Im GesprächN26-Aufsichtsratschef Marcus W. Mosen

„Die alten Säulen der Kreditwirtschaft bröckeln“

Der N26-Aufsichtsratsvorsitzende Marcus W. Mosen rechnet damit, dass die Neobanken bald von einem weiteren Digitalisierungsschub profitieren. Einen N26-Börsengang hält er ebenfalls zeitnah für möglich.

„Die alten Säulen der Kreditwirtschaft bröckeln“

IM GESPRÄCH: Marcus W. Mosen

„Die alten Säulen der Kreditwirtschaft bröckeln“

Digitalisierungsschub beflügelt Neobanken – Aufsichtsratschef sieht N26-Börsengang in zwei bis vier Jahren – Hoffen auf ein Ende der BaFin-Beschränkungen

Von Angela Wefers
und Andreas Heitker, Berlin

Der Digitalisierungs- und Payment-Experte Marcus W. Mosen rechnet damit, dass der Wettbewerb zwischen traditionellen Bankengruppen und den Neobanken in den nächsten Jahren noch einmal deutlich an Fahrt aufnehmen wird und die neuen, digitalen Player dabei weiter Marktanteile gewinnen. Fintechs seien mittlerweile schon die neue vierte Säule in der deutschen Kreditwirtschaft sowie die Innovatoren von Finanzdienstleistungen im Alltag, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende der Digitalbank N26 im Gespräch der Börsen-Zeitung.

Hinweis auf Filialschließungen

Dies gelte besonders für das Retail-Banking. „Im Umkehrschluss heißt das auch: Die anderen drei alten Säulen der Kreditwirtschaft bröckeln in diesem Bereich.“ Nicht von ungefähr reduzierten alle Bankgruppen in Deutschland ihre Filialen.

Kein IPO in den USA

Mosen, der bis Ende 2018 CEO des Payment-Unternehmens Concardis war, erwartet besonders in den nächsten zwei Jahren einen Digitalisierungsschub: Allein die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) werde die rein digitalen Geschäftsmodelle rascher voranbringen. „Das spielt alles in die Karten der neuen Player in der Kreditwirtschaft.“

Dass auch die klassischen Bankengruppen dabei sind, digitale Dienste aufzubauen, ändert für Mosen nichts daran. Dort gebe es immer noch die alte Infrastruktur im Hintergrund, sagt er. „Es ist ein Unterschied, ob es nur ein schickes neues Frontend auf dem Smartphone gibt oder ob auch das ganze Backend einer Bank in der Cloud liegt“, so Mosen weiter. Der strategische Unterschied sei: „Die neuen Player – wie beispielsweise auch eine N26 – können wegen effizienteren Plattformen mit ganz anderen Preismodellen arbeiten.“

Angesichts dieser Entwicklung hat es die Berliner Neobank N26 nach den Worten ihres Aufsichtsratschefs auch gar nicht so eilig mit einem IPO. „Realistisch ist ein Börsengang meiner Einschätzung nach in den nächsten zwei bis vier Jahren“, sagt Mosen. Das Marktumfeld sei aktuell für IPOs nicht da, wo es sein müsse, und das Unternehmen wolle ja noch weiterwachsen. „Es ist wichtig, noch ein paar Jahre zu zeigen, wie sich das Unternehmen entwickelt“, sagt Mosen. 

N26-Zentrale nahe des Alexanderplatzes in Berlin-Mitte (picture alliance / Schoening | Schoening)

Wenn die Zeit reif sei für das IPO, geht der 59-Jährige davon aus, dass N26 mit ihrem klaren Fokus auf Europa auch in Europa und nicht in den USA an die Börse geht: „Der deutsche Markt wäre da sicherlich eine gute Option.“ Der Ende 2022 zum Aufsichtsratschef berufene Branchenexperte hat schon in der frühen Phase selbst in N26 investiert und gehört immer noch zu den Aktionären.

Debatten mit der BaFin

Vor einem Börsengang müssten zunächst die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) verhängten Wachstumsbeschränkungen endgültig aufgehoben sein. Wann dies geschehe, sei allein eine Entscheidung der BaFin, betont Mosen.

N26 sei aber seit mehr als einem Jahr in einem sehr guten Dialog, in den sich auch der Aufsichtsrat direkt einbringe. „Alle Dinge, die umgesetzt werden mussten, sind mittlerweile umgesetzt. Entsprechend könnten die Beschränkungen in absehbarer Zeit fallen“, zeigt sich Mosen optimistisch. Das Thema habe in der gesamten Bank absolute Priorität gehabt.

Im Dezember hat die BaFin die Wachstumsbeschränkungen etwas gelockert. Seither darf das Unternehmen monatlich 60.000 Neukunden aufnehmen, 10.000 mehr als zuvor. Mosen zufolge stellt das jedoch operativ keine große Erleichterung dar. Neobroker oder Neobanken verfolgten deutlich höhere Wachstumszahlen.

Vor allem sei N26 keine rein deutsche, sondern eine europäische Bank. „Und europäische Plattformen haben noch einmal eine ganz andere Dynamik sowie andere Herausforderungen und Chancen als traditionelle Banken“, unterstreicht der Branchenexperte.

Er verweist darauf, dass die Unterschiede in den Geschäftsmodellen in der Öffentlichkeit noch stärker herausgearbeitet werden müssten. Auch gegenüber den Regulierern sei noch deutlich mehr zu erklären. „Ich glaube, dass es nach wie vor Verständnislücken gibt und man noch weiter Brücken bauen muss. Letztlich hat auch die BaFin ein Interesse am Erfolg von Digitalbanken.“

N26 strebt im zweiten Halbjahr die Gewinnzone an und ist weiterhin „solide finanziert“, wie Mosen in dem Gespräch bekräftigt. Die Notwendigkeit, schneller in den Break-even zu kommen, habe sich für viele Start-ups mit dem Einbrechen der Finanzierungsmöglichkeiten erhöht – auch wenn Geschäftsmodelle in den ersten Jahren nicht auf einen schnellen Break-even ausgerichtet seien.

Viel erhoffen sich die N26-Verantwortlichen vom geplanten Launch der Trading-Angebote im zweiten Quartal. Damit werde die Plattform noch attraktiver, weil Bankkonto und Trading in einer App verbunden würden.

Regulierung mit Augenmaß

Mosen warnte in dem Gespräch die Politik in Berlin und Brüssel davor, die Marktentwicklung von Fintech-Plattformen zu stark zu regulieren und Entwicklungen damit auszubremsen. Europa stehe auch in einem Wettbewerb mit US-Plattformen, zum Teil auch mit asiatischen, sagt er. „Ich bin ein Verfechter der Idee, dass wir in Europa eigene digitale Infrastrukturen, eigene Plattformen und Angebote schaffen. Das setzt aber Freiräume für die Entwicklung voraus.“

Nach den Worten von Mosen muss bei der Regulierung in Europa umgedacht werden: Kunden sollten bei Bankgeschäften mehr Eigenverantwortung erhalten. Dass Datenschutzinteressen gewahrt würden, sei vollkommen richtig. „Aber die Regulierung sollte nicht zu sehr vorgeben, was ein normaler Kunde wie, wann und wo machen darf.“

Der N26-Aufsichtsratsvorsitzende Marcus W. Mosen rechnet damit, dass die Neobanken schon bald von einem weiteren Digitalisierungsschub profitieren. Einen N26-Börsengang hält er in zwei bis vier Jahren für realistisch und hofft, dass die derzeitigen Wachstumsbeschränkungen der BaFin "in absehbarer Zeit" fallen.

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