Im GesprächMarkus Fehn, Chartered Investment

„Das kann disruptiv sein für die Börsen“

Das Marktmodell mit tokenisierten Aktien befindet sich auf dem Vormarsch. Aber Markus Fehn von Chartered Investment sagt, dass es dafür vollständige Onchain-Lösungen braucht.

„Das kann disruptiv sein für die Börsen“

IM GESPRÄCH: MARKUS FEHN

„Das kann disruptiv sein für die Börsen“

Der DLT-Experte von Chartered Investment erkundet, welche Möglichkeiten sich mit neuer Finanzmarktinfrastruktur umsetzen lassen

Von Björn Godenrath, Frankfurt

Was in den vergangenen Wochen für Gesprächsstoff sorgte am Kapitalmarkt, ist der Trend zum Handel von tokenisierten Aktien – und wie Robinhood sich dabei als Pionier inszenierte und letztlich doch nur eine Mogelpackung lieferte. Denn das, was CEO Vlad Tenev bei einem Event in Cannes präsentierte, waren lediglich Token, die den Wert einer Aktie tracken, die erst im Nachgang von Robinhood im normalen Handel gekauft wird, um den Token zu decken. Dieser ist in der vorgestellten Closed-Shop- Struktur das einzige, was sich auf einer Blockchain befindet.

Echte Vorteile realisieren

So würden die Vorteile von DLT als Finanzmarktinfrastruktur nicht ausgenutzt, sagt Markus Fehn, Leiter Strategy & Innovation bei Chartered Investment, im Gespräch der Börsen-Zeitung. „Dabei kann man tatsächlich so vorgehen, dass Wertpapiere das volle Eigentumsrecht verbriefen und als Kryptowertpapiere komplett onchain existieren. Das ist ja das klassische Verständnis von tokenisierten Aktien und den Vorteilen, die sich daraus ergeben: Alle Prozesse in einem Ledger zusammenzuführen", ergänzt er. Und es gebe die Option, dies nach dem Elektronischen Wertpapiergesetz (eWpG) komplett reguliert umzusetzen.

Mit Lizenz als Kryptowertpapierregisterführer

Markus Fehn kam über Stationen bei Finanzportalen und als Unternehmensberater vor acht Jahren zu Chartered Investment. Die Düsseldorfer sind auf komplexe Kapitalmarkt-Projekte spezialisiert und nutzen die Blockchain-Technologie, um Anlageprodukte compliant und investierbar zu machen: Capital-Markets-as-a-Service. Bereits Ende 2021 nahm die Tochtergesellschaft E-Sec ihre Geschäftstätigkeit als Kryptowertpapierregisterführer auf, um solche Emissionen nach eWpG aufzusetzen.

„Broker müssen sich entscheiden, ob sie nur einen Zwischenschritt machen wollen oder eine vollständige Lösung aufsetzen, die einen echten Sekundärmarkthandel von Kryptowertpapieren ermöglichen.“

Neben Robinhood sind auch weitere Krypto-Plattformen wie Kraken schon dabei, tokenisierte Aktien anzubieten, zumindest in begrenztem Umfang. Dabei geht es primär darum, ihre Nutzer mit dem Aktienhandel im Ökosystem zu halten, sagt Fehn. „Aber die Broker müssen sich entscheiden, ob sie nur einen Zwischenschritt machen wollen oder eine vollständige Lösung aufsetzen, die einen echten Sekundärmarkthandel von Kryptowertpapieren ermöglichen.“

Sorge um die Liquidität klassischer Märkte

Mit der Haltung ist Fehn nicht alleine. So hat sich der Trading-Riese Citadel kürzlich an die SEC gewandt und bemängelt, dass die Anbieter von tokenisierten Aktien regulatorische Arbitrage einsetzen würden. Sie handelten nur „Look-a-like Securities“, was nichts mit Innovation zu tun habe. Außerdem äußerte Citadel Bedenken, tokenisierte Assets würden Liquidität von den traditionellen Märkten abziehen.

Fehn teilt diese Sorge. Es müsse ein klares und verbindliches Regelwerk für alle geben, sagt er. Auch die grassierenden Initiativen zur Ausweitung der Handelszeiten bis hin zum Rund-um-die-Uhr-Handel sieht er skeptisch. Es gelte, Vor- und Nachteilen, gut abzuwägen. Ob es wirklich viele Anleger gibt, die um 3 Uhr nachts noch Trades machen wollen, müsse der Markt entscheiden. Und ausländische Märkte, die außerhalb der üblichen Handelszeiten (Xetra plus vor- und nachbörslich auf Tradegate oder L&S Exchange) stattfinden, decken institutionelle Anleger über Futures ab.

"Die Krypto-Händler gehen dazu über, Aufträge global in ein zentrales Orderbuch einfließen zu lassen. Insofern braut sich hier etwas zusammen, was disruptiv sein kann für die klassischen Börsen.“

Traditionelle Börsen wie Nasdaq und Nyse stehen Fehn zufolge bereits unter Druck, sich in Richtung 24-Stunden-Handel zu entwickeln, da die Krypto-Trader das von ihren Plattformen her gewohnt sind. „Krypto-Händler gehen übrigens dazu über, Aufträge global in ein zentrales Orderbuch einfließen zu lassen, sofern das regulatorisch zulässig ist“, merkt er an. Insofern braue sich hier etwas zusammen, was für klassische Börsen disruptiv sein kann.

HV-Revolution zeichnet sich ab

Richtig Musik ist Fehn zufolge im Einsatz von DLT-Infrastruktur für das sogenannte Proxy Voting. Da habe Blackrock sich in Bewegung gesetzt, weil sie vom Kritikern immer wieder wegen der HV-Stimmrechtsausübung für die vielen ETF-Vehikel ins Visier genommen wird. Die Lösung: Anleger sollen mit ihren von Blackrock verwalteten ETF-Anteilen auf den Hauptversammlungen selbst abstimmen. Das ist über ein DLT-Register nebst Smart Contracts darstellbar. Fehn kann sich vorstellen, dass das mit der Wucht von Blackrock in drei bis fünf Jahren umgesetzt werden könnte.

Lösung für das Stablecoin-Anlageproblem in der EU

Bei Chartered Investment ist der DLT-Spezialist derzeit mit der Möglichkeit beschäftigt, Stablecoins mit tokenisierten Geldmarktfonds zu verbinden. " Denn das würde ein Problem adressieren, das sich mit dem Zinsverbot für Stablecoins stellt: Wie können Stablecoins anlageorientiert eingesetzt werden, ohne dass dies europäische Vorschriften verletzen würde?“, erläutert er. Ein eleganter und zulässiger Weg könnte darin bestehen, Stablecoins in Geldmarktfonds zu parken.

„Das andere, was ganz oben auf unsere Agenda steht, ist die Integration von tokenisiertem Gold.", verrät Fehn. Hier prüfe Chartered Investment derzeit Möglichkeiten der Strukturierung. Denn bislang gibt es nur Optionen, die Gold lediglich als Token und nicht als elektronisches Wertpapier verbriefen.

„Das Aufkommen der Stablecoins schließt die Lücke zwischen traditionellen- und Kryptowertpapieren. Dadurch entsteht ein großes Momentum für DLT als Finanzmarktinfrastruktur.“

Generell sei derzeit viel Schwung in diesem Geschäft. „Das Aufkommen der Stablecoins schließt die Lücke zwischen traditionellen- und Kryptowertpapieren", konstatiert Fehn. Dadurch entstehe ein großes Momentum für DLT als Finanzmarktinfrastruktur: "Gleichzeitig brauchen wir nur zwei Wochen bis zum Beispiel ein neues Wertpapier aufgegleist ist.“