ESMA erforscht Hochfrequenzhandel
Der Hochfrequenzhandel löst regelmäßig hitzige Diskussionen aus. Das liegt auch daran, dass das Geschäft kaum erforscht ist. Während für den US-Markt Daten vorliegen, tappen Europas Aufseher im Dunkeln, wenn es darum geht, das Ausmaß des schnellen Handels zu bestimmen. Zwei Studien der European Securities and Markets Authority bringen erstes Licht ins Dunkel. Von Grit Beecken, FrankfurtDie Aufseher der European Securities and Markets Authority (ESMA) beschäftigen sich zunehmend mit dem Hochfrequenzhandel und sind bemüht, Licht in das umstrittene und nicht besonders gut erforschte Geschäftsfeld zu bringen. Die Behörde hat mittlerweile ihren zweiten Berichte über den schnellen computergestützten Handel in Europa veröffentlicht und kommt dabei zu dem Schluss, dass der Anteil des Hochfrequenzhandels zwischen 24 und 76 % des Börsengeschehens ausmacht – je nachdem, wie man die Spielart definiert und aus welchem Blickwinkel man sie betrachtet. Registrierung verlangtHintergrund der Definitionsproblematik ist zum einen, dass nicht jeder, der den schnellen Handel betreibt, sich auch als Hochfrequenzhändler bezeichnen muss. So verlangt das deutsche Hochfrequenzhandelsgesetz zwar eine Registrierung. Doch Banken, die eine Erlaubnis zum Betreiben von Eigenhandelsgeschäften haben, müssen sich nicht mehr extra als Hochfrequenzhändler eintragen lassen – auch wenn sie das Geschäft betreiben.Zum anderen gibt es verschiedene Ansichten darüber, was den Hochfrequenzhandel genau kennzeichnet – die Zahl der platzierten Orders, das wertmäßige Ordervolumen oder die Verweildauer von Aufträgen in den Systemen der Börse? All diese Fragen erschweren die Untersuchungen der Aufseher massiv, weil sie erst zusammensuchen müssen, welche Datensätze in ihre Studien einfließen müssen.Im vergangenen März hatte die ESMA eine erste Hochfrequenzhandelsstudie vorgelegt, die sich auf die Untersuchung des Geschäfts derjenigen beschränkt, die sich als Hochfrequenzhändler bezeichnen. Das Ergebnis lautete damals: 60 % des Ordervolumens werden hochfrequent erzeugt, der Anteil am wertmäßigen Handelsvolumen liegt bei 22 %.Eine kurz vor Weihnachten vorlegte Studie zeichnet ein weitaus differenziertes Bild, weil die ESMA-Aufseher nun auch die Aktivitäten von Investmentbanken und anderen Marktakteuren berücksichtigen. Demnach liegt der Anteil des Hochfrequenzhandels bei bis zu 43 %, wenn man das wertmäßige Handelsvolumen betrachtet, und bei bis zu 76 %, wenn die Zahl der platzierten Orders zugrunde gelegt wird. Marktanteile sichtbarIn der neuen Studie betrachtet die ESMA erstmals auch den Anteil der verschiedenen Marktteilnehmer (siehe Grafik). In der Finanzbranche trifft das auf Anklang: “Das Besondere an der Studie sind die Daten”, heißt es bei der Deutschen Börse. “ESMA als Regulator hat Zugriff auf die Orderdaten aller Handelsplätze, so dass es niemanden anderen gibt, der auf Grundlage dieser Daten eine ähnliche Studie machen könnte.”Die Forschungen der ESMA sind indes nicht allen Marktteilnehmern recht. Harsche Kritik kommt vor allem vom Londoner Handelsplatzbetreiber Bats Chi-X, der den Aufsehern zufolge mit bis zu 85 % den höchsten Hochfrequenzhandelsanteil hat. Der Ansatz der Aufseher in Paris sei nicht wissenschaftlich und die zugrunde gelegten Daten seien nicht korrekt, heißt es an der Themse.Bats Chi-X nimmt selbst an, dass der Anteil des Hochfrequenzhandels auf den beiden betriebenen Plattformen im Schnitt bei 30 % und im Maximum bei 35 % liegt. Die Deutsche Börse hingegen geht davon aus, dass die ESMA-Zahlen ihr Geschäft richtig widerspiegeln.Für Handelsplatzbetreiber bergen die ESMA-Zahlen Sprengstoff. Schließlich meiden viele Investoren Plattformen mit hohem Hochfrequenzhandelsanteil, weil sie nicht für die Arbitragegeschäfte der schnellen Akteure zur Verfügung stehen wollen. Manch ein Anleger fürchtet, er könnte durch die verwendeten Algorithmen ausspioniert werden und einen Schaden erleiden, nachdem der Autor Michael Lewis im vergangenen Jahr mit dem Buch “Flash Boys” harsche Kritik an Hochfrequenzhändlern geäußert hatte. Lewis postulierte, das schnelle computergestützte Geschäft koste Anleger regelmäßig große Summen.Bei Wissenschaftlern stieß das Werk allerdings auf Kritik. “Die akademische Literatur steht dem Hochfrequenzhandel recht positiv gegenüber”, sagte Peter Gomber, Professor an der Universität Frankfurt, der Börsen-Zeitung nach der Veröffentlichung von Lewis’ Buch. Dabei existiere aber immer wieder ein riesiges Datenproblem, weil oft kleine Zeiträume untersucht würden und häufig die Identifikation der jeweiligen Händler und Strategien in den Daten fehle. “Die Untersuchungen zeigen mehrheitlich, dass der Hochfrequenzhandel in normalen Marktphasen für die Liquidität und Markteffizienz positiv ist und zu einer Reduktion von Volatilität beiträgt”, so Gomber.Die ESMA kann die von Gomber beschriebenen Datenlücken füllen. Mit ihrer Untersuchung betritt die Behörde allerdings Neuland. “Es gibt in der Literatur eine Reihe von Ansätzen, mit denen die Hochfrequenzhandelsaktivität geschätzt werden kann”, heißt es bei den Aufsehern. Allerdings sei keiner dieser Ansätze geeignet, das Geschäft genau zu fassen, und das führe zu großen Abweichungen der Ergebnisse vorangegangener Studien. “Für Aufseher ist es eine große Herausforderung, weil sie festlegen müssen, was genau den Hochfrequenzhandel charakterisiert.” Wichtige DefinitionsarbeitDa die ESMA den schnellen Handel beaufsichtigt, kommt sie um die Definitionsarbeit nicht herum. Sie ist nach wie vor auf der Suche nach den richtigen Begriffen: “Es gibt derzeit keine Methode, die exakt feststellen kann, wie viel Hochfrequenzhandel stattfindet”, sagte ein Sprecher der Behörde.Die Aufseher haben sich den Handel mit 100 Aktien in neun europäischen Staaten angeschaut und dabei auf Daten aus dem Mai 2013 zurückgegriffen. Die Ergebnisse sind daher nicht taufrisch. ESMA hält sie aber für aussagekräftig und kündigt weitere Untersuchungen an. Sie will prüfen, was die Treiber des Hochfrequenzhandels sind, welchen Beitrag das Geschäft zur Liquiditätsbereitstellung leistet und welche Chancen und Risiken es birgt.—– Wertberichtigt Seite 6