IM GESPRÄCH: THOMAS BRAUN

Der "faire" Wert der Credit Suisse

Assetmanager stellt sich gegen die heftige Kritik an CEO Tidjane Thiam

Der "faire" Wert der Credit Suisse

Von Daniel Zulauf, ZürichRudolf Bohli hat einen ganzen Korb voller Ideen, wie Credit-Suisse-Chef Tidjane Thiam den Wert der Großbank steigern könnte. Und der Zürcher Hedgefonds-Manager teilt seine Einsichten gerne mit der Öffentlichkeit: Medienwirksam schlug der Schweizer Hedgefonds-Verwalter Rudolf Bohli von RBR Capital im Oktober vor, die Bank aufzuspalten und namentlich die Investmentbank mit Hilfe von Dritten neu aufzustellen. Jüngst wusste dann die “Financial Times” von einem Treffen unter vier Augen mit dem CEO, in dem der Investor seine Ideen für weitere Kostensenkungsmaßnahmen dargelegt haben soll.Thomas Braun nimmt diese Verlautbarungen mit Interesse zur Kenntnis. Schließlich hat der Portfoliomanager mit seinen Anlagefonds 75 Mill. sfr in Credit-Suisse-Aktien investiert – fast so viel wie Bohli (100 Mill. sfr), aber ohne dass die Öffentlichkeit davon groß Notiz genommen hätte.Braun zählt sich selber zu der Kaste der “Value-Investoren”, und diese ziehen die Bilanzanalyse im stillen Kämmerlein dem Auftritt auf der großen Bühne typischerweise vor. Der 61-jährige Ökonom fischt den Markt seit 35 Jahren nach unterbewerteten Aktien ab. Seit 20 Jahren tut er dies auf eigene Rechnung, als Teilhaber der 1997 gegründeten Fondsgesellschaft Braun, von Wyss & Müller.Braun ist ein Altmeister seines Fachs. Nach einer Durststrecke während der Finanzkrise knüpft er derzeit an alte Erfolge an. Credit Suisse ist die größte Einzelposition im Gesamtvermögen von 1,2 Mrd. sfr, das er in seinen drei “Classic”-ValueFonds verwaltet.Ein Erfolg ist die Anlage bislang nicht geworden. Er habe allzu großzügig “über das Tal hinweggesehen”, als er im Sommer 2015, kurz nach der Berufung Thiams, die ersten Titel von Credit Suisse einkaufte, räumt er freimütig ein. Damals kosteten die Aktien noch deutlich mehr als 20 sfr. Bald folgte die Ernüchterung: Drei miserable Quartale ließen den Börsenwert des Konzerns auf 20 Mrd. sfr abschmelzen.Braun kaufte nach: Für 13 sfr im Februar 2016 und für 10 sfr im Sommer des gleichen Jahres. Zuletzt zog er auch bei der Kapitalerhöhung mit – für 10,50 sfr pro neue Aktie. Inzwischen beträgt sein durchschnittlicher Einstandspreis noch rund 18 sfr. Die Titel notieren aktuell bei 15,50 sfr. Das ist etwa das Niveau, auf dem sich Bohli eingekauft hat. Säße Braun nicht bereits im Boot, er würde heute nicht mehr einsteigen, sagt er. Als Value-Investor stelle er an sich selbst den Anspruch, den Franken für 60 Rappen zu kaufen. Für so billig hält er die Aktien im Unterschied zu Bohli nicht mehr. Der “faire Wert” des Finanzkonzerns liege irgendwo zwischen 50 Mrd. und 60 Mrd. sfr, sagt der Analyst – vorausgesetzt, dass die Bank im kommenden Jahr 5 Mrd. sfr vor Steuern verdient. 2016 war netto ein Fehlbetrag von 2,7 Mrd. sfr herausgekommen. Bohli sagt, das Credit-Suisse-Management könnte den Börsenwert des Konzerns auf 80 Mrd. sfr steigern, wenn es seine Ratschläge befolgen würde. “Wenn ein Management den Atem seiner Aktionäre im Nacken spürt, ist das nie schädlich, obwohl ich mit Blick auf das Pflichtenheft der Credit-Suisse-Führung wenig Angst habe, dass es Thiam bald zu wohl werden könnte”, kommentiert Braun die herausfordernden Auftritte seines Berufskollegen. “Im Kern bin ich mit Bohlis Forderungen nicht einverstanden”, erklärt der Investor. Thiam habe die Weichen richtig gestellt. Er lenke die Ressourcen dorthin, wo sie die höchsten Renditen versprächen. Doch eine Großbank sei mehr als ein Konglomerat von einzelnen Geschäften, die sich ohne Verlust einfach auseinanderdividieren ließen. Die Verbindung des globalen Vermögensverwaltungsgeschäfts mit einer leistungsfähigen Investmentbank sei ein Wettbewerbsvorteil der Schweizer Großbanken, wie ihn nur wenige Konkurrenten besäßen. “Absolut rational””Thiam tickt als Geschäftsmann absolut rational”, sagt Braun und stellt sich damit gegen die teilweise heftige Kritik an dem CEO, die schon sehr bald nach seinem Antritt einsetzte. Dass auch Bohli solche Töne anklingen lässt und damit viel Wind macht, findet Braun “legitim”. Vermutlich ist er sogar froh darüber, solange der Kurs steigt und die Fahrtrichtung nicht radikal geändert wird. Doch gegen ein weiteres Restrukturierungsprogramm zum jetzigen Zeitpunkt würde sich auch der stille Braun zur Wehr setzen: “Die Moral der Truppe steigt von ganz tief unten langsam an – es wäre fatal, wenn sie in dieser diffizilen Phase abermals geknickt würde.” Wird Braun seine Aktien verkaufen, wenn sie wieder über 20 sfr notieren und die Credit Suisse ihren fairen Wert erreicht hat? “Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich meine Schätzung in ein bis zwei Jahren weiter erhöhen kann”, sagt er. Das würde bedeuten, dass sich Braun und Bohli näher kämen, ohne dass Thiam seinen Kurs nochmals ändern müsste.