BaFin hält Entwarnung wegen Bankenbeben für verfrüht
Finanzaufsicht hält Entwarnung für verfrüht
BaFin-Präsident: Finanzsystem bislang stabil, doch Regulierungstätigkeit der Behörde soll überprüft werden
Die deutsche Finanzaufsicht hält fest, dass sich aus Bankturbulenzen in der Schweiz und den USA vorerst keine Systemrisiken ergeben. Dennoch sei die Gefahr nicht gebannt, sagt BaFin-Chef Mark Branson und plädiert dafür, Nachschärfungen in Aufsichtspraxis, Regulierung und Abwicklungsplanung zu prüfen.
fir/jsc Frankfurt
Die Bankenkrisen der vergangenen Wochen in der Schweiz und den USA haben lieb gewonnene vermeintliche Gewissheiten auch der Bankenaufsicht hierzulande infrage gestellt. Aus Credit-Suisse-Rettung, Pleiten und Schieflagen amerikanischer Regionalbanken will die BaFin deshalb Lehren für ihre Arbeit ziehen und prüft eine mögliche Nachschärfung von Aufsicht, Regulierung und Abwicklungsplanung. Gefahren für eine systemische Krise sehe er derzeit nicht, sagte BaFin-Präsident Mark Branson am Dienstag auf der Bilanzpressekonferenz der Behörde in Frankfurt. Auch wenn sich das globale Finanzsystem bislang als stabil erweise, warnte er aber davor, die jüngsten Ereignisse abzuhaken: „Es ist nicht vorbei.“ Noch seien nicht sämtliche Folgen der Abkehr der Notenbanken von der Niedrigzinspolitik sichtbar, da sie teils zeitverzögert aufträten. „Die Auswirkungen der Zinserhöhungen werden wir noch über die nächsten Quartale und Jahre erleben.“
Gleich viele Banken in Betreuung
Der rasche Abzug von Liquidität hatte zum Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und anderer US-Regionalbanken geführt und die Zwangsübernahme der Credit Suisse durch die UBS verursacht. In den Vereinigten Staaten drohen weitere Finanzinstitute in Schieflage zu geraten. Hierzulande hat der Zinsanstieg der BaFin zufolge etwa bei kleineren Instituten, vor allem Sparkassen und Genossenschaftsbanken, Wertberichtigungen in den selbst gehaltenen Wertpapierbeständen von annähernd 13 Mrd. Euro hervorgerufen. Die hätten die zumindest temporären Verluste zwar abfedern können, doch seien die stillen Reserven nun aufgezehrt. Immerhin, so befand Branson, habe sich die Zahl der kleinen Institute, die sich unter intensiver aufsichtlicher Obhut befinden, nicht sonderlich geändert. Es fänden sich zwar neue Namen auf der Liste, auch wegen Zinsänderungsrisiken, doch andere verschwanden. „Einen großen Zuwachs der Zahl von notleidenden Banken haben wir nicht gesehen.“
„Seit März durchlebt das weltweite Finanzsystem eine Art Stresstest in Echtzeit“, kommentierte Branson, der selbst von 2014 bis 2021 der Schweizer Finanzaufsicht Finma vorstand, den Ernst der Lage. Sei bislang die Meinung vorherrschend gewesen, dass unbesicherte Sichteinlagen zur stabilen Refinanzierung von Banken herangezogen werden könnten, so sei seit jüngstem zu erleben, dass diese Annahme keine Gültigkeit mehr habe.
Branson machte dabei deutlich, dass zumindest ein Teil der Finanzinstitute mit Kapital- und Liquiditätsaufschlägen rechnen sollte. So verlange die sogenannte Säule I des Baseler Regelwerks, die Mindestanforderungen für Eigenkapital festlegt, keine verbindlichen Vorgaben für Zinsänderungsrisiken, sagte Branson. Anders verhalte es sich nach Säule II, die es Aufsehern erlaubt, einzelnen Instituten über die Mindestanforderungen hinausgehende individuelle Kapitalaufschläge zu verpassen, wenn sie bestimmte Risiken als nicht abgedeckt erachten.
Der BaFin-Präsident plädierte dafür, trotz dieser bereits bestehenden Möglichkeit, in Säule I nachzubessern. Dabei habe der internationale Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht bereits vor Jahren eine Eigenkapitalunterlegung für Zinsänderungsrisiken in Säule I diskutiert, von dieser Idee aber wieder Abstand genommen. “Möglich, dass die Idee angesichts der jüngsten Ereignisse nun bessere Chancen hätte”, kommentierte Branson.
Die vergangenen Wochen hätten gezeigt, dass Liquiditätskrisen viel rapider als früher entstehen könnten. „In der Finanzkrise 2007/2008 floss die Liquidität mitunter über Monate ab. Jetzt ist das innerhalb von Stunden möglich“, sagte der BaFin-Chef. Dazu trügen über soziale Medien in Sekundenschnelle verbreitete Informationen und Gerüchte bei und auch psychologische Faktoren. „Wir müssen es schaffen, dass die Schieflage eines kleineren oder mittelgroßen Instituts keine unnötigen Ansteckungsängste mehr auslöst“, mahnte Branson. Er plädierte zum einen für eine Überprüfung globaler Liquiditätsregeln, die nach der Finanzkrise eingeführt worden waren, in der Welt von heute aber nicht genügten. Das gelte für die auf 30 Tage ausgelegte Liquidity Coverage Ratio (LCR), aber auch für die Net Stable Funding Ratio (NSFR), die ein Jahr zugrunde legt.
Noch ein Topf mehr
Auch forderte Branson ein glaubwürdiges Abwicklungsregime. „Alle kleinen Institute abzuwickeln ist genauso falsch wie große systemrelevante Banken nicht abzuwickeln.“ Die Lehre aus der Finanzkrise, dass eine Bank nicht zu groß zum Scheitern sein dürfe, habe Bestand. „Teure, improvisierte staatliche Rettungsaktionen können nicht der richtige Weg sein.“
Für das Bankensystem in der EU sei es wichtig, die Letztsicherung des European Stability Mechanism (ESM) einzuführen, wie BaFin-Exekutivdirektorin Birgit Rodolphe ergänzte. Bisher ist der Mechanismus nicht in Kraft getreten. Die Zustimmung von Italien stehe noch aus, sagte sie. Bis Jahresende, so ihre Hoffnung, könne das System auf den Weg gebracht werden und den bestehenden und bald vollständig befüllten Abwicklungsfonds SRF (Single Resolution Fund) ergänzen.
Die ESM-Sicherung tritt ein, wenn die Mittel im SRF nicht ausreichen. Während der SRF von den Banken vorab befüllt wird, stellt der ESM im Krisenfall selbst die Mittel bereit und bittet danach die Finanzbranche zur Kasse. Beide Instrumente, Abwicklungsfonds und ESM-Letztsicherung, sollen bis zu 1% der gedeckten Einlagen in Europa aufbringen können, zuletzt rund 80 Mrd. Euro. Insgesamt betrüge der Puffer damit 160 Mrd. Euro.