Aus der KapitalmarktforschungNachhaltigkeitsberichterstattung

Zwischen Pflicht und Potenzial

Nachhaltigkeitsberichterstattung wird zur Pflicht. Die Kennzahlen müssen allerdings steuerungsrelevant sein oder sich in die Steuerungskonzepte integrieren lassen.

Zwischen Pflicht und Potenzial

Zwischen Pflicht und Potenzial

Nachhaltigkeitsberichterstattung am Wendepunkt – Kapitalmarkt verlangt immer häufiger Verknüpfung von ESG und Performance

Von Anna Rohlfing-Bastian

Die Nachhaltigkeitsberichterstattung steht an einem Wendepunkt: Was lange als freiwillige Übung galt, wird zunehmend zur gesetzlich regulierten Pflicht. Mit der EU-weiten Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) auf der einen sowie den globalen Standards des International Sustainability Standards Board (ISSB) auf der anderen Seite etablieren sich Regelwerke, die neben der Investorenorientierung und Auswirkungsperspektive (im Fall der CSRD) auch zunehmend eine strategische Relevanz für die berichtspflichtigen Unternehmen aufweisen.

Damit Unternehmen ihrer Berichtspflicht nachkommen und gleichzeitig Environmental, Social und Governance (ESG)-Aspekte in ihre Strategie implementieren können, müssen die zu berichtenden Kennzahlen entweder steuerungsrelevant sein oder sich zumindest in die Steuerungskonzepte der Unternehmen integrieren lassen. Steuerungsrelevanz steht jedoch nicht unbedingt auf der Prioritätenliste der Standardsetzer.

Was können Nachhaltigkeitsstandards also für die Unternehmenssteuerung leisten? Und haben Standardsetzer überhaupt eine Verantwortung, die Steuerungsrelevanz im Blick zu haben?

Neue Steuerungsdimension

In der Praxis zeigt sich: Nachhaltigkeitsstandards verändern nicht nur das Reporting, sondern auch die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Risiken und Chancen bewerten. Wer ernsthaft nach ESRS oder IFRS S1/S2 berichten will, muss Nachhaltigkeit quantifizieren – etwa durch CO2-Intensitäten, Lieferkettenrisiken oder soziale Wirkungsindikatoren. Das erfordert neue Daten, neue Prozesse, neue Informationssysteme – und vor allem: neue Denkweisen.

Die Integration von Nachhaltigkeitsstandards in die strategische Unternehmenssteuerung – von der Planung über die Investitionsbewertung bis hin zur variablen Vergütung – ist eine logische Konsequenz. Nachhaltigkeit ist zur betriebswirtschaftlichen Realität geworden und ESG-Komponenten finden sich in den Vergütungsverträgen zahlreicher Vorstände weltweit.

Schon seit den 1950er Jahren wissen wir aber: Nicht alles, was relevant ist, lässt sich messen. Und nicht alles, was wir messen können, ist relevant. Unsere aktuelle Studie zeigt, dass die ESRS-Standards zu Themen aus dem S-Bereich Kennzahlen in die Berichtspflicht einbeziehen, die keinen statistisch signifikanten Zusammenhang mit der finanziellen Performance von Unternehmen aufweisen. Gleichzeitig berichten Unternehmen aber auch eine Reihe von Kennzahlen, die nicht Teil der bisherigen Regulatorik sind. Warum werden diese Kennzahlen berichtet? Die naheliegende Vermutung ist: weil sie steuerungsrelevant oder aus Sicht der Unternehmen informativ für Stakeholder sind.

Klasse statt Masse interessiert

Zwei Beispiele – erstens: Der aktuelle Standard ESRS S1-13 sieht eine Berichterstattung über Weiterbildungsstunden vor. In unseren Analysen sehen wir keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dieser Kennzahl und finanzieller Performance. Allerdings berichten viele Unternehmen auch über Weiterbildungskosten – und diese weisen einen positiven Zusammenhang mit finanziellen Performanceindikatoren auf. Wie ist dieses Ergebnis zu erklären? Ein groß ausgerolltes standardisiertes Online-Training führt zu vielen Weiterbildungsstunden, aber der Mehrwert für finanzielle Performancesteigerungen scheint eher fraglich. Individualisierte persönliche Weiterbildungsmaßnahmen wie Coachings sind deutlich teurer und bringen den Indikator Weiterbildungsstunden nicht stark nach oben, aber bergen großes Potenzial für Performancesteigerungen. Es überrascht daher nicht, dass viele Unternehmen die Weiterbildungskosten freiwillig berichten und Investoren diese Kennzahl für relevant halten.

Zweitens: Keiner der bisherigen Nachhaltigkeitsstandards bzw. Entwürfe sieht eine Berichterstattung über Mitarbeiterzufriedenheit vor. Mitarbeiterzufriedenheit wird jedoch von vielen Unternehmen berichtet und ist essentiell für die Unternehmenssteuerung. Beim Softwarekonzern SAP wird zweimal jährlich eine Umfrage unter den Mitarbeitern durchgeführt, auf der unter anderem der Mitarbeiterengagement-Index basiert. Dieser findet Eingang in die kurzfristige variable Vergütung der Vorstandsmitglieder. Kennzahlen zu Mitarbeiterzufriedenheit sind somit steuerungsrelevant – und unsere Analysen suggerieren, dass auch finanzielle Performanceindikatoren damit positiv korreliert sind.

Kommunikationsfrage

Allgemein erwarten viele Kapitalmarktteilnehmer zunehmend eine konsistente ESG-Kommunikation, die nicht nur Transparenz, sondern auch Steuerung signalisiert. Ratings und Investorenbewertungen setzen auf nachvollziehbare ESG-Strategien mit konkreten Zielen und Fortschrittsmessungen. Für Unternehmen ergibt sich daraus ein doppelter Druck: die formale Einhaltung der Standards – und die inhaltliche Fähigkeit, ESG als Performance-Dimension zu steuern und zu kommunizieren. Unternehmen sehen sich einer Transformation gegenüber, die weit über Compliance hinausgeht. Sie müssen ESG-Informationen mit finanziellen Kennzahlen in ein integriertes Steuerungscockpit überführen.

Für dieses Vorhaben stehen den Unternehmen bekannte Steuerungskonzepte zur Verfügung, die insbesondere die Berücksichtigung einer Vielzahl unterschiedlicher Kennzahlen ermöglichen. Dazu gehört unter anderem die Balanced Scorecard – ein Konzept aus dem Managerial Accounting, das in vier Perspektiven die parallele Steuerung verschiedener Ziele mit diversen Kennzahlen erlaubt. Damit die Balanced Scorecard jedoch nicht zu einer Kennzahlenwüste wird und Manager den Überblick über die einzelnen Zahlen behalten, müssen die verwendeten Kennzahlen durch sogenannte Ursache-Wirkungs-Beziehungen sinnvoll miteinander verknüpft sein.


Die Balanced Scorecard ist ein Konzept der strategischen Unternehmensführung, das verschiedene Kennzahlen in vier Perspektiven organisiert:
Finanzielle Perspektive: bezieht sich auf finanzielle Ziele wie Umsatzwachstum oder Rentabilität
Prozessperspektive: betrachtet die Effizienz und Qualität interner Geschäftsprozesse
Lern- und Entwicklungsperspektive: konzentriert sich auf Mitarbeiterentwicklung, Weiterbildung und Innovation
Kundenperspektive: fokussiert auf Marktanteile und Kundenzufriedenheit
In jeder Perspektive werden Ziele definiert und Kennzahlen zur Messung der Zielerreichung festgelegt. Die Verknüpfung von Zielen und Kennzahlen aus den vier Perspektiven in Ursache-Wirkungs-Beziehungen ermöglicht eine ausgewogene und umfassende Sicht auf die Unternehmensleistung. 

 Fokus auf Spitzenkennzahl

Bei einer gut aufgestellten Balanced Scorecard muss die Unternehmensleitung für eine effiziente Steuerung nur wenige Spitzenkennzahlen im Blick behalten. Erst wenn diese Spitzenkennzahlen Hinweise auf eine problematische Entwicklung geben, ist eine Betrachtung der hierarchisch nachgeordneten Kennzahlen erforderlich.

Ein Beispiel: Die Spitzenkennzahl Return on Assets (ROA) aus der finanziellen Perspektive wird positiv beeinflusst von wiederkehrenden Umsätzen. Diese erreicht man durch zufriedene Kunden, eine Kennzahl aus der Kundenperspektive. Die Kundenzufriedenheit wird durch pünktliche Lieferungen gesteigert. Diese setzen eine effiziente Organisation voraus (Kennzahl aus der Prozessperspektive), die wiederum positiv von den Fähigkeiten der Mitarbeiter beeinflusst wird. Diese lassen sich durch Investitionen in Weiterbildung steigern. In diesem Beispiel ist eine Kennzahl aus der Lern- und Entwicklungsperspektive (Weiterbildungskosten), die dem S-Bereich zugeordnet werden kann, enthalten und über eine sinnvolle Ursache-Wirkungs-Beziehung mit finanzieller Performance verknüpft, was sie für die Unternehmenssteuerung nutzbar macht. Diese Kennzahl ist jedoch, wie bereits erwähnt, bisher nicht Gegenstand der verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung. Trotzdem ist sie für Unternehmen relevant, da sie eine wichtige Stellgröße des ROA darstellt.

Große Verantwortung

Auch wenn es nicht primäre Aufgabe der Standardsetzer ist, die Unternehmenssteuerung aktiv zu gestalten, tragen sie doch eine indirekte Verantwortung: Die Art und Weise, wie ESG-Informationen strukturiert, quantifiziert und priorisiert werden, beeinflusst maßgeblich, ob sie sich in interne Steuerungsprozesse integrieren lassen. Standards können die Basis dafür legen, Nachhaltigkeit systematisch ins unternehmerische Handeln zu überführen. Auch wenn Unternehmenssteuerung per se kein Ziel der Regulatorik ist – sie steht der Investorenperspektive der Standardsetzer auch nicht völlig entgegen.

Viele Standardsetzer haben vor allem die Risiken und Chancen von Nachhaltigkeitsthemen für Investoren im Blick. Ein Beurteilungskriterium ist dabei die finanzielle Wesentlichkeit. Nachhaltigkeitsaspekte sind wesentlich, wenn sie sich auf die Finanz- und Ertragslage des Unternehmens, Cashflows, Kapitalkosten oder den Zugang zu Finanzmitteln auswirken – und zwar kurz-, mittel- oder langfristig. Diese Informationen decken zum einen den Informationsbedarf von Investoren, die in Unternehmen zur reinen Risikostreuung investieren. Sie können aber auch für Investor Engagement genutzt werden, also die Investition bei gleichzeitiger aktiver Kommunikation mit dem Ziel, konkret auf die Unternehmensführung Einfluss zu nehmen. Aus Sicht der Nachhaltigkeit scheint klar: nur letzteres kann einen direkten Effekt auf Strategien und Handlungen von Unternehmen haben.  Risikomanagement und die Identifikation und Nutzung von Chancen sind aber auch wichtige Aspekte der internen Unternehmenssteuerung – finanzielle Wesentlichkeit ist somit auch ein Steuerungsinstrument. Es wird deutlich, dass die beiden Perspektiven gar nicht so weit auseinanderliegen, wie es auf den ersten Blick scheint, wenn Standards auf Investor Engagement und nicht die reine Risikostreuung ausgerichtet sind.

Praxistauglichkeit entscheidend

Entscheidend dafür, ob ESG-Kennzahlen nicht nur zu einer regulatorischen Last, sondern zu einem strategischen Steuerungsinstrument werden, ist ihre Praxistauglichkeit: Klare Begriffsdefinitionen, konsistente und relevante Metriken sowie die Vermeidung von Überkomplexität sind essenziell, um Ursache-Wirkungs-Beziehungen sinnvoll abzubilden und Kongruenz zwischen regulatorischer Berichtspflicht und strategischer Unternehmenssteuerung zu erreichen. Die Wesentlichkeitsanalyse erlaubt den Unternehmen, über in den Standards festgelegte Kennzahlen auch nicht zu berichten, wenn sie sich für das Unternehmen als nicht wesentlich darstellen. Dies trägt der Überlegung Rechnung, dass nicht alle Kennzahlen für jede Industrie und jeden Sektor relevant sind. Wenn aber Kennzahlen, die über Sektoren hinweg finanziell wesentlich scheinen, nicht Teil der Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sind, ist keine Einheitlichkeit in der Berechnung gewährleistet und die Vergleichbarkeit erschwert.

Andere Kennzahlen, nicht mehr

Brauchen wir also noch mehr Kennzahlen in den Standards? Die klare Antwort lautet: nein. Aber wir benötigen vielleicht andere. Eine Verschlankung und Fokussierung der allgemein gültigen Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung auf wenige, sektorübergreifend (steuerungs-)relevante Kennzahlen, und eine ergänzende Aufnahme weiterer (sektorspezifischer) Kennzahlen in sektorspezifischen Standards wäre hier ein gangbarer und sinnvoller Weg. Denn: Je einfacher die Standardsetzer es den Unternehmen machen, die zu berichtenden Kennzahlen in ihre Steuerung zu integrieren, desto wahrscheinlicher wird es, dass Unternehmen neben der Berichterstattung auch konkrete Verbesserungen in den Bereichen incentivieren können und somit die Ziele erreichen, die wir eigentlich mit der gesamten Nachhaltigkeitsberichterstattung verfolgen: ein nachhaltiges Wirtschaften, das ein gesundes Klima und Ökosystem sowie eine stabile Gesellschaft erhält.

Quellenangaben
Bognar, E., Rohlfing-Bastian, A. (2025): Social Sustainability Standards Revisited, TRR 266 Accounting for Transparency Working Paper Series No. 184.
Cohen, S., Kadach, I., Ormazabal, G. and Reichelstein, S. (2023): Executive Compensation Tied to ESG Performance: International Evidence. Journal of Accounting Research, 61: 805-853
Oehmke, M., Opp, M. M. (2025): A Theory of Socially Responsible Investment, The Review of Economic Studies 92 (2): 1193–1225.
Ridgway, V. F. (1956): Dysfunctional Consequences of Performance Measurements, Administrative Science Quarterly 1(2): 240–247.Formularbeginn