CEOs der Finanzbranche drängen Deutschland aus der Komfortzone
CEOs drängen Deutschland aus der Komfortzone
Leithner fordert „Agenda 2030 mit Kapitalmarktfokus“ – Nicht auf Brüssel warten
wbr Frankfurt
Der deutsche Aktienmarkt hat zuletzt an internationaler Anziehungskraft gewonnen. Für Deutsche-Börse-CEO Stephan Leithner gilt es nun, daran anzuknüpfen. Eine „Agenda 2030 mit Kapitalmarktfokus“ hat er auf dem Euro Finance Summit am Montag als alternativlos bezeichnet. Die Finanzierungsbedarfe seien immens. Ohne leistungsfähigen Kapitalmarkt ließen sich die Aufgaben nicht bewältigen. Dabei gehe es vor allem um heimisches Kapital: „Wir brauchen eine Equity Story für deutsche Anleger – Retail, institutionell, gewerkschaftlich.“ Vertrauen und Zugang müssten gestärkt, Barrieren gesenkt werden. Leithner erklärte, man dürfe nicht auf Brüssel warten.
„Win-Win-Situation“ in Europa
„Deutschland kann nicht auf die Vollendung der Kapitalmarktunion warten – wir müssen auch national handeln“, pflichtet Matthias Voelkel, Vorstandsvorsitzender der Börse Stuttgart, seinem Wettbewerber Leithner bei. Souâd Benkredda, im Vorstand der DZ Bank für das Kapitalmarktgeschäft zuständig, setzt auf eine europäische Perspektive: „Wenn wir es in Europa schaffen, mehr Kapital aufzubauen – vor allem auch in Europa selbst –, ist das eine Win-Win-Situation.“
Eine wachsende Offenheit internationaler Investoren beobachtet Lutz Diederichs, CEO von BNP Paribas Deutschland: „Deutschland als Investitionsstandort wird wiederentdeckt.“ Doch dieser Trend sei kein Selbstläufer. Diederichs benennt die nötigen Voraussetzungen: größere Rechts- und Planungssicherheit, weniger föderale Hürden und eine klare wirtschaftspolitische Kommunikation. „Frankreich ist uns da voraus“, so Diederichs – dort werde aktiv um Investitionen geworben.
Stefan Wintels, Chef der KfW, sieht ebenfalls einen Kipppunkt. Er spricht von einem „entscheidenden Wirtschaftsfaktor“: der neuen Stimmung im Land. Diese sei positiv – und genau deshalb müsse sie politisch genutzt werden. „Deutschland braucht eine Macherkultur“, sagt Wintels.
Deutscher Kapitalmarkt nicht attraktiv genug
Die Notwendigkeit einer grundlegend neuen Herangehensweise unterstreicht Eddy Henning, Vorstandsmitglied der ING Deutschland. Deutschland stehe vor einer „anderen Form von Industrialisierung“, in der Geschwindigkeit, Technologieoffenheit und Kapitalverfügbarkeit entscheidend seien. Doch der deutsche Kapitalmarkt sei derzeit nicht attraktiv genug – „nicht tief genug, nicht mutig genug“. Der Finanzplatz, so seine Diagnose, sei eine ungenutzte Ressource.
„Deutschland braucht wieder eine echte Wachstumsvision – und die muss auch die Kapitalmarktstruktur betreffen“, befindet Voelkel. Es brauche eine nationale Dynamik, die nicht auf europäische Prozesse wartet, sondern selbst den Takt vorgibt.
Artikel Seite 4