Steuerhinterziehung

Cum-ex und das Risiko der Arbeits­teilung

Der HVB-Bereichsleiter, der von Ende 2007 an für Cum-ex-Geschäfte im Kundenauftrag Verantwortung trug, hat nicht einmal versucht, diese zu verstehen. Er verließ sich blind auf die Rechtsabteilung.

Cum-ex und das Risiko der Arbeits­teilung

Von Anna Sleegers, Wiesbaden

Während die Schweizer Behörden am Donnerstagmorgen Hanno Berger an der Grenzstelle Kreuzlingen-Konstanz der deutschen Justiz übergeben haben, ist der Cum-ex-Prozess am Landgericht Wiesbaden fortgesetzt worden. Im Rahmen der Beweisaufnahme wurde ein ehemaliger Banker aus dem Wealth Management der HypoVereinsbank (HVB) als Zeuge gehört (Az. 6 KLs – 1111 Js 27125/12).

Ihm war die Verantwortung für die Cum-ex-Geschäfte im November 2007 quasi in den Schoß gefallen, als er zusätzlich zu seiner Funktion als Bereichsleiter Produkte und Dienstleistungen die Führung der Abteilung Family Offices übernahm. Jener Abteilung also, die im Auftrag des inzwischen verstorbenen Immobilieninvestors Rafael Roth insgesamt 61 Leerverkaufsgeschäfte mit Dax-Titeln durchführte, laut Anklage mit dem einzigen Ziel, falsche Steuerbescheinigungen zu produzieren.

Freimütig gab der 67-jährige Zeuge am Donnerstag zu Protokoll, dass er damals überhaupt nicht versucht habe, die Transaktionen zu verstehen. Zwar erinnert er sich an eine Besprechung mit zwei damaligen Vorständen im Jahr, in dem es um das Thema gegangen war. Dabei sei es jedoch lediglich um die Frage gegangen, welche Risiken die HVB mit einem Milliardenkredit eingehen würde, den sie für die Aktienkäufe bewilligen sollte. Eine Managementpräsentation oder auch nur eine mündliche Erläuterung der Cum-ex-Transaktionen habe es dort jedoch gegeben.

Unheimlich kompliziert

Der Zeuge, der in seiner Karriere bei verschiedenen Großbanken offenbar keine Berührungspunkte zum Handel gehabt hat, hatte die Geschäfte für „unheimlich kompliziert“ gehalten. Er selbst sei zu diesem Zeitpunkt vollauf mit der Reorganisation der von ihm verantworteten Sparten beschäftigt gewesen. Die von ihm vorgeschlagene Auflösung der Abteilung Family Offices habe die Kommunikation zu deren Mitarbeitern zudem erheblich beeinträchtigt. Vor diesem Hintergrund habe er sich blind auf die Rechtsabteilung der HVB verlassen. Zumal der Angeklagte Andreas B. ihn darauf hingewiesen hatte, dass die Hausjuristen die gleiche Art von Geschäften bereits 2006 und 2007 genehmigt hatten.

Er sei ein Freund der Arbeitsteilung, sagte der frühere HVB-Bereichsleiter. Außerdem habe er bei seinem früheren Arbeitgeber, UBS Europe, gelernt: „Wenn die Rechtsabteilung sagt, das ist okay, gibt es keine Nachfrage aus den Abteilungen.“ So seien die Spielregeln damals gewesen, auch wenn er heute womöglich anders handeln würde.

Nicht ganz bei der Sache

Unglücklicherweise war aber auch der zuständige Mitarbeiter der Rechtsabteilung nicht ganz bei der Sache gewesen, als er die Cum-ex-Transaktionen beurteilte. Wie er an einem früheren Prozesstag aussagte, hatte er kurz vor der Pensionierung gestanden und war dabei, seinen Schreibtisch „leerzuarbeiten“, als das Thema im Frühsommer 2007 bei ihm landete (vgl. BZ vom 9.9.2021). Ihm war demnach sowohl entgangen, dass die Transaktionen auf Leerverkäufen basierten, als auch, dass der nach seiner Darstellung schon damals für gewagte Steueroptimierungsmodelle bekannte Berger involviert war.

Eigentlich hätte auch Berger in Wiesbaden auf der Anklagebank sitzen sollen. Der Steueranwalt und langjährige Finanzbeamte soll die Geschäfte maßgeblich mitentwickelt haben, die einen Steuerschaden von rund 106 Mill. Euro verursachten. Berger soll es auch gewesen sein, der seinen Klienten Roth mit dem Wealth Management der HVB in Kontakt brachte. Doch als die Kammer unter der Vorsitzenden Richterin Kathleen Mittelsdorf vor einem Jahr die Hauptverhandlung der bundesweit ersten Anklage wegen Cum-ex-Geschäften eröffnete, fehlte Berger. Entgegen anderslautenden Ankündigungen reiste der heute 71-Jährige nicht aus seinem Schweizer Domizil an, wofür sein Verteidiger gesundheitliche Gründe ins Feld führte.

Gerade bei Steuerdelikten ist die Schweiz nicht bekannt dafür, sich eilfertig zum Büttel deutscher Behörden zu machen. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt dürfte sich daher wenig Hoffnung gemacht haben, dass der nach Bergers Fernbleiben beantragte Haftbefehl und vor allem das Auslieferungsersuchen zeitnah Erfolg haben würden. Doch nach einem Dreivierteljahr Auslieferungshaft und diversen abgelehnten Beschwerden rückt nun der Tag näher, an dem sich Berger erstmals vor einem deutschen Gericht verantworten muss.

Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass er aus der Untersuchungshaft in Frankfurt entlassen würde, griffe der als „Überhaft“ bezeichnete Haftbefehl des Landgerichts Bonn. Dort ist ein weiteres Cum-ex-Strafverfahren gegen Berger anhängig (Az. 62 KLs 2/20).

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