NOTIERT IN FRANKFURT

Der lange Weg zum überbackenen Brokkoli

Wenn es auf Reisen oder zu Tisch geht, dann sind die Bundesbürger bekanntlich Gewohnheitstiere. Seit vielen Jahren schon rangiert Spanien ganz oben in den Top-Ten-Charts der Lieblingsreiseziele im Ausland. Und ebenfalls seit Ewigkeiten führen...

Der lange Weg zum überbackenen Brokkoli

Wenn es auf Reisen oder zu Tisch geht, dann sind die Bundesbürger bekanntlich Gewohnheitstiere. Seit vielen Jahren schon rangiert Spanien ganz oben in den Top-Ten-Charts der Lieblingsreiseziele im Ausland. Und ebenfalls seit Ewigkeiten führen Currywurst, Schnitzel und Spaghetti Bolo die Hitliste der deutschen Kantinenessen an. Ob auf Malle oder im Betriebscasino gilt: The same procedure as every year.Es soll Zeitgenossen geben, die bereits beim Betreten eines chinesischen Restaurants lauthals “die 101” bestellen, weil sie sich darauf verlassen, dass unter dieser Bestellnummer das kleine Pils einsortiert ist. Und es gibt Kollegen, die schwören darauf, sich beim Italiener nicht lange mit der Lektüre der Speisenkarte aufzuhalten, sondern umgehend “die Sieben mit Zwiebeln” zu ordern. Denn mit dieser Ziffer im Mittelfeld der Menükarte, so sind sie felsenfest überzeugt, halte man das Risiko einer entweder zu spärlich (Margherita) oder zu ambitioniert (mit Spiegelei und Sardellen) belegten Pizza klein. Ähnlich effizient und traditionsbewusst gehen Deutschlands Angestellte beim täglichen Besuch der Betriebskantine vor. Auch hier wird immer und immer wieder das Gleiche bestellt. Wie sonst wäre zu erklären, dass die in dieser Woche veröffentlichte Rangliste des Verpflegungsanbieters Apetito zu dem bemerkenswerten Ergebnis kommt, dass “die Currywurst mit Wellenschnittpommes 2017 ihren Titel als ungeschlagener Spitzenreiter seit 26 Jahren verteidigen konnte”. Auf den weiteren Plätzen hat sich ebenfalls wenig getan: Schnitzel, Bolo, Bami Goreng (na ja, wem’s schmeckt!), Linsensuppe, Hähnchenfilet und Köttbullar mit Stampf. Nur ein einziges vegetarisches Gericht hat sich unter die Top Ten geschlichen: die Cappelletti-Pesto-Pfanne, also mit Tomaten-Mozzarella befüllte Ravioli mit Pinienkernen obendrauf. Das war’s dann aber auch. Bis es in der Kantine nach überbackenem Brokkoli oder Pfannkuchen mit Spinat-Champignon-Füllung duftet, ist es noch ein langer Weg.Immerhin: Während auf Hauptversammlungen meist noch heiße Würstchen und Buletten das Angebot für die hungrigen Aktionäre dominieren, ist die heimische Kreditwirtschaft in ihren Kantinen “ahead of the curve”. Üppige Salatbuffets, reichlich vegetarische Angebote, Informationen über Herkunft und nachhaltigen Anbau – ob bei KfW, Rentenbank oder Bundesbank erschöpft sich die Auswahl nicht nur in Ketchup, Mayo oder “Schranke” (rot-weiß).Der eigentliche Hoffnungswert für Ernährungswissenschaftler, die ob des Beharrungsvermögens von kalorienhaltigen und vitaminarmen Klassikern in deutschen Kantinen im Grunde verzweifeln müssten, sind indes die Menüpläne der Kindertagesstätten. Denn hier dominieren Tomatensuppe, Bio-Kartoffel-Möhren-Eintopf, Gemüseravioli und Eierpfannkuchen mit Bio-Apfel-Erdbeer-Kompott. Müsste doch eigentlich mit dem Teufel zugehen, wenn die kleinen Feinschmecker, sobald sie in einigen Jahren ihren ersten Arbeitsvertrag unterschreiben, umgehend zur Currywurst konvertieren.