NOTIERT IN ZÜRICH

Am Puls des Schweizer Finanzplatzes

Wenn Lukas Hässig morgens um 8.00 Uhr auf dem Selfmade-Blog "Insideparadeplatz.ch" seine tägliche Top-Story aufschaltet, kommt eine Klickwelle in Gang, deren Wucht nicht selten auch die aufwendig inszenierten Online-Portale der etablierten Schweizer...

Am Puls des Schweizer Finanzplatzes

Wenn Lukas Hässig morgens um 8.00 Uhr auf dem Selfmade-Blog “Insideparadeplatz.ch” seine tägliche Top-Story aufschaltet, kommt eine Klickwelle in Gang, deren Wucht nicht selten auch die aufwendig inszenierten Online-Portale der etablierten Schweizer Wirtschaftspresse in Verlegenheit bringt. Manch ein Chefredakteur beißt sich dann insgeheim in die Fingernägel.Der News-Jäger, dem im vergangenen Jahr die Ehrung als Schweizer Journalist des Jahres zuteil wurde, wanderte lange durch den helvetischen Blätterwald, bis er sich 2011 zum Alleingang als Blogger entschloss. Seine oft brisanten Geschichten aus dem Schweizer Finanzmilieu fanden zwar schon früher viel Beachtung und Gefallen in den Verlagen. Doch mit den bisweilen überaus scharfen Reaktionen der Betroffenen und ihrer Rechtsvertreter sah man sich dort schnell einmal überfordert.Inzwischen hat der 55-Jährige einen solchen Status erreicht, dass er sich von seinen Gegnern mit ein paar juristischen Mätzchen nicht mehr zum Schweigen bringen lässt. Wenn eine News gute Quoten verspricht, ist Lukas Hässig nicht zu halten. “Krimi um Khan: Detektive beschatten Banker-Star”, titelte er am 20. September seinen Erstling zu einer Affäre, welche die Credit Suisse in den Wochen danach in den Grundfesten erschüttern sollte. Die Wochenendpresse erkannte die Brisanz der Story und brachte den Skandal richtig in Schwung. “Das ist das typische Muster. Wenn die große Welle Fahrt aufnimmt, muss ich immer aufpassen, nicht einfach überrollt zu werden”, sagt Hässig. Doch der Mann versteht sich auch aufs Wellenreiten. Dem ersten Stück schickte er nach dem Wochenende gleich den nächsten Schuss hinterher: “Thiam bringt Credit Suisse in höchste Gefahr”. Die Story lockte 100 000 Besucher auf den Blog – “ein Rekordwert”, wie der Autor schmunzelnd feststellt.Die Geschichte drehte weiter, über Tage und Wochen. Der Verwaltungsratspräsident sah sich gezwungen zu intervenieren. Eine interne Untersuchung wurde angestoßen. Zähneknirschende Selbstkritik. Köpfe rollen. Wer dranbleiben will, kommt um “Insideparadeplatz.ch” nicht herum.Wirtschaftsskandale lassen Lukas Hässig zur Hochform auflaufen. Für großes Aufsehen sorgte er im vergangenen Jahr, als er die Machenschaften von Pierin Vincenz, dem vormaligen Chef der genossenschaftlichen Bankengruppe Raiffeisen, und seiner Entourage im Alleingang aufdeckte. Vincenz und einer seiner engsten Mitstreiter landeten in Untersuchungshaft. Sie werden verdächtigt, auf Kosten der Bank im großen Stil in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben.Hässigs Geschichten machen bisweilen auch große Politik. Im Februar 2013 brachte er unter dem Titel “Vasellas Geheimkonto bei Wegelin” die horrenden Bezüge des früheren Novartis-Chefs Daniel Vasella ans Licht. Dieser wollte sich das sechsjährige Konkurrenzverbot nach seinem Rücktritt mit einer Summe von 72 Mill. Franken abgelten lassen. Ein Schrei der Entrüstung ging durchs Land, und drei Wochen später winkten die Wähler an der Urne die “Abzockerinitiative” gegen Selbstbedienungskultur der Manager von Großkonzernen durch, nachdem das Schweizer Wirtschaftsestablishment diese ganze acht Jahre hinweg mit großem finanziellem Aufwand und viel Lobbyarbeit im Parlament zu verhindern versucht hatte.Die betont umgangssprachlich verfassten Texte von Lukas Hässig machen eine Welt greifbar, die ihre oft armselige Wirklichkeit nur allzu häufig hinter den geschliffenen Formulierungen von PR-Profis und Juristen verbirgt. Gerade deshalb hat sich “Insideparadeplatz” zu einer unverzichtbaren Stimme des Finanzplatzes Schweiz gemausert. Die vielen Fans und Kommentatoren helfen tatkräftig mit, dass Hässig seine Geschichten nicht in der eigenen Fantasie suchen muss, sondern buchstäblich auf der Straße fündig wird. Der Vergleich zu den literarisch-geschmeidigen Designer-Texten eines Claas Relotius drängt sich auf. Der gefallene “Spiegel”-Autor zielte darauf ab, seine Community mit Wohlfühl-Reportagen im eigenen kritischen Selbstverständnis zu bestätigen. Hässigs Leserschaft besteht zum großen Teil aus Bankern. Was sie tagtäglich auf “Insideparadeplatz” vorgesetzt bekommen, ist selten Balsam für ihre geschundenen Seelen.