Zinswende

Abfluss aus Sichteinlagen gewinnt an Tempo

Nach der Zinswende sinkt der Bestand der Sichteinlagen bei den Volks- und Raiffeisenbanken deutlich. Auch bei Sparkassen zeigt sich ein Schwund.

Abfluss aus Sichteinlagen gewinnt an Tempo

Abfluss von Sichteinlagen gewinnt an Tempo

Genossenschaftsverband verzeichnet im ersten Halbjahr erstmals wieder Abflüsse – Auch Sparkassen sehen Trendwende

jsc Frankfurt

Nach der Zinswende sinkt der Bestand der Sichteinlagen deutlich. Die Kunden der Volks- und Raiffeisenbanken im Genossenschaftsverband zogen im ersten Halbjahr Milliarden ab. Auch in der Finanzgruppe der Sparkassen zeigt sich ein Schwund. Gefragt sind nun höher verzinste Termineinlagen sowie Zinszertifikate.

Die Sparschwemme auf gewöhnlichen Bankkonten von Kreditgenossenschaften und Sparkassen hat nach der Zinswende ein Ende gefunden. Der Bestand der Sichteinlagen der Volks- und Raiffeisenbanken, die im Genossenschaftsverband organisiert sind, schrumpfte im ersten Halbjahr um 21,4 Mrd. Euro auf 234,5 Mrd. Euro, wie der Verband am Mittwoch mitteilte. Das ist ein Rückgang von 8,4%. "Seit November 2022 ist erstmals nach langer Zeit ein relativer und absoluter Rückgang der täglich fälligen Gelder zu verzeichnen, der 2023 an Fahrt gewonnen hat." Zuvor sei der Bestand in zwölf Jahren stetig gewachsen.

Der Genossenschaftsverband vertritt 302 Volksbanken und Raiffeisenbanken in 14 Bundesländern. Daneben existieren noch in Bayern und Baden-Württemberg sowie in der Region Weser-Ems eigenständige Genossenschaftsverbände. Auch weitere Genossenschaftsinstitute wie Sparda-Banken, PSD Banken, Kirchenbanken und die Apo-Bank sind nicht in den Halbjahreszahlen berücksichtigt.

Trend der gesamten Branche

Gleichwohl deutet vieles auf einen bundesweiten Trend hin: Aus dem Lager der Sparkassen meldet der Verband in Baden-Württemberg einen Rückgang der Spar- und Sichteinlagen um 15 Mrd. Euro auf 145 Mrd. Euro, gerechnet auf Zwölf-Monats-Sicht bis Mitte 2023. Der Sparkassenverband Westfalen-Lippe nennt zwar keine Zahlen. Allerdings geben Privatleute Festzinspapieren demnach "den Vorzug vor Sicht- und Spareinlagen".

Einen bundesweiten Trend hatte zuvor bereits die Bundesbank ausgemacht: So zogen private Haushalte im ersten Quartal 60,5 Mrd. Euro aus Sichteinlagen ab, während Termineinlagen netto 45,1 Mrd. Euro zuflossen. Zahlen für das zweite Quartal sind darin noch nicht enthalten.

Zinsprodukte sind auch bei den Kreditgenossen wieder gefragt. Der Genossenschaftsverband meldet einen Zuwachs der Termineinlagen, der "fast 1:1" dem Rückgang der Sichteinlagen von besagten 21,4 Mrd. Euro entspricht. Der Anteil der Sichteinlagen an den gesamten Einlagen der Volks- und Raiffeisenbanken im Verband sank im Halbjahr von 75% auf 69%.

Termineinlagen sind wegen der Anlagedauer von typischerweise ein bis zwei Jahren oft höher verzinst. Das sei Treiber der aktuellen Trendwende, wie Verbandschef Ingmar Rega deutlich macht. "Während wir in der langen Phase mit Null- und Negativzinsen eine eindeutige Dominanz der Anlagemotive Sicherheit und Liquidität gesehen haben, ist aktuell auch Rentabilität wieder ein Thema.“ Ein Problem sei aber die hohe Inflation.

Sparkassen bieten Zinszertifikate

Die Sparkassen setzen darüber hinaus offenbar stärker auf Zinszertifikate: Der Sparkassenverband Baden-Württemberg fasst Termineinlagen und "Eigenemissionen" in einer Kategorie zusammen und sieht einen Zuwachs von 17 Mrd. Euro auf 23 Mrd. Euro binnen Jahresfrist. Die Institute in Westfalen-Lippe führen die höhere Ersparnis in Wertpapiere von 2,6 Mrd. Euro im ersten Halbjahr nach zuvor 1,3 Mrd. Euro auf Zinsprodukte zurück.

Derzeit verzeichnen LBBW, Helaba und DekaBank als Zertifikate-Emittenten der Sparkassen einen hohen Zuwachs an zinsnahen Produkten, während die DZ Bank als Anbieter der Kreditgenossen nur geringe Fortschritte zeigt. In der wesentlichen Kategorie der "strukturierten Anleihen" meldet der Branchenverband DDV einen Bestandszuwachs von 7,4 Mrd. Euro allein im ersten Quartal bei den drei Adressen LBBW, Helaba und DekaBank, während die DZ Bank lediglich auf einen Zuwachs von 0,4 Mrd. Euro kommt. Daten für das zweite Quartal stehen noch aus.

Direktbanken heizen Zinswettbewerb an

Darüber hinaus verschärft sich der Wettbewerb um Einlagen. Laut Vergleichsplattform FMH bieten Banken für Tagesgeldangebote im Mittel bereits 1,7% und für Festgeld mit einer Laufzeit von einem Jahr 2,8% an. In der Spitze sind sogar bis zu 3,7% und 4,1% möglich. Die ING, die im Direktbankgeschäft stark ist, verzeichnete hierzulande binnen Jahresfrist ein Einlagenwachstum von 19% auf 152 Mrd. Euro.

Auch im Kreditgeschäft ist die Zinswende spürbar: Der Darlehensbestand der Volksbanken und Raiffeisenbanken im Genossenschaftsverband wuchs im ersten Halbjahr um moderate 5,9 Mrd. Euro auf 316,2 Mrd. Euro, ein Zuwachs von 1,9%. Dabei wuchs der gewerbliche Kreditbestand mit 2,8% stärker als in der privaten Baufinanzierung, wo das Volumen um lediglich 1,0% zulegte.

Wertberichtigt Seite 2
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