EZB schlägt wegen Krediten Alarm
Von Bernd Neubacher, Frankfurt
Die europäische Bankenaufsicht erhöht ihren Druck auf die Institute im Umgang mit Kreditrisiken. Wie am Donnerstag bekannt geworden ist, treibt die Europäische Bankenaufsicht (EZB) nicht mehr nur um, dass die Pandemie den Abbau fauler Forderungen in den Bilanzen hemmt und nach Auslaufen öffentlicher Hilfen ein Klippeneffekt bei den Kreditausfällen droht. Es geht nun auch um die Folgen der neuerlichen Lockdowns und eine etwa im Vergleich zu den USA relativ niedrige Vorsorge der Banken in Euroland. Zudem beäugen die Aufseher die bankinternen Risikomodelle, deren Analyse im Zuge einer jahrelangen Übung sie schon 2015 angestoßen hatten, mit neuem Argwohn.
„Weitaus weniger sensibel“
Wie Andrea Enria, Chair des Single Supervisory Mechanism (SSM), am Donnerstag bei Präsentation der Ergebnisse der aufsichtlichen Überprüfung und Bewertung (Supervisory Review and Evaluation, SREP) im vergangenen Jahr erklärte, haben die Aufseher im November festgestellt, dass einige auf den Bilanzstandard IFRS 9 geeichte Modelle zur Kalkulation von Ausfallwahrscheinlichkeiten „weitaus weniger sensibel“ gegenüber Änderungen im Bruttoinlandsprodukt geworden seien, was auf Änderungen an Modellen hindeuten könnte mit dem Ziel, die Messung von Kreditrisiken „künstlich“ zu reduzieren.
Man wolle die Entwicklungen in diesem Feld überwachen, denn diese Interpretationen könnten Teil einer Erklärung sein, warum die Risikovorsorge der Häuser niedriger ausgefallen sei als Schwankungen in der Vergangenheit nahelegen würden. Manipulation sei ein großes Wort, relativierte er auf Nachfrage. Die Abweichungen könnten gerechtfertigt sein, aber man müsse sie sich anschauen. Dabei gehe es auch um die Fähigkeit der Banken, in den kommenden Monaten verlässliche Vorhersagen zu Kreditrisiken zu treffen.
Zwar haben die Großbanken der Eurozone im zweiten Quartal bereits die meisten im Laufe der Pandemie erwarteten Risikokosten zurückgestellt, wie die EZB mitteilt. Die im Schlussquartal verhängten Beschränkungen des öffentlichen Lebens aber würden weitere Anstrengungen erfordern.
Kapitalpuffer frei
Die Aufseher erwarten, dass diese Anstrengungen sich in den Zahlen für das Schlussquartal 2020 und das Startquartal 2021 niederschlagen werden. Zugleich signalisieren sie, dass die Banken zumindest noch bis Ende 2022 auf ihre in der Pandemie freigegebenen Kapitalpuffer zurückgreifen dürfen, um die zusätzlichen Risikokosten zu verarbeiten.
Bislang scheine die Risikovorsorge der Banken hinter den Niveaus in anderen Regionen wie den USA und auch während der Finanzkrise zurückzubleiben, stellt die EZB fest. Zum Teil könnte sich die Mindervorsorge mit den besonderen Eigenschaften der Coronakrise erklären lassen, mit ihren beispiellosen Stützungsaktionen, der besonderen Rollen des Sparverhaltens und verfügbaren Einkommens in Pandemien sowie mit dem Umstand, dass sich die negativen Folgen der Krise auf bestimmte verwundbare Sektoren konzentrieren, geben sie zu bedenken.
Die Aufseher, welche die Banken am Donnerstag aufforderten, sich um ihre Kreditrisiken zu kümmern, schlagen damit neue Töne an in einer Angelegenheit, die sie schon länger umtreibt. So hatte Stefan Walter, Generaldirektor der EZB und dort für den neuen Geschäftsbereich Horizontal Line Supervision (DG/HOL) zuständig, der Börsen-Zeitung erklärt: „Uns ist es nun sehr wichtig, dass Banken zwischen ihren Krediten differenzieren, und zwar, dass sie sich fragen, in welchen Bereichen es Probleme geben könnte, wenn die Stützungsmaßnahmen und die Moratorien ablaufen. Wir wollen Klippeneffekte vermeiden, nämlich dass man nach Ende der Stützungsmaßnahmen feststellen muss, dass die Risikovorsorge nicht reicht.“ (vgl. BZ vom 17.11.2020) Im Dezember hatte die SSM-Chef Enria einen entsprechenden Brief an die Großbanken Eurolands abgesetzt.
Auf die Finger geklopft
Um die Institute zu einem angemessenen Umgang mit Kreditrisiken zu „ermutigen“, haben die Aufseher den Banken schon im vergangenen Jahr verstärkt auf die Finger geklopft, wie am Donnerstag deutlich wurde: Nicht weniger als 80% der knapp 120 direkt von der EZB beaufsichtigten Banken erhielten eine aufsichtliche Empfehlung in Sachen Kreditrisiko, und die Zahl der „Feststellungen“ genannten Monita kletterte zugleich um 79% (s. Grafik).
Angesichts der Pandemie haben die Aufseher ihre aufsichtlichen Prioritäten entsprechend angepasst. Im laufenden Jahr werden für die EZB die Steuerung der Kreditrisiken, die Kapitalausstattung, die Tragfähigkeit der Geschäftsmodelle sowie die Governance der Banken im Mittelpunkt stehen, nachdem vor Jahresfrist vor allem Bilanzsanierung und die Stärkung der Widerstandskraft der Institute Vorrang hatten.
Vielfältige Agenda 2021
Konkret stehen 2021 außerdem unter anderem die Umsetzung des EZB-Leitfadens zu Klima- und Umweltrisiken, der Stand der Vorbereitungen auf die letzten Schritte der Umsetzung des Kapitalregelwerks Basel III sowie Risiken infolge Geldwäsche, Cyber und Digitalisierung auf der Agenda, wie mitgeteilt wird.
In Erwartungen neuerlicher Risikovorsorge gehen die Aufseher davon aus, dass sich die Ertragskraft im Sektor im laufenden Jahr nur moderat erholen und auf nach wie vor niedrigem Niveau bei ernüchternden Gewinnaussichten bewegen wird. Nachdem die Aufseher angesichts der Pandemie den Banken Erleichterungen gewährt hatten, hielten sie im vergangenen Jahr ihre individuelle Mindestkapitalvorgabe (Pillar 2 Requirement, P2R) stabil bei durchschnittlich 2,1 Prozentpunkten (von welchen nach regulatorischen Änderungen indes nur mehr 1,2 Punkte mit Hilfe harten Kernkapitals zu erfüllen sind) und änderten sie nur in Ausnahmefällen. Die Kapitalempfehlung (Pillar 2 Guidance, P2G), in welche gewöhnlicherweise das Ergebnis des Stresstests einfließt, verharrte infolge der coronabedingt ausgefallenen Belastungsprobe bei 1,4 Punkten. Insgesamt nahm damit die Anforderung an die harte Eigenkapitalquote der Banken infolge der aufsichtlichen Überprüfung und Bewertung damit um 1 Punkt auf 9,6% ab. Ende 2019 kamen die Institute auf 14,9%.
Erneuter Appell
SSM-Chair Andrea Enria erneuerte am Donnerstag den Appell der Aufseher, Banken sollten in der Bonussaison äußerste Mäßigung üben. Bei den Dividendenzahlungen rechnen die Aufseher nach Lockerung ihres Moratoriums im Dezember seinen Angaben zufolge mit Ausschüttungen von 10 Mrd. bis 11 Mrd. Euro. Wie die Börsen-Zeitung vor wenigen Tagen berichtet hatte, dürfte nur eine deutliche Minderheit der Großbanken Eurolands vor Ende des gelockerten Moratoriums Ende September Dividenden ausschütten (vgl. BZ vom 20. Januar).