Im InterviewGDV-Präsident Norbert Rollinger

„Die Diskussion wird nur noch auf Rendite verkürzt“

Die Versicherungsbranche begrüßt die Aktivitäten der Bundesregierung zur Altersvorsorge, drängt aber auf eine lebenslange Absicherung. Mit Blick auf die Elementarschadenversicherung schlägt der Gesamtverband der deutschen Versicherer eine Beteiligung des Staats bei Schäden über 30 Mrd. Euro vor.

„Die Diskussion wird nur noch auf Rendite verkürzt“

Herr Rollinger, wie bewerten Sie die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung zur Frühstartrente? Ist das ein entschlossener und wirksamer Schritt in Richtung kapitalgedeckte Altersvorsorge?

Wir begrüßen die Frühstartrente und finden es gut, dass sie schon im Alter von sechs Jahren beginnen soll. Junge Leute sollen frühzeitig an Vermögensbildung und Altersversorgung herangeführt werden. Nicht so gut ist aber, dafür im Bundeshaushalt 2026 nur 50 Mill. Euro bereit zu stellen. Damit werden nur die Sechsjährigen gefördert. Das ist fatal. Was ist mit älteren Kindern? Die haben dann einfach Pech gehabt? Wichtig ist, dass dann auch mit 18 Jahren weitergespart wird, mit Hilfe staatlicher Förderung. Hier haben die Versicherer viel zu bieten.

Was heißt das heißt konkret?

In der Frühstartrente ist das Wort Rente enthalten. Rente heißt, Leistungen bis zum Lebensende. Aber auch in der Ansparphase muss man dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen entgegenkommen. Bei Schaffung der Riesterrente vor fast 25 Jahren legten die Politiker großen Wert auf 100% Garantie in der Ansparphase. Deshalb waren die Renditen übersichtlich. Studien zeigen aber auch, dass über 80% der Bevölkerung eine sichere Altersversorgung wollen. Wir müssen einen guten Weg finden zwischen Sicherheit und Rendite.

Löst der Referentenentwurf für ein Altersvorsorgereformgesetz diesen Anspruch nicht ein?

Ich finde es bemerkenswert, dass die Politik jetzt sagt: Garantien brauchen wir nicht mehr. Auch die Sechsjährigen setzen wir zu 100% dem Auf und Ab der Märkte aus. Wenn dann mit 18 oder gar zu Rentenbeginn mit 65 oder 70 eine Blase geplatzt ist und das eingezahlte Kapital 30% an Wert verloren hat und man dann Jahre warten muss, bis das aufgeholt ist, dann hat man mit Zitronen gehandelt. Die Diskussion wird nur noch auf Rendite verkürzt. Früher war es 100% Sicherheit. Wir als Versicherer sagen: Da gibt es auch noch etwas dazwischen. Aus Berechnungen von Wissenschaftlern wissen wir: 70% bis 80% Garantieniveau sind optimale Werte, sprich ein optimales Risiko-Rendite-Profil. Dann kann man mehr in Aktien anlegen und trotzdem die Rückschläge im Zaum halten.

Wie sieht es in der Rentenphase aus?

In der Auszahlungsphase sollte es eine lebenslange Rente geben. Denn der Mensch lebt sieben Jahre länger als er glaubt. Mit 85 Jahren leben noch zwei Drittel der Frauen und die Hälfte der Männer.

Im hohen Alter brauchen sie aber wahrscheinlich weniger Geld.

Das ist ein Trugschluss. Sie reisen zwar weniger, aber ein hoher Prozentsatz der über 90-Jährigen wird pflegebedürftig. Die Pflegeversicherung reicht aber nicht. Sprich, man braucht noch Geld für die Zuzahlung im Pflegeheim. Dann ist es gut, noch etwas Geld aus der Altersvorsorge zu haben.

Wie sieht es mit dem im Referentenentwurf enthaltenen vorgesehenen Vorschlag zur Reform der Riester-Rente aus?

Wir fordern seit Jahren, die kapitalgedeckte Vorsorge zu stärken. Jetzt rückt sie wieder in den Mittelpunkt. Gerade nach der wackeligen Verabschiedung des Rentenpakets ist das ein wichtiges Signal der Verlässlichkeit an die jüngeren Generationen. Grundsätzlich sehen wir den Entwurf positiv. Er macht die Förderung einfacher und eröffnet echten Zugang zu Renditechancen. Da sind bis zu 40% mehr möglich. Aber auch hier gilt, dass echte Altersvorsorge bis zum Ende reichen muss. Wenn das Ersparte mit 85 schon vollständig ausgezahlt werden darf, reißen wir Versorgungslücken genau an der Stelle, an der die Vorsorge eigentlich Sicherheit bieten soll.

Welche Rolle könnte die Europarente PEPP angesichts der Reformvorschläge der EU-Kommission vom 20. November in Deutschland spielen?

PEPP war bisher ein Flopp. Es gab nur zwei Anbieter, hohe bürokratische Hürden und viele Vorgaben. Das wollte niemand anbieten. Bisher wollte die EU-Kommission entscheiden, was gut für den Kunden ist. Wir sagen: Die Produkte sollen sich im Wettbewerb durchsetzen. Und wir begrüßen, dass es jetzt Änderungen geben soll. Wahrscheinlich wird das Produkt nur ein Erfolg, wenn es in den einzelnen Ländern steuerliche Anreize gibt. Wenn der Staat jetzt schon die Frühstartrente und zukünftig den Riester-Nachfolger subventioniert, könnte er keine Mittel mehr für PEPP haben. 

Was halten Sie von dem im Interview der Börsen-Zeitung vorgeschlagen haben? Es basiert ja auf Fonds und nicht auf Versicherungen.

Ich halte nichts davon. Das ist eine reine Fondslösung und geht am Kundenbedarf vorbei. Wenn, dann ist es etwas für Besserverdienende. Es berücksichtigt nicht die Abwägung von Risiko und Rendite. Das ist zu einseitig. Wir empfehlen, Versicherungen mit einzubeziehen. Versicherungen müssen aber nicht so bleiben wie sie sind.

Inwiefern?

Lebensversicherungen müssen viel transparenter werden. Standmitteilungen einmal im Jahr reichen nicht aus. Versicherungsprodukte müssen mehr Individualität bieten. Die Lebensversicherung ist im Grunde ein Gemeinschaftsmodell, bei dem viele zusammen sparen und die Früchte in Form der lebenslangen Rente genießen können. Der gesellschaftliche Trend geht aber zum Ich. Ich spare mein Geld mit einer Förderung individuell an. Solidarität gibt es da nicht mehr. Damit erkläre ich mir auch Vorschläge wie das sogenannte Vorsorgedepot. Das geht völlig an dem vorbei, was unsere Gesellschaft zusammenhält.

Ein anderes Gebiet, in dem das Solidaritätsprinzip an Grenzen stößt, ist die Elementarversicherung. Wie sollte das nach Ansicht des GDV gelöst werden?

Die Versicherer haben ein klares Ziel: Die Elementarversicherung muss flächendeckend und bezahlbar sein. Wir wollen möglichst überall Versicherungsschutz anbieten. Aber wir haben aufgrund des Klimawandels steigende Schäden, und steigende Schäden bedeuten auch steigende Prämien. Wenn wir nichts ändern, können wir künftig nicht mehr jedem Haus eine Versicherung anbieten. Um das zu verhindern, haben wir als Verband ein Naturgefahren-Gesamtkonzept entwickelt. Das besteht aus drei Bausteinen: Prävention und Klimafolgenanpassung, eine möglichst hohe Versicherungsdichte beim Elementarschutz sowie ein staatlich unterstütztes Sicherungssystem. Für dieses Sicherungssystem haben wir gerade mit Elementar Re einen Vorschlag auf den Tisch gelegt.

Wie sieht der Vorschlag aus?

Wir haben das Problem, dass mehr als 400.000 Häuser in Deutschland in Hochrisikogebieten stehen. Würden wir die Prämien entsprechend des Risikos setzen, wären diese für einige Haushalte kaum noch zu bezahlen. Wir wollen aber Versicherungsschutz für alle anbieten. Daher schlagen wir eine solidarisch getragene Lösung vor: Elementar Re bündelt die besonders gefährdeten Häuser und die bleiben dadurch versicherbar. Wir wollen aber auch den Staat einbeziehen, damit er die Prävention ernst nimmt. Ab ungefähr 30 Mrd. Euro Marktschaden brauchen wir eine staatliche Garantie. Und nicht gebaute Polder oder Deiche lassen diese 30 Mrd. Euro schnell erreichen.

Die staatliche Absicherung ist Teil von Elementar Re? Und was bedeutet das für die Versicherer?

Elementar Re wird sich erstmal selbst über eine eigene Rückversicherung schützen. Zusätzlich wird schrittweise ein Sicherungsfonds aufgebaut, als Puffer sozusagen. Erst dann kommt nach unserer Vorstellung der Staat ins Spiel, mit einem Stop-Loss-Mechanismus. Der greift nur, wenn die beiden anderen Sicherungsstufen an ihre Grenzen kommen, also bei außergewöhnlich großen Schäden jenseits der genannten 30 Mrd. Euro. Wir müssen solche Kumulereignisse in unseren Risikosystemen abbilden und unter Solvenzgesichtspunkten entsprechend vorsorgen. Ohne Stop-Loss des Staates müssten wir so viel Kapital vorhalten, dass die Prämien stark ansteigen und damit für viele nicht mehr bezahlbar sein würden.

Die Schäden nach der Ahrtal-Flut summierten sich auf rund 30 Mrd. Euro.

Das stimmt. Allerdings waren diese 30 Mrd. nicht nur Schäden an Wohngebäuden, sondern auch an der Infrastruktur. Letztere versichern wir aber nicht. Wäre die Versicherungsdichte im Ahrtal 100% gewesen, hätten wir versicherte Schäden zwischen 15 und 20 Mrd. gehabt. Nach unserem Vorschlag mit Elementar Re hätten wir das Ahrtal also aus eigenen Mitteln bewältigen können. Sie sehen: Der Staat muss erst spät eingreifen und das ist auch gut so. Trotzdem muss er die Prävention ernster nehmen als das bislang der Fall ist.

Diese Forderung wird nach jeder Flutkatastrophe wieder laut. Haben Sie einen Vorschlag, was passieren könnte?

Mit dieser Frage haben sich die Young Leaders beschäftigt, ein Netzwerk innerhalb des GDV, in das jedes Mitgliedsunternehmen eine junge Führungskraft entsandt hat. Um die Gemeinden dazu zu bringen, mehr Prävention zu betreiben, wäre ein Index, der zeigt, wie stark sich Gemeinden um Prävention kümmern.

Was soll das bringen?

Mit einem Index kann der Bürger auf einen Blick die Präventionsanstrengungen seiner Gemeinde erkennen und sich fragen: Warum ist eigentlich meine Gemeinde auf der Liste weit unten? Hat der Bürger Eigentum, wird er feststellen, dass dieses Eigentum an Wert verliert durch größere Schäden und höhere Versicherungsprämien anfallen, wenn seine Gemeinde sich nicht mehr um Prävention kümmert. So ein Index ist ein möglicher Ansatz von vielen. Transparenz ist aber ein wichtiger Hebel für Prävention. Daher fordern wir als Verband auch ein zentrales Naturgefahrenportal, das alle behördlichen und wissenschaftlichen Daten bündelt und Risiken adressgenau und umfassend sichtbar macht.

Sie haben die Versicherungsdichte gerade angesprochen. Die liegt nicht bei 100%.

Nein, aber Politik und Versicherer haben ein gemeinsames Interesse: die Versicherungsdurchdringung zu erhöhen. Aktuell verfügen 57% der Hausbesitzer über eine Wohngebäudeversicherung mit Elementarschadendeckung. Jedes Jahr werden es 1 bis 2%. Mit der Politik sind wir einig, dass dieser Wert möglichst nahe an 100% kommen muss.

Und das soll über eine Pflichtversicherung gelingen?

Wir halten eine Pflichtversicherung nicht für die Lösung. Die verhindert auch keinen Schaden. Und die Bundesregierung spricht auch nicht explizit von einer Pflichtversicherung. Im Koalitionsvertrag steht sinngemäß, dass ein möglichst flächendeckender Schutz erreicht werden soll. Das deckt sich mit unseren Vorstellungen.

In Deutschland gabs ja schon Mal eine verpflichtende Wohngebäudeversicherung

Nicht bundesweit, das hat nur Baden-Württemberg betroffen. Und hier wurde die Pflicht 1994 gekippt, weil die Monopolversicherung nicht mit EU-Recht vereinbar war. Wir sehen die Lösung aber wie gesagt auch nicht in einer Pflichtversicherung. Wir wollen die Elementarversicherung schlank aufstellen. Das geht zum Beispiel mit unserem Vorschlag der Angebotspflicht für Versicherer mit Opt-Out, die auch eine hohe Marktdurchdringung ermöglicht. Das heißt: Im Neugeschäft soll Elementarschutz automatisch enthalten sein, im Bestand erfolgt bis zu einem Stichtag eine einmalige, gesetzlich geregelte Umstellung. In beiden Fällen können Hauseigentümer ihre Opt-Out-Möglichkeit nutzen und sich gegen den Schutz entscheiden.

Wie geht es bei der Elementarschadenversicherung jetzt weiter?

Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch und wir sind mit der Politik im Austausch. Der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder haben dazu am Freitag beraten. Nun muss das Bundesjustizministerium einen Gesetzentwurf verfassen.

Wie bewertet der GDV die im Januar 2025 abgeschlossene Überprüfung von Solvency II? Was fordern Sie bei der Umsetzung der Änderungen in deutsches Recht bis 2027?

Wir begrüßen die Vorschläge der EU-Kommission. Es gibt mehr Planungssicherheit. Es gibt endlich eine klare Methode zur Berechnung der langfristigen Zinsen. Das hilft uns bei der Steuerung unseres Geschäfts. Die Nachhaltigkeitsrisiken über den Orsa-Prozess…

.. also einen unternehmenseigenen Prozess zur regelmäßigen Beurteilung der Risiko- und Solvabilitätssituation …

...zu lösen und nicht über Kapitalzuschläge, das begrüßen wir.

Es gibt doch aber sicher ein „aber“…

Mehr gewünscht auch im Interesse unserer kleineren Mitglieder hätten wir uns beim Thema proportionale Umsetzung. Die Kommission tut sich schwer damit, die kleineren Unternehmen mit ihren geringeren Risiken stärker zu entlasten. Das mahnen wir an, insbesondere bei der anstehenden Umsetzung in deutsches Recht. Dabei gilt es, jegliches Gold Plating…

…also die Umsetzung von EU-Richtlinien, bei der nationale Gesetze strenger sind als die der EU…

…zu vermeiden. Wir wissen aber noch nicht, wie die Umsetzung in Deutschland aussehen soll.

Wie sieht es bei der Eigenkapitalunterlegung von Aktien und Immobilien aus? Sind Sie damit zufrieden?

Die Sätze sind bei Aktien und Immobilien in der Tat relativ hoch. Das erschwert den Versicherern, höhere Renditen zu erzielen. Das ist zwar einerseits verständlich. Denn bei diesen Anlagen wie Aktien und Alternatives sind auch die Risken höher. Aber andererseits lassen wir bei der geförderten Altersvorsorge den Kleinanleger, der kaum über Reserven verfügt, Aktien und ETFs kaufen. Das ist Messen mit zweierlei Maß.

Wo drückt die Branche der Schuh am meisten in Bezug auf Informations- und Berichtspflichten?

CSRD, also die Nachhaltigkeitsberichterstattung, ist aus unserer Sicht übertrieben und kostet die Branche 1,4 Mrd. Euro im Jahr. Die könnte man besser nachhaltig investieren. Die Berichte interessieren kaum jemanden und die Abrufe kann man oft an einer Hand abzählen. Wir hoffen, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Ankündigung, die Berichtspflichten um 25% zu reduzieren, mit den Omnibus-Initiativen wahr macht.

Gibt es weitere Beispiele?

Dora, eine EU-Verordnung, die einen einheitlichen rechtlichen Rahmen für die digitale Widerstandsfähigkeit des gesamten EU-Finanzsektors schaffen soll, ist im Grundsatz richtig. Aber auch hier darf in Deutschland kein Gold Plating stattfinden. Gerade bei den Prüfungen durch Wirtschaftsprüfer wird zu viel des Guten getan. Das zeigt das mangelhafte Vertrauen der Politik in die Wirtschaft. FIDA…

…also die Verordnung über den Zugang zu Finanzdaten (Financial Data Access), die den Zugang zu Finanzdaten harmonisieren soll, um einen einheitlichen Rechtsrahmen für Open Finance zu schaffen…

…spielt amerikanischen Techkonzernen in die Hände. Wir raten dazu, das deutlich zu reduzieren. Denn sonst drohen extrem hohe Investitionen in die IT-Infrastruktur, Stichwort Schnittstellen und Compliance, ohne dass wir den Nutzen sehen. Es werden nur Daten gesammelt, mit denen unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa weiter sinkt.

Wie bewerten Sie die jüngsten Vorschläge der EU-Kommission zur Überarbeitung der Offenlegungsverordnung (SFDR Sustainable Finance Disclosure Regulation)?

Das begrüßen wir – insbesondere, dass vorvertragliche und periodische Informationen künftig auf maximal zwei Seiten begrenzt werden sollen. Einige hatten schon 20 oder 30 Seiten produziert. Das hätte man aber schon vorher wissen können. Wer soll das alles lesen?

Was meinen Sie damit konkret?

In der ersten Amtsperiode der aktuellen EU-Kommission gab es nur für Versicherungen 77 Rechtsakte mit 10.000 Seiten plus 55 Rechtsakte nachgeordneter Behörden mit über 900 Seiten und 2.000 Seiten Umsetzungsvorschriften der EIOPA.

Kommt die Branche mit der nachhaltigen und klimabezogenen Regulierung zurecht? Sowohl beim Produktangebot als auch in der Kapitalanlage?

Wir haben uns als Branche ganz klar der Nachhaltigkeit verschrieben. Nachhaltigkeit berührt große Teile unseres Geschäftsmodells. Wenn die Welt unwirtlicher wird und die Risiken im Elementarbereich massiv steigen, dann hat das nicht nur auf Sachdeckungen Auswirkungen, sondern mittelfristig zum Beispiel auch auf Haftpflichtpolicen.

Und was heißt das konkret für die Branche?

Wir haben unseren CO2-Abdruck seit 2021 um 27% reduziert. 91% der Versicherer streben an, ihre Kapitalanlagen bis 2050 auf Netto Null zu reduzieren. Als  Branche wollen wir mit gutem Beispiel vorangehen, weil das für uns elementar ist.

Was bedeuten diese Ziele heute für Ihre Mitgliedsunternehmen in der Kapitalanlage und im Versicherungsgeschäft? Kaufen sie noch Aktien von Umweltsündern? Werden ihnen noch Versicherungsprodukte verkauft?

Das muss jedes Unternehmen für sich entscheiden. Als Verband verpflichten wir uns zu den genannten Zielen der Klimaneutralität bis 2050. Wie das einzelne Unternehmen diesen Pfad bestreitet, muss es selbst entscheiden. Das gibt der GDV nicht vor.

Herr Rollinger, Sie sind ja auch Chef der R+V Versicherungsgruppe. Wie gehen Sie als R+V vor?

Wir als R+V gehen einen pragmatischen Weg. Wir wollen von den Unternehmen mit einem höheren CO2-Ausstoß wissen, wie sie den reduzieren wollen. Wir stellen fest, dass die allermeisten Kunden entsprechende Pläne haben. Wir als R+V begleiten sie dabei. Der andere Weg, umweltbelastenden Unternehmen den Versicherungsschutz zu verweigern, könnte sie dazu zwingen, enorme Risken selbst zu tragen oder stark erhöhte Prämien zu zahlen. Dann schaffen sie die Umstellung auf CO2-Neutralität aber sicher nicht mehr. 

Müsste die Branche nicht aus Renditegesichtspunkten verstärkt auf Aktien und auch Immobilien setzen? Steht dem die aktuelle Regulierung entgegen?

Wir werden in der Kapitalanlage durch die Regulierung und die Produkte begrenzt. Angesichts unserer vielen Garantieprodukte müssen wir im Rahmen des Asset Liability Management jederzeit sicherstellen, dass wir unseren Verpflichtungen nachkommen können. Das bedeutet, dass wir viele Festverzinsliche haben, weil sie als sicherer als Sachwerte gelten. Sachwerte werfen meist höhere Renditen ab, weisen aber auch höhere Risiken auf. Wir als Kapitalsammelstellen können diese Risiken tragen.

Was bedeutet das für die Zukunft?

Der Anteil von Aktien und Immobilien an der Kapitalanlage der Versicherer wird zunehmen. Es bleibt abzuwarten, ob das mit der Regulierung noch besser gelingen wird. Wir müssen aber auch unsere Produkte verändern, um mehr Rendite erwirtschaften zu können und damit auch im Wettbewerb mit anderen Anlageformen bestehen zu können.

Und das wird von den Kunden angenommen?

Ja, wir als R+V Versicherung bieten flexible Produkte mit einer Art Schieberegler an, bei denen der Kunden entscheiden kann, wie viel Sicherheit er will bzw. wie viel Risiko er bereit ist zu tragen. Wir sehen, dass sich das ausdifferenziert. Zumindest im nicht geförderten Bereich sollten wir den Kunden solche Angebote machen.

Und im geförderten Bereich?

Da sollte der Staat auf ein gutes Risiko-Rendite-Profil für den Kunden achten.

Ist diese Risikobereitschaft auch eine Frage der Erziehung bzw. der Finanzbildung?

Das hängt sicherlich auch mit der unserer Geschichte zusammen. Die Deutschen haben durch die Inflation in den 1920er Jahren und die beiden Weltkriege viel verloren. Das prägt. Grundsätzlich plädiere ich dafür, die Leute mitzunehmen und sie transparent und offen über Chancen und Risiken zu informieren. 

Sie sind seit gut drei Jahren GDV-Präsident. Welche Ziele haben Sie sich gesetzt und welche konnten Sie bisher erreichen?

Mein wichtigstes Ziel ist und bleibt, dass wir als Versicherer relevant und anschlussfähig bleiben für Politik und Gesellschaft.

Das Interview führte Thomas List.

In Interview: Norbert Rollinger

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