GesprächChristoph Bohn, Alte Leipziger

„Der Endkunde liest die Nachhaltigkeitsberichte nicht“

Ganz ohne den Kapitalmarkt zu nutzen, hat sich der Versicherungsverein Alte Leipziger eine sehr gute Bonität erarbeitet. In der Nachhaltigkeitsberichterstattung fordert Vorstandschef Christoph Bohn gleiche Standards für alle Marktteilnehmer.

„Der Endkunde liest die Nachhaltigkeitsberichte nicht“

Im Gespräch: Christoph Bohn

„Der Endkunde liest die Nachhaltigkeitsberichte nicht“

Der Chef der Versicherungsgruppe Alte Leipziger Hallesche fordert einheitliche Reportingstandards für alle

Von Thomas List, Frankfurt

Spezielle und flexible Lösungen, Produkt- und Managementqualität sowie eine hohe Kapitalausstattung sind nach Einschätzung von Vorstandschef Christoph Bohn für die Alte Leipziger die entscheidenden Vorteile im Wettbewerb. Ausschlaggebend waren diese Faktoren jedenfalls dafür, dass S&P Anfang August das Finanzstärke-Rating der Alten Leipziger Lebensversicherung von „A“ auf „A+“ heraufgesetzt hat. Wenige Tage später bestätigte Fitch ihr „A+“ für den Lebens- als auch den Sachversicherer Alte Leipziger Versicherung. „Ein `A+´ ist für unsere Größe ein Mega-Ergebnis“, sagt der Chef der Alten Leipziger Hallesche Gruppe im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Verein bringt Reputation

Das Erstaunliche daran: Die Versicherungsgruppe mit Sitz in Oberursel (Alte Leipziger) und Stuttgart (Hallesche Krankenversicherung) hat die hohe Kapitalausstattung ausschließlich über Ertragsthesaurierungen aufgebaut. „Den Kapitalmarkt nutzen wir dafür nicht“, unterstreicht der Vorstandschef. Dass die Alte Leipziger Leben ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ist, also seinen Mitgliedern gehört, komme bei Kunden wie auch Vertriebspartnern gut an. Bohn: „Dahinter steht der Gedanke: Ich helfe mir im Kollektiv.“ Die Produkte der Alten Leipziger und der mit ihr in einem Gleichordnungskonzern organisierten Halleschen werden praktisch ausschließlich über Makler vertrieben.

Keine regulatorischen Vorteile

Bohn betont aber auch: „Als Versicherungsverein unterliegen wir den gleichen Regularien wie andere zum Beispiel als Aktiengesellschaft organisierte Versicherer.“ Die Regulatorik erdrücke die Alte Leipziger Hallesche zwar nicht. „Sie erfordert aber natürlich Kapazitäten, die wir sonst für andere Dinge wie Prozesse oder IT-Themen verwenden könnten.“ Die Regulatorik sei aber nicht verkehrt, weil sie Transparenz schaffe: „Über die Ausgestaltung und die überbordende Bürokratie in manchen Bereichen kann man aber streiten.“ Das betreffe manche Berichte und zu führende Nachweise. Dies beziehe sich insbesondere auf das Reporting: „Mehr als die Hälfte unseres Geschäftsberichtes ist CSRD.“ Das sei zwar grundsätzlich kein Problem für die Alte Leipziger, aber der Aufwand sei beträchtlich.

„Davon hätten wir nichts“

Die zur Diskussion stehende Entlastung bei den Berichtspflichten würde der Alten Leipziger nichts bringen, sagt Bohn: „Dafür sind wir zu groß.“ Denn die im Rahmen des sogenannten Omnibus-Pakets vorgeschlagene Befreiung würde nur Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeitern betreffen. Das sieht er mit Blick auf die Transparenz und Vergleichbarkeit kritisch. Wenn irgendwann einmal die heute zum Teil gar nicht verfügbaren Daten vorlägen, müsse die Frage beantwortet werden, welche Kenngröße entscheidend sind: „Die sollten zwecks Vergleichbarkeit auch kleinere Versicherer liefern.“ Schließlich sei es das Ziel der Verordnung, die Nachhaltigkeit eines Unternehmens bestimmen zu können.

„Wer liest die so?“

Die Alte Leipziger stehe über den Versicherungsverband GDV mit Brüssel in Kontakt, um „an der ein oder anderen Stelle“ eine „Entschlackung“ der Vorschriften zu erreichen. „Es wäre ein Wunsch von mir, dass man hier adressatengerechter vorgeht“, findet Bohn: „Wenn Sie sich die CSRD-Berichte ansehen, stellt sich die Frage: Wer liest die, so wie sie jetzt sind?“

Der Endkunde jedenfalls nicht, ist Bohn überzeugt. Denn zumindest die Alte Leipziger sehe sich stattdessen mit entsprechenden Fragen der Vertriebspartner konfrontiert. Sie versuchten, auf diese Weise im Kundengespräch selbst eine Einschätzung abgeben zu können. Diese unterschieden sich dann wieder von den anderen Nachhaltigkeitsabfragen. „Wir brauchen eine stärkere Standardisierung auf wirklich wichtige Größen, um dann mittelfristig eine echte Vergleichbarkeit erreichen zu können“, fordert der Versicherungsmanager.

Standardisierung schafft Vergleichbarkeit

Zu befürchten sei auch, dass jede Ratingagentur ihre eigenen Messwerte heranzieht, gibt Bohn zu bedenken. Standardisierte Werte ließen sich dagegen leicht vergleichen und für die verschiedenen Adressaten – Vertriebspartner, Öffentlichkeit, Endkunden – aufbereiten. „Diesen Spielraum haben wir im Moment aber nicht“, bedauert er.

Als ihre Paradedisziplin sieht die Alten Leipziger die betriebliche Altersvorsorge. Für Bohn ein zentrales Element, das stärker gepflegt werden müsse. Denn: „Ich muss dafür sorgen, dass Menschen ein lebenslanges Einkommen haben.“ Die finanziellen Bedürfnisse würden auch im hohen Alter nicht kleiner werden, ist er überzeugt. Die Marktdurchdringung in der betrieblichen Altersvorsorge liege bei etwa 50%, befeuert vor allem durch Großunternehmen.

Um die Quote zu erhöhen, fordert der Chef der Alten Leipziger Halleschen mehr Flexibilität. Zum Beispiel in der Direktversicherung bei den Garantien und in der Rentenauszahlungsphase. Davon verspricht er sich einen nachhaltigen Effekt. Vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen müssten die Produkte vereinfacht und kostengünstiger werden. Auf dem Tisch liegen auch andere Vorschläge, wie Bohn unterstreicht, etwa zusätzliche Förderung für Geringverdiener. Bohn: „Da könnte der Gesetzgeber morgen eine Entscheidung treffen und den Durchdringungsgrad steigern.“

Rentenposition schmilzt ab

Bei der Kapitalanlage setzt die Alte Leipziger bislang ganz klassisch vor allem auf festverzinsliche Wertpapiere. Doch das wird sich Bohn zufolge allmählich ändern: „In Zukunft werden wir die Rentenposition zugunsten der anderen Assets abschmelzen.“ In den vergangenen Jahren habe sich die Gruppe zusammen mit Partnern stark in der Infrastruktur engagiert, z.B. bei Windparks. „Da werden wir weiter aktiv bleiben“, sagt er. Die Anlagepolitik folge dem Grundsatz der „Solidität, nicht des übersteigerten Risikos.“

Als mittelständischer Versicherer ist es dem Unternehmensverbund Alte Leipziger Hallesche gelungen, sich ein gutes Rating zu erarbeiten – ganz ohne den Kapitalmarkt zu nutzen. CEO Christoph Bohn wünscht sich derweil gleiche ESG-Standards für alle Marktteilnehmer. Das verbessere die Vergleichbarkeit in der Branche.