter www.ibf-frankfurt.de
Häufig und wirksam
Doch ist diese Form der Schuldenreduzierung nicht nur häufiger als Zahlungsausfälle und Schuldenerlasse – sie ist auch wirksamer. Im Durchschnitt wurde auf diese Weise eine Schuldenreduktion in Höhe von 32 % des BIP erreicht – und damit viermal so viel wie bei der kumulierten Schuldenreduktion durch Zahlungseinstellungen.

Historisch gesehen spielte Inflation eine entscheidende Rolle beim Schuldenabbau. Ihr Erfolg ist jedoch stark kontextabhängig: In Zeiten chronisch hoher Inflation, wie in den 1970er Jahren, wurden die Vorteile schnell durch steigende Nominalzinsen aufgehoben. Selbst wo Inflation anfangs zur Schuldenreduktion beitrug, waren die positiven Effekte meist nur von kurzer Dauer, da die Zinssätze letztlich nachzogen. Länder, denen ein Schuldenabbau jenseits von Zahlungseinstellungen oder -erlassen gelang, erlebten nicht notwendigerweise höhere Inflation als ihre Vergleichsgruppe. Mit Ausnahme der Zwischenkriegszeit war sogar oft das Gegenteil der Fall. Zwar ist die Hyperinflation in Deutschland 1923 ein klassisches Beispiel dafür, wie Inflation Schulden entwerten kann. Doch häufiger ist der Schuldenabbau in Phasen moderater Inflationsraten.
Ohne Sparen geht es nicht
Zwei Zeitabschnitte stechen besonders hervor: Erstens die Wende zum 20. Jahrhundert, als eine lange Phase der Deflation einer globalen, durch Goldfunde ausgelösten Inflation wich, wobei Inflations- und Zinserwartungen durch die breite Einführung des Goldstandards verankert blieben. Zweitens die „Great Moderation“ („große Mäßigung“) zwischen der Mitte der 1980er Jahre und der globalen Finanzkrise. In diesen Phasen trat moderate Inflation zusammen mit soliden Fiskalpolitiken, etwa durch Primärüberschüsse und stabile Finanzsysteme auf. Dies unterstreicht, dass Inflation – insbesondere für schwache oder instabile Regierungen – nicht automatisch aus der Verschuldung herausführt und kein Ersatz für unpopuläre Sparmaßnahmen ist.
In der Vergangenheit spielten auch dirigistische Maßnahmen eine wichtige Rolle, etwa die Deckelung von Zinssätzen oder die Verpflichtung inländischer Banken, Staatsanleihen zu kaufen. Dies galt z.B. für die massiven Schuldenreduzierungen vieler Länder nach dem Zweiten Weltkrieg. In den USA fiel die Schuldenquote zwischen 1947 und 1956 um 66 Prozentpunkte, begünstigt durch eine Inflation von durchschnittlich 5% bei gleichbleibend niedrigen Nominalzinsen von nur 2%. Eine solche „finanzielle Repression“ ist heute schwerer umzusetzen – insbesondere für Schwellen- und Entwicklungsländer, die in die globalen Finanzmärkte integriert sind.
Komplexe Wechselwirkung
Tatsächlich gibt es eine komplexe Wechselwirkung verschiedener Faktoren, die bestimmen, wie effektiv Inflation zur Schuldenreduzierung beitragen kann. Dazu gehören die Laufzeitstruktur der Schulden, der fiskalische Rahmen und die Währungsdenomination. Inflation kann nur dann zur Schuldenreduktion beitragen, wenn die Umschuldung moderat ist (d. h. die durchschnittliche Laufzeit der Schulden hoch ist) und die Schulden nicht in Fremdwährungen aufgenommen oder inflationsindexiert sind – wie beispielsweise in Israel in den 1980er Jahren. Zudem ist ein glaubwürdiger nominaler Anker erforderlich (im 19. Jahrhundert der Goldstandard, heute Inflation-Targeting), um zu verhindern, dass die Märkte eine hohe Inflationsprämie verlangen, die jede Schuldenreduktion verteuern würde.
Rolle der Politik
Während unser Modell die unmittelbaren Faktoren von Schuldenabbau jenseits von Schuldenerlassen und Zahlungseinstellungen aufzeigt, bleibt es in Bezug auf die politischen oder institutionellen Rahmenbedingungen, die große Schuldenreduktionen ermöglicht haben, stumm. Die historischen Fakten zeigen, dass der Schuldenabbau hochgradig von wirtschaftlichen und institutionellen Kontexten abhängt. Hier kommt die politische Ökonomie ins Spiel – etwa die demokratische Rechenschaftspflicht von Regierungen, die Art des politischen Systems, politische Ideologien und der Handlungsspielraum von Entscheidungsträgern.
Frage der Glaubwürdigkeit
Solche Rahmenbedingungen finden sich nicht nur in wohlhabenden Ländern. Ein bemerkenswertes Beispiel ist Jamaika, ein Land, das in seiner jüngeren Geschichte politische Gewalt und soziale Spannungen erlebte. Seit 2012 hat die Karibiknation ihre Schuldenquote um 77% des BIP reduziert. Dabei spielt die Inflation, die in den ersten Jahren fast zweistellig war, durchaus eine Rolle. Doch der entscheidende Faktor dieses Schuldenabbaus war die konsequente Einhaltung hoher Primärüberschüsse – durchschnittlich 6,7% des BIP über ein Jahrzehnt. Ausschlaggebend für diesen Erfolg war ein überparteiliches Übereinkommen, über das die Kosten der fiskalischen Anpassung breit verteilt wurden. Ein transparenter fiskalischer Regelrahmen ermöglichte es dem privaten Sektor und der Öffentlichkeit, die Umsetzung der Maßnahmen zu überwachen, was die Glaubwürdigkeit des Schuldenabbaus stärkte.
Wachstum hat kaum Einfluss
Die Schuldenreduktion bleibt eine Herausforderung – sowohl für Industriestaaten als auch für Entwicklungsländer. Während die Inflation 2021 bis 2022 erstmals seit der Finanzkrise zu einem Rückgang der globalen Schulden führte, sind die Schuldenquoten in vielen Ländern seitdem wieder gestiegen. Ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung der Schuldenquote in der Eurozone, die nach der Pandemie um 9,1% sank, war zum einen die Inflation, die dies auch in Zukunft bleiben könnte. Während anfangs auch das reale Wachstum – als sich die Wirtschaft von der Pandemie erholte – dazu beitrug, wird es künftig voraussichtlich keine Rolle mehr spielen. Keinen Beitrag leistete die Haushaltslage der Staaten der Eurozone, die weiterhin Primärdefizite aufweist. Daran wird sich absehbar vorerst nichts ändern. Zudem haben die Finanzmärkte den Inflationsschock der frühen 2020er Jahre eingepreist, und der IWF prognostiziert höhere Zinsen, was den Schuldendienst verteuern wird.

Inflation ist kein Allheilmittel für Staaten mit Haushaltsproblemen, aber die historische Erfahrung zeigt, dass sie Schuldenabbau begünstigen kann – sofern sie moderat bleibt und mit glaubwürdiger Fiskal- und Geldpolitik kombiniert wird. Allerdings ist das dafür notwendige politische Gleichgewicht häufig schwer herzustellen. Gemäßigte Inflation könnte ein Weg sein, die sozialen Verteilungskonflikte zu entschärfen, die mit fiskalischer Anpassung – insbesondere mit Sparmaßnahmen – verbunden sind.
Das gemeinsame Forschungspapier mit Barry Eichengreen finden Sie hier.
Staaten müssen von ihren hohen Schuldenbergen herunter, die sich vor allem nach der globalen Finanzkrise und der Corona-Pandemie aufgetürmt haben. Auch, um sich für weitere Krisen zu wappnen. Die Inflation kann unter bestimmten Bedingungen durchaus hilfreich sein, wie die Vergangenheit zeigt.
Von Rui Esteves
Das Forschungspapier ist abrufbar unter https://doi.org/10.1093/ooec/odac008