Fair Pay in der Finanzbranche: Viel zu tun
Mit Blick auf die Vergütungsgerechtigkeit hinkt die deutsche Finanzbranche, also Banken und Versicherungen, der breiten Industrie hinterher. In Letzterer betrug der unbereinigte Gender Pay Gap – also der Gehaltsunterschied zwischen allen Männern und allen Frauen – laut Statistischem Bundesamt 18%, in der Finanzbranche hingegen 23% (Stand: 2020). Der bereinigte Gender Pay Gap – also der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen in jeweils vergleichbaren Positionen – liegt in der breiten Industrie bei 6%, in der Finanzbranche bei circa 8%. Ein Großteil (71%) des Verdienstunterschieds zwischen Männern und Frauen lässt sich strukturbedingt erklären: Frauen arbeiten häufiger in Branchen und Berufen, die geringer vergütet werden, sie arbeiten häufiger in Teilzeit und erreichen seltener Führungspositionen. Seit 2016 hat sich der Gender Pay Gap in der breiten Industrie leicht verringert. Laut Bundesregierung soll er bis 2030 auf 10% (unbereinigt) reduziert werden. Woher kommt der große Gender Pay Gap in der Finanzbranche?
Nur wenig Chancen
Auf den ersten Blick sind die Geschlechterverhältnisse in den Instituten ausgeglichen, sie beschäftigen ungefähr ebenso viele Frauen wie Männer, wie der Financial Services Survey von Willis Towers Watson zeigt, der 2021 die Daten von fast 160 Unternehmen in der Finanzbranche und von fast 140 000 Mitarbeitern umfasst. Allerdings haben Frauen offenbar nur wenig Chancen, ins obere Management vorzustoßen. In den unteren Hierarchieebenen sind Frauen sogar in der Überzahl: im Kundendienst, in den Callcentern, auf Sachbearbeiterinnen-Ebene. Doch auf den höheren Hierarchieebenen trifft man sie deutlich seltener (siehe Grafik).
Es besteht somit eine deutliche Ungleichverteilung über die unterschiedlichen Hierarchieebenen hinweg. In den Führungspositionen steht in der deutschen Finanzbranche im Schnitt eine Frau drei Männern gegenüber. Auf Funktionen ab der mittleren Führungsebene und höher, beispielsweise ab einer Abteilungsleiterfunktion, stehen laut dem Financial Services Survey circa 80% Männer rund 20% Frauen gegenüber. Dies ist nicht nur der Fall auf vertikaler Ebene, sondern auch horizontal gesehen. Betrachtet man unterschiedliche Funktionen auf gleicher Hierarchieebene, zeigt sich, dass der Frauenanteil häufig deutlich geringer in den Funktionen ist, die grundsätzlich eine höhere Gesamtvergütung ausschreiben. So sind Frauen häufiger in klassischen Querschnittsfunktionen (wie etwa HR oder Finance) vertreten als beispielsweise im Corporate Banking. Wenn also der unbereinigte Gender Pay Gap nicht nur in der Finanzbranche verkleinert werden soll, geht es nicht nur um gleiche Bezahlung („Equal Pay“), sondern vielmehr auch um das Thema Chancengleichheit („Fair Pay“). Konkret heißt dies, dass die Geschlechterverteilung nicht nur im Gesamtunternehmen, sondern auch auf allen Hierarchieebenen ausgewogener werden muss. Unternehmen benötigen hierfür HR-Prozesse, die sicherstellen, dass Fair Pay umgesetzt werden kann, – von der Stellenausschreibung und dem Einstellungsprozess über Beförderungen und Weiterqualifizierungsmaßnahmen, kurz: in fast allen Phasen des Employee Life Cycles. Das Thema Vergütung ist somit nur eine Dimension, die auf das Thema Fair Pay einzahlt.
Die Messlatte liegt hoch
Es gibt zwei wesentliche Einflussfaktoren, die das Thema Fair Pay aktuell treiben. Zum einen sind das die regulatorischen Vorgaben, zum anderen sind das die Erwartungen der Öffentlichkeit. Beispielsweise fordert die neue Fassung der Institutsvergütungsverordnung (IVV) vom September 2021, dass Vergütungspolitik geschlechtsneutral umgesetzt werden muss, genauer: dass eine angemessene Ausgestaltung der Vergütungssysteme eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts ausschließt (IVV in § 5 Abs. 1 Nr. 6 IVV).
Diese wenig konkrete Vorgabe wird wohl allein noch keine wesentlichen Veränderungen bewirken, sollte Finanzinstitute jedoch nicht dazu verleiten, das Thema auf die lange Bank zu schieben. Aktuell zeichnet sich bereits ab, dass künftig branchenübergreifend sehr viel konkretere und deutlich höhere Anforderungen gelten werden. So fordert die Europäische Kommission im Entwurf der neuen Direktive „EU Pay Transparency“ auf europäischer Ebene einen fairen Umgang mit Vergütung und Chancengleichheit. Die Mitgliedstaaten werden nach Inkrafttreten der Direktive – voraussichtlich im Jahr 2022 – zwei Jahre Zeit haben, diese in ihre nationale Gesetzgebung zu integrieren.
Transparenz ist gefordert
Im Einzelnen fordert die EU-Direktive unter anderem Vergütungstransparenz für Jobsuchende: Arbeitgeber müssen Informationen zum Einstiegsgehalt oder zur Vergütungsspanne im Rahmen der Stellenausschreibung oder des Vorstellungsgesprächs offenlegen. Arbeitgebern ist es nicht gestattet, nach der Verdiensthistorie der Vorstellungskandidaten oder Mitarbeitenden zu fragen. Hinzu kommt ein Auskunftsrecht für Mitarbeitende: Mitarbeiter haben ein Recht auf Auskunft hinsichtlich ihres eigenen Gehalts und des durchschnittlichen Gehalts einer entsprechenden Vergleichsgruppe, unterteilt nach Geschlecht, den Mitarbeitenden in einer ähnlichen Tätigkeit oder nach den Tätigkeiten mit ähnlichem Verdienst. Das Gender Pay Gap ist offenzulegen: Arbeitgeber mit mindestens 250 Angestellten müssen Informationen zum Gender Pay Gap zwischen Frauen und Männern geben. Für interne Zwecke sollte ebenfalls stets das Gender Pay Gap zwischen Männern und Frauen in gleichen Tätigkeiten oder Tätigkeiten von ähnlicher Wertigkeit analysiert werden. Maßnahmen zur Beseitigung: Bei einem Gender Pay Gap ab 5%, das nicht objektiv und geschlechtsneutral zu begründen ist, muss der Arbeitgeber eine Analyse und Gutachten gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern durchführen. Werden diese Anforderungen nicht eingehalten, sollen Mitarbeitende der EU-Direktive nach den vollen Ausgleich ihres Gehalts und die Offenlegung der Unterschiede fordern können. Dem Arbeitgeber drohen sogar Strafzahlungen; er trägt zudem grundsätzlich die Beweislast.
Besser jetzt als gleich
Neben den gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen ändert sich zunehmend auch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit. So schauen beispielsweise auch Investoren genauer auf das Thema Fair Pay. Was also sollten Finanzinstitute jetzt tun? Zunächst gilt es, Transparenz zu schaffen, die Ist-Situation genau zu analysieren und klare Ziele zu definieren. In vielen Unternehmen dürften auch systemseitige und prozessuale Anpassungen notwendig sein, etwa in der Job-Architektur, der Karrierelandschaft oder im Einstellungs- bzw. Beförderungsprozess. Es gilt also, einen in einigen Instituten tiefgreifenden Wandel zu initiieren, – und mit Blick auf den Umfang der Anpassungserfordernisse und den Zeithorizont bis zur Implementierung der EU-Direktive gilt: besser jetzt als gleich.