Debatte um CEO-Doppelrollen bei US-Banken rollt an
Debatte um CEO-Doppelrollen bei US-Banken rollt an
Debatte um CEO-Doppelrollen bei US-Banken rollt an
xaw New York
Bei Amerikas Großbanken rollt eine Grundsatzdebatte zur Corporate Governance an. So fordert ein Aktionär von Wells Fargo das Geldhaus dazu auf, den Verwaltungsratsvorsitz wieder mit einem unabhängigen Direktor zu besetzen und damit von der operativen Leitung zu trennen. „Ein unabhängiger Chairman fördert größere Verantwortlichkeit und erlaubt es dem Verwaltungsrat, sich auf kritische Fragen der Governance und Risikokontrolle zu konzentrieren, während der CEO sich auf das Tagesgeschäft fokussiert“, heißt es in einem Vorstoß der Non-Profit-Organisation The Accountability Board, den diese am Dienstag bei Wells Fargo eingereicht hat. Die Aktivisten wollen nicht genau offenlegen, wie hoch ihre Beteiligung an der Bank ausfällt, geben gegenüber dem Magazin „Barron's“ aber an, seit mehr als einem Jahr Aktien im Gegenwert von mindestens 25.000 Dollar gehalten zu haben.
Wachsende Zustimmung
Wenngleich Analysten die Erfolgsaussichten des Vorschlags zunächst als gering einstufen, liefert The Accountability Board doch einen Beitrag zu einer größeren Diskussion. Diese treibt Amerikas Großbanken spätestens seit dem Frühjahr 2024 um. Damals verlangten Shareholder-Aktivisten bei Goldman Sachs und Bank of America neue Richtlinien, gemäß denen der Vorstandschef im Sinne einer besseren internen Kontrolle nicht gleichzeitig den Verwaltungsrat führen darf.

picture alliance / Pacific Press | Lev Radin
Auf der Hauptversammlung der New Yorker Investmentbank im vergangenen Jahr stimmten dem Vorschlag 33% der Aktionäre zu, nachdem ein ähnlicher Antrag aus dem Vorjahr nur auf 16% gekommen war. Bei der Universalbank aus North Carolina waren es immerhin 31%, nachdem sich 2023 noch 26% hinter den Vorstoß gestellt hatten. Zur verstärkten Unterstützung trug wohl auch bei, dass die Stimmrechtsberater Institutional Shareholder Services und Glass Lewis Aktionären zu Pro-Vota rieten. Auch bei J.P. Morgan, Citigroup und Blackrock kommen solche Anträge in den vergangenen Jahren wiederholt auf die Agenda.
Bisher unterscheidet sich die Führungs- und Kontrollstruktur in der amerikanischen Wirtschaft insgesamt fundamental von jener in Deutschland. „Das Doppelsystem aus Vorstand und Aufsichtsrat stellt auch weiterhin den Hauptgrund dafür dar, dass Shareholder-Aktivisten in Deutschland weniger Traktion gewinnen als in den USA“, sagt Kai Liekefett, Partner und Co-Leiter der Corporate-Defense-Praxis bei der Großkanzlei Sidley Austin in New York, gegenüber der Börsen-Zeitung. Allein schon die starke Einbindung von Arbeitnehmervertretern ins Kontrollgremium erschwere es Aktivisten häufig, überhaupt in deutschen Unternehmen Fuß zu fassen. Hinzu komme, dass viele Aktiengesellschaften in der Bundesrepublik über große und einflussreiche Hauptanteilseigner verfügten, die wenig Raum für laute Minderheitsaktionäre mit harten Forderungen ließen.
Ambitionen bei weiteren Dienstleistern
Die Shareholder-Aktivisten bei Wells Fargo fürchten aber offenbar nicht, sich mit ihren Vorstößen zu einer stärkeren Gewaltenteilung im Konzern selbst die Zugangsmöglichkeiten abzugraben. The Accountability Board plant nach eigenen Angaben, für die Hauptversammlungssaisons 2026 und 2027 auch bei anderen Unternehmen aus ihrem Portfolio auf eine Trennung von CEO-Posten und Verwaltungsratsvorsitz zu dringen.
Zu den Beteiligungen der Non-Profit-Organisation aus dem Finanzsektor zählen auch Bank of America, Synchrony Financial, Raymond James, Bank of Nova Scotia und Ally Financial. Mit Vertretern von Wells Fargo haben sich die Aktivisten nach eigenen Angaben bereits im vergangenen Monat getroffen, um über Bedenken hinsichtlich der Corporate Governance zu sprechen. Zur Besetzung des Chairman-Postens mit einem unabhängigen Direktor kamen beide Seiten dabei nicht auf einen gemeinsamen Nenner.
„Chainsaw Charlie“ mehrt Macht
Die Bank kündigte im Juli an, CEO Charlie Scharf gleichzeitig zum Verwaltungsratsvorsitzenden machen zu wollen – aktuell hat Ex-Private-Equity-Manager Steven D. Black den Posten inne. Zudem soll Scharf einen gestaffelten Bonus von 30 Mill. Dollar erhalten. Damit will Wells Fargo den Vorstandschef über mindestens sechs weitere Jahre an sich binden. Der wegen seines aggressiven Personalabbaus als „Chainsaw Charlie“ („Kettensägen-Charlie“) bekannte Manager hat die Bank seit seinem Amtsantritt 2019 auf Versöhnungskurs mit Regulatoren geführt. Im Juni feierte Scharf mit anderen Managern vor einem Eckbüro des New Yorker Hochhauses 30 Hudson Yards, dass die Federal Reserve nach sieben Jahren Wachstumsbeschränkungen für das viertgrößte US-Geldhaus aufgehoben hat.
Regulatoren hatten die Bilanzsumme von Wells Fargo 2018 bei 2 Bill. Dollar gedeckelt – zuvor war aufgeflogen, dass Mitarbeiter des Finanzinstituts ohne Autorisierung Millionen von Kundenkonten eröffnet hatten, um hohe Vertriebsziele zu erreichen. Nun will die Bank, befreit von ihren Fesseln, über alle Geschäftsbereiche hinweg kräftig wachsen. Scharf, seit seinem Amtsantritt vor allem mit der Umsetzung von nicht weniger als 13 regulatorischen Anordnungen zur Behebung von Missständen bei Wells Fargo beschäftigt, lässt hohe Ambitionen im Corporate und Investment Banking durchblicken, wo sein Haus Adressen wie Goldman Sachs und Morgan Stanley hinterherhinkt. Zudem fasst er in Interviews mit US-Medien wie dem „Wall Street Journal“ Möglichkeiten ins Auge, die vor der Ausweitung stehenden Mittel auf der Bilanz für Vorstöße in den Private-Credit- und Direct-Lending-Markt einzusetzen.
Institute wollen Flexibilität wahren
Einige Aktionäre fürchten nun, dass auf dem Expansionskurs in riskantere Geschäftsbereiche interne Kontrollen zu kurz kommen könnten. Immerhin hat der Verwaltungsrat von Wells Fargo die Corporate-Governance-Satzung bereits so geändert, dass dem Gremium ein Lead Independent Director angehören muss, wenn die Rolle des Chairman nicht mit einem unabhängigen Kandidaten besetzt ist. Konkurrenten haben Anträge zur Trennung der Spitzenposten in der Vergangenheit mit Verweis darauf abgelehnt, dass sie sich die Flexibilität wahren wollen, die passendste Führungsstruktur für den Konzern wählen zu können.

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Goldman Sachs zeigt sich immerhin offen dafür, einen unabhängigen Chairman einzusetzen, sofern das interne Governance-Komitee dies als beste Option festlegt. Bei Bank of America stimmten die Aktionäre bei einer Sonderversammlung im Jahr 2015 dafür, dem Geldhaus den entsprechenden Spielraum zu gewähren. Anträge, die Doppelrolle von Brian Moynihan als CEO und Verwaltungsratschef zu beenden, scheiterten indes in den Jahren 2017, 2018 und 2023.
Trend in der gesamten US-Wirtschaft
Generell tendieren US-Unternehmen verstärkt dazu, die seit langem etablierte Personalunion aufzulösen. Laut der Personalberatungsfirma Spencer Stuart haben inzwischen 60% der Unternehmen im S&P 500 die Spitzenposten getrennt – vor einem Jahrzehnt hatte der gleiche Anteil noch einen CEO, der auch den Verwaltungsrat führte.
Entscheidend dafür, wie Konzerne ihre Führungsstruktur künftig gestalten, sind indes auch große institutionelle Investoren. Diese votieren diesbezüglich bisher aber uneinheitlich. Das California Public Employees' Retirement System (Calpers), der führende US-Pensionsfonds für Angestellte im öffentlichen Dienst, stimmte bei Bank of America 2024 und 2023 dafür, den Verwaltungsratsvorsitz mit einem unabhängigen Direktor zu besetzen. Bei Goldman unterstützte die Kasse einen solchen Vorstoß 2023 noch, votierte im vergangenen Jahr aber dagegen.
J.P. Morgan will vorangehen
Bei J.P. Morgan kamen Anträge, die Personalunion an der Konzernspitze aufzulösen, auf Hauptversammlungen mehrfach auf Zustimmungsquoten von über 40%. Der Branchenprimus hat zugesagt, den Verwaltungsrats- vom Vorstandsvorsitz trennen zu wollen, sobald CEO Jamie Dimon abtritt. Der 69-Jährige, dem wiederholt Spitzenrollen in der Politik und sogar eine mögliche Präsidentschaftskandidatur angetragen werden, macht bisher aber keine Anstalten zu einem Rückzug.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Richard Drew
Stattdessen wirbelt er die Führungsebene wiederholt durch, heiß gehandelte Nachfolgekandidaten um Chief Operating Officer Jennifer Piepszak sollen ihre Ambitionen auf den CEO-Posten inzwischen aufgegeben haben. Sowohl die führende US-Bank als auch ihre Konkurrenten dürfte die anrollende Debatte um die Corporate Governance laut Wall-Street-Beobachtern damit auch bei den kommenden Hauptversammlungen umtreiben.