IM GESPRÄCH: ANDREAS BERGER

Allianz-Industrieversicherer spürt Rückenwind durch neuen EU-Datenschutz

AGCS-Vorstand rechnet mit mehr Dynamik für die Cyberversicherung - Schwächerer Preisdruck in Deutschland - Kostenquote soll auf 25 Prozent sinken

Allianz-Industrieversicherer spürt Rückenwind durch neuen EU-Datenschutz

Von Michael Flämig, MünchenDie Verschärfung der Datenschutzregulierung der Europäischen Union (EU) wird die deutschen Unternehmen zwingen, verstärkt über den Abschluss von Cyberversicherungen nachzudenken. Dieser Ansicht ist Andreas Berger, im Vorstand des Allianz-Industrieversicherers AGCS für die Region Zentral- und Osteuropa zuständig. “Die neuen Vorschriften zu Datenschutz und Meldepflichten ab Mai 2018 werden noch mehr Dynamik in die Thematik bringen”, sagte er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.Die neue EU-Datenschutzgrundverordnung sowie die bisher lediglich geplante E-Privacy-Verordnung verpflichten Unternehmen, Kunden über Cybervorfälle zu informieren. Bei Verstößen drohen Bußgelder bis zu 4 % des weltweiten Umsatzes. Es kann auch nichtwirtschaftliche Organisationen treffen, dann werden bis zu 20 Mill. Euro fällig. Schon Angriffe wie durch die Schadprogramme Wannacry oder Petya hätten das Risiko vor Augen geführt, sagte Berger. Nun sei auch der Mittelstand für das Thema sensibilisiert. Außerdem zielten große Konzerne auf höhere Absicherungen. Cyberschutz gefragtDer Allianz-Industrieversicherer Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) sei sehr zufrieden, wie sich der Absatz mit Cyberversicherungen entwickele, sagte Berger. Die Kunden seien im Rahmen der Absicherung auch daran interessiert, beispielsweise bei einer Attacke die Hilfe von Forensik-Experten zu erhalten: “Unsere Komplettpakete werden immer stärker angenommen.” Die Allianz bringe je nach Risikoprofil des Unternehmens bis zu 100 Mill. Euro Kapazität mit.Berger erwartet “mit Sicherheit sehr bald höhere Limitstrukturen”. Während die Kunden bisher maximal 200 Mill. bis 300 Mill. Euro nachgefragt hätten, gebe es nun erste Anfragen für 500 Mill. Euro. Wichtig sei dabei, die Kumulrisiken zu beherrschen: “Cyber ist aufgrund der hohen Akkumulationsrisiken und dem Fehlen historischer Daten sehr schwierig zu modellieren.” Künftig will die Allianz-Tochter die IT-Sicherheit eines Unternehmens mit Big-Data-Analysen besser bewerten und dazu mit einem Insurtech-Anbieter zusammenarbeiten. Konzernintern würden alle Underwriter der Sparte Financial Lines in der Cyberthematik geschult, weil es kaum Spezialisten am Markt gebe, erläuterte Berger. Immaterielle Güter wichtigerBei dem dreitägigen Industrieversicherungskongress GVNW Symposium, der am Mittwochabend beginnt, wird sich die Branche nach Meinung von Berger auch mit der Frage beschäftigen, welche Assets in einer digital geprägten Volkswirtschaft wirklich schützenswert sind. Denn die immateriellen Vermögenswerte seien in den Unternehmen viel wichtiger geworden, als sie noch in der Vergangenheit gewesen seien, sagte der AGCS-Vorstand: “Die Fabrikhalle ist nicht mehr das Thema, sondern beispielsweise die Vernetzung.” Eine große Rolle spiele auch das intellektuelle Eigentum oder die Marke: “Unsere Industrie wird sich darauf konzentrieren müssen, Lösungen für immaterielle Güter anbieten zu können.” Umsatz sinkt leichtFür die AGCS sei in Zentral- und Osteuropa – in der Region ist Deutschland der wichtigste Markt – das Wachstum nicht das primäre Ansinnen, sagte Berger. Man rechne für das Gesamtjahr mit einem leicht rückläufigen Beitragsvolumen: “Unser wichtigstes Ziel ist ein profitables Underwriting, eine weitere Umsatzsteigerung steht an zweiter Stelle.” Damit steuert das AGCS-Geschäft in Zentral- und Osteuropa auf den ersten Umsatzrückgang in der laufenden Dekade zu (siehe Grafik). Auch weltweit scheint es nicht ausgeschlossen zu sein, dass AGCS schrumpfende Umsätze melden wird. Denn in der ersten Jahreshälfte sanken die Erlöse um 307 Mill. Euro auf 3,9 Mrd. Euro.Das Unternehmen habe in der Sparte Transportversicherung (Marine) schon Ende vergangenen Jahres teilweise auf Volumen verzichtet, erläuterte Berger: “Wir haben als größter Transportversicherer die Verantwortung, zu zeigen, dass man auch in dieser Sparte auskömmlich unterwegs sein kann.” Irrationales Underwriting sei jedoch im Markt eher die Ausnahme geworden, ist der AGCS-Vorstand überzeugt: “Wir können nicht von einem aggressiven Preiskampf sprechen.” Er sehe sogar eine leichte Erholung in einigen Sparten. Während Allianz Global Corporate & Specialty den Preisdruck im eigenen deutschen Buch noch im vergangenen Jahr auf 1 % bis 2 % jährlich schätzte, hält Berger mittlerweile rund 1 % für realistisch.Angesichts der sinkenden Kapitalerträge geht für Berger trotzdem kein Weg an Effizienzsteigerungen vorbei. Die Kostenquoten der Industrieversicherung hätten sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert, erklärte er: “Es gab keine Produktivitätsverbesserung.” In Deutschland müsse die AGCS künftig strukturell eine kombinierte Schaden- und Kostenquote unter 94 % erreichen. Im vergangenen Jahr habe diese Combined Ratio für die Region CEE bei 94,6 % gelegen. Die Schadenquote liege je nach Sparte zwischen 60 % und 70 %, daher gelte mit Blick auf die Kostenquote des Allianz-Industrieversicherers von 30,4 % im vergangenen Jahr: “Wir können uns dies nicht mehr leisten und müssen uns für die Zukunft fit machen.”Im März hatte AGCS infolgedessen angekündigt, ein Zehntel der weltweit rund 5 000 Arbeitsplätze zu streichen. Für das Sparprogramm sind 112 Mill. Euro zurückgestellt worden, die AGCS-Spitze hatte zuvor eine Kostenquote von weniger als 28 % in fünf Jahren anvisiert.Im ersten Halbjahr sei das Ziel, die Kostenquote deutlich unter 30 % zu senken, bereits erreicht worden, sagte Berger. Dies drückt sich auch in der kombinierten Schaden- und Kostenquote aus, die bei 98,8 % und damit 4,1 Punkte unter dem Wert der Vorjahresperiode landete. Mittelfristig müsse das Unternehmen auf eine Kostenquote von 25 % kommen, präzisierte Berger: “Das ist auch mein Wunsch- und Zielwert für das Industrieversicherungsgeschäft hier in Zentraleuropa und damit im deutschen Markt.” In Deutschland beschäftigte AGCS vor der Sparrunde rund 1 200 Männer und Frauen. Stellenabbau bis Ende 2018Das Ziel, betriebsbedingte Kündigungen in der AGCS zu vermeiden, sei erreicht worden, sagte Berger. Wie geplant würden die Maßnahmen bis Ende 2018 greifen. Parallel arbeite Allianz Global Corporate & Specialty mit Hochdruck daran, das Geschäftsmodell neu aufzustellen. Derzeit würden Prozesse und Zuständigkeiten neu definiert, Aktivitäten in die Shared-Service-Center der Allianz Gruppe beispielsweise in Indien, Rumänien oder Mauritius ausgelagert oder durch Roboter automatisiert. Underwriter müssten von administrativen Aufgaben entlastet werden, forderte Berger: “Sie sollen mehr mentale Energie in die Customer Journey und die eigentliche Risikobewertung stecken, statt Policendaten in IT-Tools einzugeben.” Zudem investiere AGCS verstärkt in digitale Vertriebsplattformen und neue Services für ihre Kunden.Der Geschäftsverlauf im Jahr 2017 hat es Berger angetan. “Wir haben ein sehr gutes erstes Halbjahr hingelegt”, sagte er auch mit Blick auf die gesunkene Belastung durch Naturkatastrophen. Wenn sich dieser Trend fortsetze, dann werde das Jahr für die AGCS sehr gut. Höherer MarktanteilAußerordentlich zufrieden zeigte Berger sich auch mit der anhaltend hohen Erneuerungsrate der Policen von mehr als 90 %: “Wir verlieren keine großen Bestandskunden, es sei denn, wir haben im gemeinsamen Gespräch herausgefunden, dass es nicht richtig ist, den Vertrag zu erneuern.” So habe AGCS in dem reifen Markt Deutschland im vergangenen Jahr Marktanteile gewinnen können: “Das ist sehr positiv.” Der Umsatz stieg in Zentral- und Osteuropa 2016 um 1,4 % auf 1,4 Mrd. Euro (siehe Grafik), so dass 22 % der weltweiten Beitragseinnahmen des Unternehmens aus der Region stammten.