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Ant Financial steht zum patriotischen Börsenmarsch bereit

Von Norbert Hellmann, Schanghai Börsen-Zeitung, 30.7.2020 Eins steht fest: Beim anstehenden Börsengang des chinesischen Fintech-Riesen Ant Financial muss nicht gekleckert, sondern darf geklotzt werden. Dafür verbürgt sich allein schon die...

Ant Financial steht zum patriotischen Börsenmarsch bereit

Von Norbert Hellmann, SchanghaiEins steht fest: Beim anstehenden Börsengang des chinesischen Fintech-Riesen Ant Financial muss nicht gekleckert, sondern darf geklotzt werden. Dafür verbürgt sich allein schon die Abstammung aus dem vom Star-Entrepreneur Jack Ma aufgezogenen Hause Alibaba, Chinas dominierendem Onlinehandelsbetreiber. Das bei der Schwestergesellschaft Ant Financial angesiedelte Onlinezahlungssystem Alipay macht die Abwicklungsmusik für Alibabas E-Commerce-Transaktionen und sämtliche anderen Onlinelieferdienste. Besondere PremiereJack Ma ist für seinen besonders guten Riecher in Sachen Start-up-Finanzierung bekannt und hat mit Alibaba im September 2014 das für lange Zeit weltgrößte Initial Public Offering (IPO) im Umfang von 25 Mrd. Dollar an der New Yorker Börse gestemmt. Fünf Jahre später setzte Alibaba im September 2019 eine neue Marke mit dem bislang weltgrößten Zweitlisting über 12,5 Mrd. Dollar, für das man sich mit der Börse Hongkong einen zwar chinesischen, aber für internationale Investoren voll zugänglichen Finanzplatz ausgesucht hat.Nun lässt Ma die Ant Financial eine Premiere der besonderen Art feiern, nämlich den ersten Börsengang eines nichtstaatlichen chinesischen Unternehmens, das sich parallel an die Börsen in Hongkong und Schanghai begibt. Der duale Aufschlag dürfte Ant, die gegenwärtig bereits auf eine implizite Marktbewertung von rund 210 Mrd. Dollar taxiert wird, allein bei Ausgabe von nur 10 % des erweiterten Aktienkapitals auf ein gigantisches IPO-Volumen jenseits der 20-Mrd.-Dollar-Marke kommen lassen (siehe Grafik).Manche mögen überrascht sein, dass Ant Financial für ihr wahrscheinlich im September über die Bühne gehendes IPO sich nicht mehr der Wall Street als weltgrößtem Kapitalbecken mit besonderer Affinität für Technologieunternehmen bedient. Tatsächlich aber ist es so, dass Ma die über Jahre wie ein Kleinod gehütete und mit Finanzinvestorengeldern immer weiter angefütterte Ant Financial von vornherein nie an eine US-Börse bringen wollte.Da Ant Financial beziehungsweise Alipay längst als systemisch wichtiges Zahlungsverkehrssystem angesehen werden kann, würde man mit einem ausländischen IPO bei der chinesischen Regierung anecken. Das kann und will sich auch ein Jack Ma, der seines Zeichens brav der Kommunistischen Partei beigetreten ist, nicht leisten. Abgesehen davon sprechen die immer weiter eskalierenden Streitigkeiten zwischen China und den USA und wachsende Ressentiments gegenüber chinesischen Unternehmen nicht gerade für eine Kapitalmarktexistenz im “Feindesland”.Der US-Markt, auf dem Alibaba mit ihrem Geschäftsmodell bislang nicht reüssieren konnte, ist für Ma und Ant Financial als Expansionsterritorium wie auch IPO-Herberge bereits Schnee von gestern. Vor den eigenen Türen haben sich die Dinge nach Listingreformen sowohl an der Hong Kong Exchanges (HKEX) als auch auf den chinesischen Festlandbörsen so weit geändert und liberalisiert, dass sie mittlerweile auch als Bühne für große IPOs aus dem Technologiesektor in Frage kommen.In Hongkong heißt man mittlerweile auch gründerdominierte Unternehmen und ihre Aktienklassen mit Mehrfachstimmrechten, die eine dauerhafte Managementkontrolle des Gründerteams gewährleisten, willkommen. Auf dem Festland wiederum wurde vor genau einem Jahr mit dem Schanghaier Star Market erstmals ein Börsensegment aufgezogen, das die ultrabehäbigen Zulassungsbestimmungen für IPOs der Wertpapieraufsichtsbehörde China Securities Regulatory Commission (CSRC) umgeht und nach dem im Westen üblichen Registrierungsverfahren funktioniert.Für Ant Financial ist dieser Schritt ein lange erhoffter Segen: Auf dem Star Market dürfen nicht nur Unternehmen mit mehrfachen Aktienklassen ran, sondern es fallen auch Beschränkungen zum Bewertungsverhältnis weg. Zuvor verfügte die CSRC eine für Tech-Unternehmen völlig indiskutable Beschränkung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) auf Basis des Emissionspreises von 23. Nun aber sorgt auf dem Star Market die Begeisterung der chinesischen Anleger für zuvor rare Tech-Emissionen in heimischen Gefilden dafür, dass Börsenneulinge mit astronomisch hohen KGVs von über 150 an den Start gehen können und die Kurse an den ersten Handelstagen dennoch haussieren. Das sind Bedingungen ganz nach dem Geschmack von kapitalhungrigen Start-up-Unternehmen. ReifeprüfungAus Sicht der chinesischen Regierung dürfte mit dem Ant-IPO eine geradezu historisch-patriotische Kapitalmarktstunde anbrechen. Denn Ant Financial kommt mit ihrem Doppelschlag in Hongkong und Schanghai gerade im Umfeld wachsender Unsicherheiten über die Zukunft des Finanzplatzes Hongkong nach der Verabschiedung eines drakonischen Sicherheitsgesetzes für die Sonderverwaltungszone sehr gelegen. Ein erfolgreiches Mega-IPO auf beiden Märkten ist aus der Sicht Pekings nicht nur eine besonders harmonische Lösung, sondern auch eine wichtige Reifeprüfung für Chinas Kapitalmarktkultur.