Im Interview:Fernando Vicario, Bank of America UK

Deutschland könnte „Blaupause für ganz Europa“ sein

Für die geplanten Infrastrukturinvestitionen in Deutschland und Europa sind öffentlich-private Partnerschaften unverzichtbar, sagt Fernando Vicario, der CEO von Bank of America UK. Wenn Deutschland ein klares und transparentes Modell dafür schaffen kann, könnte das als Blaupause für ganz Europa dienen.

Deutschland könnte „Blaupause für ganz Europa“ sein

Im Interview: Fernando Vicario

Deutschland als „Blaupause für ganz Europa“

Der designierte Chef von Merrill Lynch International und CEO von Bank of America UK zur Signalwirkung des Kurswechsels in Berlin

Für die geplanten Infrastrukturinvestitionen in Deutschland und Europa sind öffentlich-private Partnerschaften unverzichtbar, sagt Fernando Vicario, der CEO von Bank of America UK. Wenn Deutschland ein klares und transparentes Modell dafür schaffen kann, könnte das als Blaupause für ganz Europa dienen.

Herr Vicario, welche Bedeutung hat Deutschland für Ihr Geschäft?

Deutschland ist für unser europäisches und internationales Geschäft von zentraler Bedeutung. Es ist nach wie vor der industrielle Anker des Kontinents und ein Gradmesser für die Stimmung der Investoren. Für die Bank of America in UK prägen die Entwicklungen in Deutschland – sei es im fiskalischen, industriellen oder regulatorischen Bereich – die grenzüberschreitenden Finanzierungs-, Beratungs- und Kapitalmarktaktivitäten in ganz Europa. Wenn Deutschland investiert und wächst, hat das eine Signalwirkung, die weit über die eigenen Grenzen hinausreicht.

Wie bewertet die Bank die jüngsten Ausgabenprogramme der deutschen Regierung?

Man spürt deutlich, dass sich der Kurs verändert hat, sowohl im Ton als auch im Ausmaß der Maßnahmen. Die Kombination aus Infrastrukturinvestitionen, industrieller Modernisierung und Ausgaben für die Energiewende sind nicht nur kurzfristige Konjunkturmaßnahmen, sondern ein entscheidender Schritt in Richtung langfristiger Wettbewerbsfähigkeit. Besonders ermutigend ist die Beteiligung des privaten Sektors. Das signalisiert, dass das Vertrauen in die politische Ausrichtung Deutschlands zurückkehrt, was wiederum für die Mobilisierung von Kapital in großem Umfang entscheidend ist.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Mittel tatsächlich eingesetzt werden?

Das wird schrittweise passieren. Die politische und vor allem unternehmerische Ausrichtung der deutschen Bundesregierung verleiht ihrer Agenda Glaubwürdigkeit. Deutschland bleibt in der Fiskalpolitik zwar diszipliniert, aber handelt inzwischen pragmatischer. Das ist eine Kombination, die für Investoren sehr attraktiv ist. Wir sehen bereits erste Anzeichen für Reformen, zum Beispiel in Form von Ausschreibungen im Infrastrukturbereich, und der private Sektor bekennt sich mit Investitionen in Milliardenhöhe zu dem Standort. Kurz gesagt: Die Absichten scheinen ernsthaft zu sein, und die jüngsten Entwicklungen sind ermutigend.

Wurden geplante Investitionen einfach in den Sonderhaushalt verlagert, um höhere Konsumausgaben zu ermöglichen?

Das übergeordnete Ziel ist struktureller Natur. Es geht darum, die langfristige Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und nicht nur die kurzfristige Nachfrage anzukurbeln. Ein Großteil der Investitionen zielt auf die Bereiche Verkehr, Energie und digitale Infrastruktur ab. Genau diese Bereiche bilden die Grundlage für die industrielle Basis und die Exportstärke Deutschlands und haben damit einen Multiplikatoreffekt auf die gesamte europäische Wirtschaft.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen im Infrastrukturbereich?

Die größte Herausforderung ist, die geplanten Projekte tatsächlich umzusetzen. Die Finanzierung dafür ist vorhanden, aber die Umsetzung erfordert eine gute Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und privaten Unternehmen. Neu ist diesmal, dass die Ziele des Staates und das Interesse von privaten Kapitalgebern stärker übereinstimmen. Große Unternehmen und Investoren sind sehr aktiv im Ausbau von Infrastruktur und der Erneuerung der Industrie. Das haben wir seit Jahren nicht mehr gesehen.

Gibt es Hoffnung für die Deutsche Bahn in ihrer derzeitigen Form, oder muss der Schienenverkehr komplett umstrukturiert werden?

Der Fokus sollte auf praktischen Reformen liegen, nicht darauf, das gesamte System grundlegend umzubauen. Wenn Transparenz und Qualitätsstandards verbessert werden, bringt das oft mehr als eine komplette Neuorganisation. Entscheidend ist, dass die Infrastrukturausgaben zu messbaren Verbesserungen in Bezug auf Zuverlässigkeit und Konnektivität führen. Für Investoren ist tatsächlicher Fortschritt wichtiger als die bloßen Ankündigungen von Reformen.

Wie groß ist das Potenzial für öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP)?

Angesichts der Dimension der deutschen Infrastrukturvorhaben ist eine Zusammenarbeit auf dieser Ebene alternativlos. Öffentlich-private Partnerschaften helfen, die Finanzierungslücke zwischen der öffentlichen Hand und privaten Investitionskapazitäten zu schließen. Investitionen der Privatwirtschaft bringen mehr Effizienz, Innovation und vor allem Umsetzungskompetenz.

Wie kann es dazu kommen?

Dies wird einer der zentralen Diskussionspunkte beim Berlin Global Dialogue in dieser Woche sein, denn der Erfolg der nächsten Wachstumsphase Europas hängt davon ab, wie gut Regierungen und private Investoren zusammenarbeiten. Wenn Deutschland ein klares und transparentes Modell für öffentlich-private Partnerschaften schaffen kann, könnte das als Blaupause für ganz Europa dienen.

Wer würde sich daran beteiligen – börsennotierte Unternehmen oder Private-Equity-Fonds?

Beide. Börsennotierte Industrieunternehmen bringen Branchenexpertise mit, Private-Equity- oder Infrastrukturfonds Kapital und Strukturierungskompetenz. Institutionelle Investoren wie Versicherungen und Pensionsfonds interessieren sich zunehmend für langfristige, vertraglich gesicherte Cashflows. Diese gesunde Mischung sorgt dafür, dass Infrastrukturinvestitionen über Jahrzehnte hinweg stabil finanziert und erfolgreich umgesetzt werden können.

Welche Rolle möchte Ihre Bank dabei spielen?

Wir möchten als Brücke zwischen politischen Zielen und Kapitalmärkten aus dem Markt fungieren. Unsere Aufgabe ist es, die passenden Finanzierungen für Projekte zu finden und Transaktionen so zu strukturieren, dass sie für internationale Investoren attraktiv sind. Zudem unterstützen wir unsere Kunden dabei, sich in einem sich verändernden regulatorischen Umfeld mit neuen Anreizen zurechtzufinden. Unser Ziel ist es, die aktuelle Dynamik in dauerhafte und wirtschaftlich tragfähige Ergebnisse zu überführen.

Wie beurteilen Sie die Finanzmarktinfrastruktur Deutschlands, und welche Reformen sind sinnvoll?

Die Finanzmarktinfrastruktur in Deutschland ist solide, könnte aber noch dynamischer sein. Einfachere Börsenzulassungsverfahren, bessere Liquiditätsbedingungen für den Handel und die Möglichkeit von Doppelnotierungen würden dazu beitragen, dass vor allem mittelständische Unternehmen sich besser mit Eigenkapital finanzieren können.

Wie lässt sich das voranbringen?

Auch das wird ein weiteres zentrales Thema beim Berlin Global Dialogue sein, da eine konstruktive Kapitalmarktreform entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit Europas ist. Ein gutes Beispiel ist unser Bank of America Germany Infrastructure Equity Basket, der 14 Unternehmen aus den Bereichen Bauwesen, Investitionsgüter, Logistik und Dienstleistungen enthält und in diesem Jahr um fast 50% gestiegen ist. Das zeigt, dass Anleger darauf vertrauen, dass politische Maßnahmen und private Investitionen tatsächlich zusammenkommen.

Die IPO-Aktivitäten in Frankfurt waren in letzter Zeit minimal. Könnte sich das im nächsten Jahr ändern?

Ja, es gibt Anzeichen für eine Erholung. Die Stimmung der Investoren gegenüber Europa hat sich verbessert, und mehrere Unternehmen bereiten sich derzeit darauf vor, 2026 an die Börse zu gehen. Unsere Analysen bei der Bank of America zeigen, dass internationale Fonds beginnen, wieder stärker in europäische Industrie- und Infrastrukturunternehmen zu investieren. Weitere erfolgreiche Börsengänge könnten das Vertrauen schnell stärken und für neuen Aufschwung am Frankfurter Aktienmarkt sorgen.

Warum gibt es heute keine deutsche Universalbank, die eine führende Rolle in Europa spielt?

Die europäische Bankenlandschaft hat sich eher in Richtung regionaler Stärke und Spezialisierung entwickelt, weniger in Richtung länderübergreifende Konsolidierungen. Unterschiedliche regulatorische Vorgaben und Kapitalanforderungen sowie nationale Marktbedingungen machen eine einheitliche, europaweite Ausrichtung schwieriger. Gleichzeitig nimmt die grenzüberschreitende Vernetzung und Zusammenarbeit spürbar zu. Genau darin liegt eine große Chance für Banken wie unsere, die sowohl in Europa als auch weltweit präsent sind.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in Großbritannien?

Großbritannien bleibt ein zentraler Knotenpunkt für die globale Finanzwelt. Politische Veränderungen können zwar kurzfristig für Unsicherheit sorgen, doch die grundlegenden Stärken von London – die Kapitalkraft, das Fachwissen und die globalen Verbindungen – bleiben weiterhin bestehen. Für Europa ist es daher nicht nur wünschenswert, sondern ganz entscheidend für die globale Wettbewerbsfähigkeit, sich weiter an das Finanzökosystem Londons anzubinden.

Es gibt Berichten zufolge eine starke aufgestaute Nachfrage nach Fusionen und Übernahmen. Was könnte diese freisetzen?

Zuversicht. Sobald sich das gegenwärtige Zinsniveau stabilisiert und Ertragsaussichten der Privatwirtschaft wieder verbessern, erwarten wir eine spürbare Belebung bei strategischen Fusionen und Übernahmen. Besonders die Energiewende, der Ausbau von Infrastruktur und die Digitalisierung können den Dealflow antreiben. Diese Themen bilden zugleich das Fundament der deutschen Investitionsstrategie. Deshalb gehen wir davon aus, dass Deutschland im kommenden europäischen M&A-Zyklus eine zentrale Rolle spielen wird.

Wie beurteilen Sie die Reformen der Londoner Börse, um mehr Börsengänge anzuziehen?

Sie sind sinnvoll und längst überfällig. Wenn Europa im Wettbewerb mit den USA bestehen will, bedarf es deutlich stärkere Bemühungen, um die Regeln für Börsenzulassungen zu vereinfachen und die Marktliquidität zu erhöhen. Bei der Reform geht es nicht um einen Wettstreit zwischen einzelnen Handelsplätzen, sondern darum, die europäischen Kapitalmärkte insgesamt für internationale Investoren zugänglicher und attraktiver zu gestalten.

Wie könnte es in Europa weitergehen?

Der politische Kurswechsel in Deutschland hat der europäischen „Equity Story“ neues Leben eingehaucht. Die Verbindung aus solider Haushaltspolitik, verstärkten Investitionen in die Industrie und Reformen am Kapitalmarkt könnte die Basis für einen neuen Wachstumsschub bilden. Die Gespräche beim Berlin Global Dialogue werden dabei eine entscheidende Rolle spielen, wie aus politischen Ambitionen zunächst Marktüberzeugung und letztendlich nachhaltiges Vertrauen der Anleger entstehen kann.

Das Interview führte Andreas Hippin.

Das Interview führte Andreas Hippin.