EU-Sanktionen

Dilemma mit Hinterlegungsscheinen

Es gibt für Zehntausende deutsche Anleger einen Ausweg, nicht als Kollateralschaden westlicher Sanktionen gegen Russland zu enden – auch wenn weiterhin gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.

Dilemma mit Hinterlegungsscheinen

Es gibt für Zehntausende deutsche Anleger einen Ausweg, nicht als Kollateralschaden westlicher Sanktionen gegen Russland zu enden – auch wenn weiterhin gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Zahlreiche westliche Anleger halten Hinterlegungsscheine, sogenannte Depositary Receipts (DR, zumeist ADR oder GDR) auf russische Aktien. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine wurde der Handel mit diesen DRs bereits im März 2022 wegen EU-Sanktionen eingestellt.

In der Folge hat Russland angeordnet (Gesetz Nr. 114-FZ), dass russische Aktiengesellschaften ihre Vereinbarungen über ADR/GDR-Programme mit den (zumeist westlichen) Depositary- bzw. Programm-Banken beenden müssen. Die Depositary-Banken haben dann zwar den DR-Inhabern angeboten, die DR in Aktien umzutauschen – ein nach Auslaufen von DR-Programmen ganz übliches Vorgehen. Durch einen solchen Tausch bliebe zumindest eine Eigentumsposition des jeweiligen Anleger-Aktionärs erhalten, mit der Aussicht auf politischen Wandel in Moskau und einer Normalisierung des Austauschs mit dem russischen Kapitalmarkt.

Weg versperrt

Aber dieser Weg über die westlichen Depositary-Banken erwies sich für die allermeisten westlichen DR-Inhaber versperrt: Aufgrund weiterer westlicher Sanktionsmaßnahmen, insbesondere des sechsten EU-Sanktionspakets, wurden unter dem Begriff „Handelsaktivität“ auch DR-Konvertierungen untersagt, und es lehnten infolgedessen sämtliche Depotbanken die Anleger-Weisungen zum DR-Umtausch ab. Die Sorge des Kapitalmarkts, dass ein eigener Beitrag eventuell als Sanktionsverstoß zu werten sein könnte, ließ zahlreiche Intermediäre von für den DR-Umtausch notwendigen Dienstleistungen schlagartig Abstand nehmen.

Zwar ist unter den geltenden EU-Sanktionen seit einer Absage an die Vereinnahmung von Gebühren durch den Russian Central Securities Depository (NSD – russischer Wertpapierverwahrer) die DR-Umwandlung wieder zulässig. Hinzu traten aber ab August Schwierigkeiten für Clearstream beim Lagerstellenwechsel aufgrund US-amerikanischer Regelungen zu Low Priced Securities. Insgesamt wurde wieder einmal schmerzlich offenbar: No man is safe while the legislature is in session. Soll heißen: Am Kapitalmarkt fällt es dem Gesetzgeber (hier dem Sanktionsgeber) schwer, die tatsächlichen Auswirkungen seiner Maßnahmen zutreffend abzuschätzen.

Appell an Politik

Vor diesem Hintergrund haben Interessenverbände wie die SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger mit steigender Dringlichkeit an die bundesdeutschen Finanzpolitiker appelliert, dieses Thema auf die Agenda zu nehmen. Diese Woche hat sich der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages mit dem Thema beschäftigt. Die deutschen Fachpolitiker bedauern demnach durch die Bank die „großen und schmerzhaften Belastungen“ für (Klein-)Anleger, weisen aber darauf hin, dass dem nationalen Gesetzgeber die Hände gebunden seien, da die EU-Finanzsanktionen „von den Mitgliedstaaten einheitlich umgesetzt werden müssen, um wirksam zu sein“.

Zwar wolle man im Finanzausschuss „gesetzlichen Anpassungsbedarf prüfen“, aber es steht zu erwarten, dass die vertrackte Lage für DR-Anleger sich nicht zügig ändert. Im Ergebnis konnten zwar einige wenige Anleger erfolgreich ihre DR in russische Aktien tauschen. Der „westliche Weg“ über die Programm-Banken ist auf absehbare Zeit aber wohl verschlossen.

Dienstleister umgehen

Erstaunlicherweise ist der russische Gesetzgeber zwischenzeitlich aktiv geworden und versucht seit Juli, einen „russischen Weg“ zur DR-Konvertierung zu ebnen (Gesetz Nr. 319-FZ vom 14. Juli). Demnach soll der Umtausch ohne Nutzung ausländischer Infrastruktur auf ein russisches Depot durchführbar sein. Damit würden die Sanktionen der EU bzw. die Mitwirkung seitens westlicher Dienstleister wie z. B. Clear­stream obsolet.

Im Allgemeinen sieht der „russische Weg“ Folgendes vor: Ist die Inhaberschaft eines DR-Inhabers über eine nichtrussische Organisation verbucht und kann der DR-Inhaber die notwendige Umwandlung der DR in Originalaktien nicht durchführen sowie die zugrundeliegenden russischen Original-Aktien aufgrund von Sanktionsbeschränkungen oder als Ergebnis von „unfreundlichen Handlungen ausländischer Staaten gegenüber Russland“ nicht eingebucht erhalten, dann ist ein solcher DR-Inhaber berechtigt, bei der russischen Depotbank des DR-Programms einen Antrag darauf zu stellen, dass die russische Depotbank des DR-Programms den Umtausch der DR in die zugrundeliegenden russischen Original-Aktien direkt durchführt.

Im Verlauf der vergangenen Wochen haben zahlreiche Anleger diesen Weg eingeschlagen, und auf den Webseiten von Anlegervereinigungen finden sich sinnvolle Empfehlungen für deutsche und russische Berater, meist Rechtsanwälte. Inzwischen sind auch erfolgreiche Konvertierungen von DR in Stammaktien bekannt geworden. Vielfach kommt es aktuell aber zu unerwarteten Hürden: Unter Verweis auf die EU-Sanktionen weigern sich neuerdings deutsche Notare, Vollmachten deutscher Anleger für russische Anwälte zu beglaubigen, und auch Depotbanken weigern sich, die erforderlichen Nachweise über die DR-Inhaberschaft für Anleger auszustellen.

Weiter Handlungsbedarf

Der deutsche bzw. europäische Gesetzgeber hat also weiterhin Handlungsbedarf. Er muss deutlich machen, dass die Sicherung bzw. Realisierung von russischen Vermögenswerten westlicher Anleger, insbesondere die Konvertierung von DR in russische Stammaktien, nicht gegen westliche Sanktionen verstößt. So bliebe der russische Weg einfacher gangbar.