GastbeitragNachhaltigkeitsberichterstattung

ESG braucht einen Perspektivwechsel

Nachhaltigkeit bietet strategische Wachstumschancen. Statt Unternehmen mit bürokratischen Vorschriften zu drangsalieren, sollte die Politik sie durch verlässliche Rahmenbedingungen dabei unterstützen, diese Chance zu nutzen.

ESG braucht einen Perspektivwechsel

ESG braucht einen Perspektivwechsel

CSRD, Taxonomie, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – Nachhaltigkeit ist geprägt von regulatorischer Komplexität und Reportinganforderungen, die viele als sinnlos und ausufernd betrachten. Kein Wunder, dass viele Unternehmer das Thema als bürokratische Last ansehen.Andere Volkswirtschaften haben bereits einen pragmatischeren Umgang mit Klima- und Umweltfragen gefunden. Deshalb plädieren wir für einen tiefgreifenden Kulturwandel, der Nachhaltigkeit als strategische volks- und betriebswirtschaftliche Wachstumschance begreift. Nachhaltigkeit darf nicht primär auf Dokumentations- und Reportingimpulse reduziert werden. Vielmehr sollten die ökonomischen und gesellschaftlichen Chancen in den Vordergrund gerückt werden.

Nachhaltig über Generationen

Viele Unternehmen, die wir als Partner begleiten, befinden sich bereits in einer nachhaltigen Transformation. Die Motive dafür sind Ressourceneffizienz, die Notwendigkeit, flexible Lieferketten aufzubauen sowie der Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Auch der Anspruch, technologischer Vorreiter zu sein und Mitarbeiter langfristig zu binden, ist ein Ansporn für Unternehmen, die sich zukunftssicher und generationenübergreifend aufstellen müssen. Gerade Unternehmen, die bereits über Generation geführt werden, haben ja bereits unter Beweis gestellt, dass sie nachhaltig handeln können.

Nachhaltiges Handeln ist bereits Realität. In einer Umfrage des Morgan Stanley Institutes for Sustainable Investing, an der sich 300 Wirtschaftsunternehmen weltweit mit einem Mindestumsatz von 100 Mill. Dollar pro Jahr beteiligten, gaben 88% an, dass sie Nachhaltigkeit in der langfristigen Strategie als Chance zur Wertsteigerung betrachten. Unternehmen investieren hohe Milliardensummen in eine zukunftsfähige Aufstellung. Sie investieren in Lösungen für Ressourceneffizienz und Materialkreisläufe, die gleichzeitig zu reduzierten CO2-Emissionen führen. Ohne diese Transformation würden einige dieser Unternehmen innerhalb weniger Jahre vom Markt verschwunden.

Transformation als Wachstumstreiber

Trotz aller geopolitischer Unsicherheit zeigt der Blick ins Ausland zumindest mittelfristig einen klaren Trend hin zu einer nachhaltigen Transformation. So hat etwa der Ölproduzent Saudi-Arabien im Rahmen der „Vision 2030“ die Förderung von Projekten zum Ausbau erneuerbarer Energien ausgerufen. In den USA flossen mit dem Inflation Reduction Act die größten Investitionen der Geschiche in die Energiewende. China hat laut der International Energy Agency (IEA), von 2015 bis 2024 mehr als 625 Mrd. Dollar investiert, um ein emissionsneutrales Energiesystem zu erreichen. Keine dieser Initiativen sind einem reinen „Weltverbesserungsanspruch“ geschuldet. Diese Staaten glauben vielmehr daran, Wachstum und Wohlstand zu generieren, indem sie die Investitionen ihrer Wirtschaft auch in erneuerbare Energien lenken.

Das zeigt: Transformation und Nachhaltigkeit sind per se keine Strategien, sondern bereits ökonomische Realität. Für die Versicherungsbranche ist Resilienz gegenüber volatilen Märkten oder potenziellen Gefahren zentral. In der Industrieversicherung stellen wir uns auf neue Risiken wie Cyber-Angriffe, neue Klimarisiken und sich rapide verändernde Umweltbedingungen oder autonomes Fahren ein. Diese Wachstumsfelder sind für uns betriebswirtschaftlich, aber auch volkswirtschaftlich relevant. Wir gestalten diese Transformation mit, um langfristigen Unternehmenserfolg zu sichern.

Mehr Vertrauen in die Akteure der Wirtschaft

Nachhaltigkeit wird sich in der Zukunft rechnen. Deshalb verdienen die Akteure der Wirtschaft mehr Vertrauen. Zwingend notwendig sind verlässliche regulatorische und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen und der Abbau von überbordender Bürokratie. Natürlich braucht es auch Kennzahlen.

Diese müssen aber sinnvoll sein und einen Beitrag für eine positive Entwicklung hin zu nachhaltigerem Wirtschaften leisten. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung soll im Zuge des Omnibus-Verfahrens verschlankt werden. Wichtig ist es, dass die Erleichterungen schnell spürbar werden. Methodische Verbesserungen wie etwa die Vermeidung von Doppelzählungen beim CO2-Verbrauch erhöhen die Akzeptanz bei Erstellern und Lesern.

Lizenz für Wachstum

Nachhaltige Unternehmensführung ist seit Generationen erfolgreich und liegt im Interesse von Eigentümern, Konsumenten und der Belegschaft. Nachhaltigkeit ist eine Chance und auch die Lizenz für weiteres Wachstum. Aber es braucht mehr Vertrauen in die Wirtschaft und einen „motivierenden“ regulatorischen Rahmen. Gerade in Deutschland und im restlichen Europa haben wir einen Vorteil, weil wir anderen Staaten in Sachen Nachhaltigkeit noch voraus sind. Nutzen wir dies!

Sandra Reich, Aufsichtsratsmitglied Talanx

Egon Puls, Vorstandsvorsitzender HDI Global