Börse auf Schmusekurs mit den Stakeholdern
“Mund abputzen – weitermachen” empfahl einst Ex-Nationaltorhüter Oliver Kahn. Aus dem Munde von Carsten Kengeter, dem Vorstandschef der Deutschen Börse, hörte sich das in der Hauptversammlung am vergangenen Mittwoch so an: “Daraus haben wir gelernt, daraus habe ich gelernt: Wir blicken nach vorn.” Seine Aktionäre hatte der Börse-Chef damit weitgehend hinter sich, die 84 % Zustimmung für seine Vorstandsentlastung lagen nicht weit unter jenen 89 %, mit denen die Aktionäre der Deutschen Börse AG vor einem Jahr durch Annahme des Aktientauschs ihre Zustimmung zum Fusionsplan mit der London Stock Exchange bekundet hatten. Es waren zwar nicht jene 99 %, die Vorstand und Aufsichtsrat der Börse in guten wie auch langweiligen Jahren bei der Entlastung einsammelten – aber Ohrfeigen für eine vergeigte Fusion sehen anders aus, da mögen die Verbalattacken von Kleinaktionärsvertretern noch so berechtigt wie scharfzüngig gewesen sein und für Presseschlagzeilen gesorgt haben.Im Gegenteil, die Aktionäre scheinen über das Scheitern der Fusion ganz und gar nicht traurig zu sein, wenn man den Aktienkurs als Indikator nimmt. So bewegte sich die Notierung am Tag der HV mit gut 92 Euro nahe am Mehrjahreshoch. Fan-Gesänge bleiben dennoch aus, denn die institutionellen Investoren halten sich in der Börse-HV traditionell bedeckt und bevorzugen die Abstimmung mit den Füßen. Deshalb werden sie seit Jahren mit Dividendenerhöhungen und Aktienrückkäufen bei Laune gehalten. Ein Draht nach WiesbadenSo weit, so gut. Die Aktionäre waren aber nicht das Problem der Deutschen Börse, sondern die übrigen Stakeholder. Sie nicht einmal richtig zu kennen, geschweige denn einen vertrauensvollen Austausch mit Ihnen zu pflegen, gehörte zu den großen Versäumnissen von Vorstand und insbesondere Aufsichtsrat. Wer London besser kennt als Frankfurt, der hält Berlin eben für wichtiger als Wiesbaden, selbst in Fragen der Börsenaufsicht. Doch das soll sich ändern. Das kolportierte Verbindungsbüro der Deutschen Börse in Wiesbaden wird es zwar nicht geben, aber immerhin einen eigens für die Beziehungspflege zur Landespolitik angestellten Mitarbeiter. Und nicht nur die Beziehungen zur Landesregierung, zur Hessischen Börsenaufsicht wie generell zur Politik will der Börsenbetreiber künftig besser pflegen, sondern auch sein Verhältnis zum Finanzplatz Frankfurt.Nicht erst seit dem steuerlich motivierten Umzug von Frankfurt nach Eschborn vor etlichen Jahren hat die Entfremdung zum Finanzplatz und ihren Akteuren ihren Lauf genommen. Sie begann schon mit dem Börsengang der Börse und der Aufforderung an die Aktionäre der ersten Stunde, überwiegend Banken des Finanzplatzes, ihre Anteile doch bitteschön zum Zwecke der Internationalisierung des Eigentümerkreises zu verkaufen. Mancher Frankfurter Banker hat sich diese Briefe aus der Zeit des damaligen Börse-Chefs Werner Seifert aufgehoben und empfindet heute noch eine gewisse Genugtuung, dass ausgerechnet jene ausländischen Aktionäre mit dem Hedgefonds TCI an der Spitze später, im Jahr 2005, Werner Seifert vom Hof jagten. Unter Seiferts Nachfolger Reto Francioni wurden die Beziehungen der Deutschen Börse zu ihren Stakeholdern und zum Finanzplatz Frankfurt nicht gerade inniger, saß doch der neuen Führung einerseits noch die Furcht vor aktivistischen Aktionären im Nacken und schlug andererseits damals das Herz auch vieler Frankfurter Banker für London und New York, jedenfalls bis zum Ausbruch der Finanzkrise.Zehn Jahre später hat sich der Wind gedreht. Da betont ein Brite als Chef der Deutschen Bank stolz, dass man sogar die Namen der neuen Geschäftsbereiche jetzt auf Deutsch versteht (vgl. BZ vom 19. Mai), und der aus London an den Main gewechselte Börse-Chef Kengeter verspricht: “Wir werden am Finanzplatz sichtbarer werden.” Sichtbar nicht nur für die Kapitalmarktprofis durch neue Handelsangebote oder für Jungunternehmer durch ein Fintech-Zentrum, sondern sichtbar für die breite Öffentlichkeit. Die Förderung von Wissenschaft, Kultur und Sport will sich die Deutsche Börse künftig etwas kosten lassen und damit ihre Verbundenheit nicht nur zum Finanzplatz, sondern auch zum Standort generell ausdrücken. Sponsor der EintrachtDamit stehen die Chancen gut, dass endlich zwei Imageträger Frankfurts zusammenfinden, die eine immer größer werdende Schnittmenge einst sehr unterschiedlicher Zielgruppen ansprechen: Börse und Fußball. Nicht erst seit dem jährlichen Finanzplatz-Cup bemüht sich Eintracht Frankfurt mit Unterstützung aus der Finanzwirtschaft, sich als Verein des Finanzplatzes zu profilieren. Schon seit zehn Jahren arbeitet der Fußballverein am Bekenntnis des Finanzplatzes und insbesondere der Deutschen Börse zu Eintracht Frankfurt, dem “emotionalsten Aushängeschild” der Region, wie man dort gern betont. Dem früheren Börse-Chef und passionierten Fliegenfischer Francioni mag das etwas zu viel Emotionalität gewesen sein. Doch die jetzige Börsenführung braucht dringend Bodenhaftung und regionale Verankerung, und da bietet sich das Fußballfeld geradezu an.Inwieweit Eintracht Frankfurt auch zum internationalen Botschafter des Finanzplatzes und Sympathieträger einer Institution wie der Börse taugt, wird sich sportlich in einer Woche im Pokalfinale in Berlin wie auch in der neuen Saison weisen, imagemäßig am künftigen Verhalten der Fans. Aber als Zeichen der Verbundenheit der Deutschen Börse mit dem Standort würde es sicherlich gewertet, wenn demnächst das Signet der Börse auf dem Ärmel der Eintracht-Trikots zu sehen ist. Und warum sollten nicht auch Eintracht-Fußballer Botschafter der Aktienkultur werden? Verglichen mit den zig Millionen, die für Beratungsleistungen rund um die gescheiterte Fusion ausgegeben wurden, nehmen sich die Investitionen in die Stakeholderbeziehungen und für einen sichtbareren und nachhaltigen Auftritt am Finanzplatz Frankfurt bescheiden aus. Aber das Spiel um den Stakeholder Value wird ja gerade erst angepfiffen.—-c.doering@boersen-zeitung.de——–Von Claus DöringLernprozess bei der Deutschen Börse: Nach den Aktionären rücken nun auch Finanzplatz und Standort in den Fokus.——-