Die Zukunft gehört der Arbeitszeitsouveränität
Die Zukunft gehört der Arbeitszeitsouveränität
Derzeit beginnen die Tarifverhandlungen zum Thema Arbeitszeitsouveränität in der privaten und öffentlichen Bankenbranche. Diese fallen in eine Zeit, in der eine scharfe Debatte über die Arbeitszeit in Deutschland geführt wird. Schlagzeilen über angeblich „arbeitsunwillige“ Deutsche und die Forderung nach längeren Arbeitszeiten und weniger Feiertagen prägen dabei den öffentlichen Diskurs. Doch dieser Blick greift zu kurz. Wer genauer hinsieht, erkennt: Die Beschäftigten in Deutschland arbeiten nicht zu wenig, im Gegenteil.
Flexibel und selbstbestimmt
Besonders in der Bankenbranche leisten Beschäftigte häufig mehr als vertraglich vereinbart. Sie kompensieren Personalmangel und stemmen steigende Arbeitslasten. Die Herausforderungen der Bankenbranche lassen sich nicht durch eine generelle Ausweitung der Arbeitszeit bewältigen. Es ist erfreulich, dass weder der Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes (AGV Banken) noch der Bundesverband der Öffentlichen Banken (VÖB) eine Verlängerung der Arbeitszeit fordern. Denn die Beschäftigten der Branche haben andere Ansprüche an eine moderne Arbeitszeitgestaltung. Die Lösung liegt in flexiblen und selbstbestimmten Arbeitszeiten.
Mitspracherecht erwünscht
Genau hier setzt die Diskussion um Arbeitszeitsouveränität an. Im Frühjahr 2025 hat die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) die Beschäftigten der Bankenbranche institutsübergreifend zu ihrer Zufriedenheit mit ihren Arbeitszeitregelungen befragt. Die Befragten legen großen Wert auf Mitsprache bei der Arbeitszeitgestaltung und sind damit überwiegend zufrieden. Rund drei Viertel der Befragten gaben an, „sehr zufrieden“ oder „eher zufrieden“ mit den Möglichkeiten zu sein, bei der Arbeitszeitgestaltung ihre eigenen Interessen berücksichtigen zu können.
Doch die Unterschiede zwischen Instituten, Einkommensgruppen und Alterskohorten sind deutlich. Handlungsbedarf besteht beim Thema Mehrarbeit und Arbeitsbelastung: Knapp die Hälfte arbeitet über die vereinbarte Zeit hinaus – vor allem wegen Personalmangel, Projektdruck und hoher Arbeitslast. Für die Zukunft wünschen sich die Befragten mehr Möglichkeiten, Arbeitszeit langfristig anzusparen; außerdem wünscht sich fast die Hälfte mehr Wahlmöglichkeiten zwischen Geld und Freizeit. Knapp 40% wünschen sich zudem die Einführung einer Vier-Tage-Woche.
Jüngere für Vier-Tage-Woche
Besonders aufschlussreich ist der Blick auf die unterschiedlichen Altersgruppen: Ältere Beschäftigte legen mehr Wert auf die Möglichkeit, Zeit anzusparen und damit früher in Rente zu gehen. Jüngere hingegen priorisieren Wahlmöglichkeiten zwischen Freizeit und Geld sowie das Modell der Vier-Tage-Woche. Teilzeitbeschäftigte betonen vor allem den Bedarf an leichteren Wechselmöglichkeiten zwischen Voll- und Teilzeit.
Forderungen für Verhandlungen
Aus diesen Befunden leiten wir als Verdi konkrete Forderungen für die Verhandlungen mit den Arbeitgeberverbänden ab. Wir fordern in beiden Tarifbereichen unter anderem das Recht, Gehalt in freie Tage umzuwandeln. Es soll neben einem Recht auf Teilzeit auch ein Recht auf die Rückkehr in Vollzeit geben. Für Beschäftigte mit einer Arbeitszeit von 36 Stunden oder weniger soll es einen Rechtsanspruch auf eine Vier-Tage-Woche geben.
Demografie im Blick
Zudem setzen wir uns dafür ein, dass es durch eine verbindliche Einführung von Langzeitarbeitszeitkonten für die Beschäftigten die Möglichkeit einer längeren Auszeit oder eines früheren Renteneintritts gibt. Diese Forderungen sind nicht nur im Interesse der Beschäftigten, sondern auch im Interesse der Unternehmen. Denn eine moderne Personalstrategie mit einer modernen Arbeitszeitgestaltung muss der Realität des Arbeitsmarktes Rechnung tragen: Demografischer Wandel, Fachkräftemangel und veränderte Lebensentwürfe erfordern flexible, planbare und attraktive Arbeitszeitmodelle.
Chance für Arbeitgeber
Wer als Arbeitgeber jetzt handelt, stärkt die Bindung seiner Belegschaft und gewinnt im Wettbewerb um Talente. Beim Verhandlungsauftakt mit dem VÖB am 22. September 2025 betonte auch die Arbeitgeberseite die Bedeutung dieses Themas, ohne bereits konkret auf die einzelnen Themen einzugehen. Vonseiten des VÖB wurde die Verlängerung der zuschlagsfreien Regelarbeitszeit bis 22 Uhr eingebracht, aber keine generelle Ausweitung der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit gefordert. Die Verhandlungen mit dem AGV Banken beginnen in der kommenden Woche.
An Bedürfnissen vorbei
Die Debatte um längere Arbeitszeiten mag politisch reizvoll sein. In der Praxis aber wird sie an den Bedürfnissen der Beschäftigten vorbeigehen und deshalb auch kein Weg sein, den die Sozialpartner in der Bankenbranche gehen werden. Die Zukunft gehört echter Arbeitszeitsouveränität – mit klaren Rechten, Wahlmöglichkeiten und fairen Rahmenbedingungen für Beschäftigte und Unternehmen.