InterviewDebo Sen und Mark McNulty, Citigroup

„Echtzeit-Treasury wird realer“

Was treibt den technologischen Wandel im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr an? Veränderte Geschäftsmodelle durch die Verlagerung des Handels ins Internet, sagen die Paymentexperten der Citigroup, die täglich Transaktionen im Volumen von 5 Bill. Dollar abwickelt.

„Echtzeit-Treasury wird realer“

„Echtzeit-Treasury wird realer“

Im Interview: Debopama Sen und Mark McNulty

Die Payment-Experten der Citigroup über die Innovationstreiber im Transaktionsbanking

Was treibt den technologischen Wandel im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr an? Veränderte Geschäftsmodelle durch die Verlagerung des Handels ins Internet, sagen die Paymentexperten der Citigroup, die täglich Transaktionen im Volumen von 5 Bill. Dollar abwickelt.

Frau Sen, der globale Paymentmarkt entwickelt sich rasant. Was sind die wichtigsten Treiber im Jahr 2025?

Debo Sen: Aus unserer Sicht ist es die Tatsache, dass Firmenkunden und Verbraucher immer mehr Geschäfte online abwickeln. Zahlungsanbieter müssen dafür sorgen, dass sie dazu in der Lage sind. Die Geschäftsmodelle unserer Kunden verändern sich, sie werden immer digitaler. Das ist für uns als Bank der wichtigste Treiber für Innovationen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Sen: In Deutschland gibt es viele Automobilhersteller. Vor einigen Jahren arbeiteten sie bei der Distribution noch mit großen Händlern zusammen. Heute verkaufen viele von ihnen selbst online und müssen diesen Verbrauchern Zahlungslösungen anbieten, wie sie es bisher nicht getan haben. Das verändert ihr Geschäftsmodell. Unsere Aufgabe ist es, sie mit geeigneten Lösungen zu unterstützen.

Vertrieb und Zahlungsabwicklung werden fragmentierter.

Sen: Auf jeden Fall. Und das geschieht in allen möglichen Branchen und auf unterschiedliche Weise. So gibt es auch Unternehmen, die ihre Produkte schon immer selbst vertrieben haben und dafür Werbeflächen in großen Publikationen einkauften, für die sie hohe Summen bezahlten. Plötzlich müssen sie aber Zahlungen tätigen, die ganz anders funktionieren. Denn heute arbeiten sie vielleicht mit Influencern zusammen. Freiberufler, die ihr Honorar möglicherweise in ihre digitale Wallet auf den Philippinen erhalten möchten. Das sind grundlegende Veränderungen der Geschäfts- und kommerziellen Modelle. Damit wandelt sich auch die Art und Weise, wie sie Zahlungen leisten und empfangen. Payment wird immer kleinteiliger, schneller und rund um die Uhr verfügbar.

Wie reagiert Citi darauf?

Sen: Wir versuchen sicherzustellen, dass wir die Bedürfnisse unserer Kunden erfüllen können. Wir ermöglichen ihnen die Nutzung von Instant Payment, Echtzeit-Liquidität und besseren Daten. Uns stehen dafür jetzt viele Instrumente zur Verfügung, was auch an sich ändernden regulatorischen Vorgaben liegt.

Welche regionalen Unterschiede gibt es zwischen Asien, den USA und Europa?

Sen: Aus Kundensicht sind die Unterschiede nicht groß. Im Kern ähneln sich die Probleme, die alle zu lösen versuchen. Denn der Trend zur Verlagerung von Geschäft ins Internet ist langfristig und findet überall statt. Die Unterschiede, die wir weltweit beobachten können, ergeben sich aus der unterschiedlichen Gewichtung dieser Veränderungen.

Zum Beispiel?

Sen: In Asien sind digitale Geldbörsen sehr beliebt, die dort wirklich in jedem Land weit verbreitet sind. In Lateinamerika war ein enormer Trend zu Instant Payment zu beobachten, insbesondere in Brasilien. In den USA haben sich Sofortzahlungen dagegen noch nicht so stark durchgesetzt, da Wallets und Karten dort traditionell eine sehr starke Marktposition haben. Aber das beginnt sich jetzt zu ändern, auch durch die Einführung von FedNow, dem Zahlungssystem der US-Notenbank. Die Regionen der Welt befinden sich in unterschiedlichen Entwicklungsphasen. Nicht alle Instrument stehen in allen Regionen gleichermaßen im Fokus. Aber der Trend zu unsichtbaren, einfachen Zahlungen rund um die Uhr ist derselbe.

In Europa scheinen eher die Regulatoren als die Kunden die Innovationstreiber zu sein.

Mark McNulty: Ich glaube, das ist keine Entweder-Oder-Frage. Kunden und Verbraucher reagieren auf den digitalen Wandel. Und die Regulierungsbehörden versuchen ihrerseits, die Digitalisierung in ihren Volkswirtschaften voranzutreiben. Verification Pay ist ein gutes Beispiel dafür...

...Sie beziehen sich auf den Teil der Instant-Payment-Regulation der Europäischen Union, der Zahlungsanbieter jetzt verpflichtet, den Zahlungsempfänger zu verifizieren...

McNulty: Ja. Die Regulierungsbehörden sind darauf aus, die gesamte Wirtschaft zu digitalisieren. Und dafür setzen sie häufig Payment-Instrumente und -Mechanismen ein. Damit treiben sie aus meiner Sicht Innovationen in großem Maßstab voran. Regulierung kann ein enormer Wegbereiter sein. Denn wann immer wir innovative Lösungen für unsere Kunden entwickeln, müssen diese immer auch im gesamten Ökosystem funktionieren. Zum Beispiel beim Instant Payment: Damit die Banken davon profitieren können, braucht es Systeme, die idealerweise von allen Instituten übernommen werden.

Sen: Dem kann ich nur zustimmen. Ich habe viel Zeit in Asien verbracht, einem Markt, der sehr innovationshungrig war. Instant Payment hat sich in Indien, Singapur, Indonesien, den südostasiatischen Märkten und auch in Nordasien sehr schnell durchgesetzt. Die Initialzündung hierfür war der Kundenbedarf, ermöglicht haben es jedoch die regulatorischen Vorgaben. Die Behörden haben standardisierte, sichere und geschützte Methoden eingefordert und damit eine Interoperabilität geschaffen. Das ist ein ähnlicher Prozess, wie wir ihn derzeit in Europa beobachten können.

Wie unterscheidet sich der Ansatz der Citigroup beim Umgang mit Payment-Innovationen von dem europäischer Banken und Fintechs?

McNulty: Wir konzentrieren uns sehr stark darauf, wohin sich unsere Kunden bewegen, was sie brauchen.

Sen: Und auch wenn wir natürlich die Entwicklungen auf dem Markt beobachten, jagen wir nicht jeder Innovation hinterher, nur weil sie technologisch interessant oder cool ist. Es geht uns nicht darum, dass etwas neu ist. Uns interessiert, ob es die Probleme adressiert, die unsere Kunden lösen wollen.

Können Sie diesen kundengetriebenen Ansatz bitte veranschaulichen?

Sen: Gerne. Ein Thema, das unsere Kunden zunehmend beschäftigte, war die Notwendigkeit, schneller auf den Liquiditätsbedarf ihrer Lieferanten zu reagieren. Das kommt durch die Verlagerung des Handels ins Internet, die alles beschleunigt. Um dieses Problem zu lösen, haben wir zwei Netzwerke verbunden, über die wir ohnehin verfügen. Unser internes Blockchain-Netzwerk, über das unsere Kunden rund um die Uhr Liquidität in US-Dollar von den wichtigsten Finanzzentren in Großbritannien, den USA, Singapur und Hongkong übertragen können, und unser Multi-Bank-Netzwerk. Das erlaubt es unseren Kunden, rund um die Uhr Dollar zwischen 250 angebundenen Banken zu transferieren. Diese Verbindung der beiden Netzwerke ist für unsere Firmenkunden in Europa sehr nützlich. Denn nun können sie beispielsweise ihre Lieferanten in Vietnam auch an US-Feiertagen bezahlen.

Ist diese Lösung auch für den typischen deutschen Mittelständler geeignet?

Sen: Ja. Denn die Herausforderungen, denen sie gegenüberstehen, sind die gleichen, wie bei allen anderen Unternehmen auf der Welt: Sie möchten den Online-Handel vorantreiben. Damit wird Realtime-Treasury realer.

Was bedeutet das?

Sen: Es geht um die Fähigkeit, Flexibilität und Datengrundlage, um den Liquiditätsbedarf in einer 24/7-Welt prognostizieren zu können. Die Voraussetzungen dafür sind Datentransparenz, die Fähigkeit, weltweite Bewegungsfreiheit und Prognosequalität. Wir haben uns sehr darauf konzentriert, diese Probleme zu lösen, sowohl für deutsche und europäische Unternehmen als auch für globale Kunden. Die Instant-Payment-Lösungen, die wir ihnen heute anbieten, basieren auf umfangreichen Daten unter Berücksichtigung der Änderungen des globalen ISO-20022-Standards. In Kombination mit unserer Realtime-Liquiditätsunterstützung können wir so sicherstellen, dass unsere Kunden die Finanzierung erhalten, wenn sie Zahlungen leisten müssen.

Zurück zum Mittelstand: Kleineren Unternehmen fehlt oft das Budget für tiefgreifende technologische Veränderungen.

Sen: Und genau deshalb eignen sich unsere Lösungen für sie sehr gut. Denn wir sorgen grundsätzlich dafür, dass unsere Lösungen keine komplexe Integration auf der Seite unserer Kunden erfordert. Sie arbeiten einfach weiter mit uns zusammen wie bisher. Um die technologische Innovation kümmern wir uns.

Zu den Personen

Mit beinahe drei Jahrzehnten Erfahrung im globalen Zahlungsverkehr gilt Debopama (Debo) Sen als führender Kopf der Paymentwelt. Stablecoins sind für die gebürtige Inderin keine Bedrohung für traditionelle Banken, sondern nur eines von verschiedenen Instrumenten, um Kunden 24/7-Zahlungen in Echtzeit zu ermöglichen. Nach einem Mathematikstudium in Delhi und einem Mumbai Master of Management Studies startete sie ihre Laufbahn bei der Citigroup, für die sie in Indien und Singapur tätig war, bevor sie 2021 in die New Yorker Firmenzentrale wechselte und zwei Jahre später zum Global Head Payments aufstieg.
Mark McNulty verantwortet das Payment-Geschäft der US-Bank im Vereinigten Königreich und Kontinentaleuropa. Auch er hat seine gesamte Berufslaufbahn bei der Citigroup verbracht, davon mehr als 15 Jahre im Payment-Bereich. Neben einem Bachelor-Abschluss of Commerce vom University College in Dublin hält er ein CIMA-Diplom für Accounting und Finance.

Das Interview führte Anna Sleegers.