Das Kapitalpuffersystem für die Banken muss reformiert werden
Das Kapitalpuffersystem für die Banken muss reformiert werden
Gastbeitrag
Das Kapitalpuffersystem für die Banken muss reformiert werden
Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands
„Banken sind zu stark reguliert“. Mit dieser klaren Einschätzung hat Kanzler Friedrich Merz viele überrascht. Zugleich stand die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzsektors im Mittelpunkt der Diskussionen bei der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington. Die Fakten sind klar: Nach zwei Jahren mit schrumpfendem Bruttoinlandsprodukt (BIP) tritt die Wirtschaft in Deutschland auch 2025 nur auf der Stelle. Wachstumsimpulse sind dringend nötig – und zwar über die staatlichen Investitionen aus dem Infrastrukturpaket hinaus. Entscheidend wird sein, dass privates Kapital wieder stärker investiert wird.
Prinzip läuft ins Leere
Ein wichtiger Hebel könnten hier Änderungen bei der Regulierung des Bankensektors sein, genauer gesagt: beim antizyklischen Kapitalpuffer. Der Puffer – ein zentrales Instrument der makroprudenziellen Aufsicht – wurde Anfang 2022 auf 0,75% festgesetzt und seither nicht verändert. Die Grundidee ist richtig und sinnvoll: In Zeiten übermäßigen Kreditwachstums sollen Banken zusätzliches Kapital aufbauen, um in wirtschaftlichen Schwächephasen Verluste abfedern zu können. Damit wird verhindert, dass eine Kreditklemme entsteht.
Von einem „übermäßigen Kreditwachstum“ ist Deutschland derzeit jedoch weit entfernt – im Gegenteil. Das Kreditvolumen stagniert; die Nachfrage nach Investitionsfinanzierungen bleibt schwach. Entsprechend ist die sogenannte Kredit-BIP-Lücke, die als zentraler Maßstab für die Pufferhöhe dient, seit mehreren Quartalen negativ.
Wenn die schwache Wachstumsdynamik als Begründung für die Beibehaltung des Puffers angeführt wird, läuft das Prinzip des antizyklischen Kapitalpuffers ins Leere. Das Instrument wird seiner eigentlichen Logik beraubt. Denn die wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten sind kein hinreichender Grund, Banken weiter mit Kapitalauflagen zu belasten. Zumal die Institute in der Breite über solide Kapitalquoten verfügen.
Eine überkomplexe Architektur
Doch es geht um mehr als nur um die angemessene Höhe des Puffers: Die Diskussion weist exemplarisch auf die Schwächen eines über Jahre gewachsenen, hochkomplexen Regulierungsrahmens hin. Die Gesamtkapitalanforderung einer Bank ergibt sich heute aus einer Vielzahl einzelner Bausteine – antizyklischer Puffer, Systemrisikopuffer, Säule-2-Anforderungen, Kapitalerhaltungspuffer und andere. Diese Vorgaben wurden schrittweise eingeführt, ohne dass zuvor eine umfassende Gesamtbewertung ihrer Wirkung und Angemessenheit erfolgt wäre.
Hinzu kommt, dass unterschiedliche nationale und europäische Behörden für die einzelnen Puffer zuständig sind. Dies führt zwangsläufig zu Überschneidungen, Doppelunterlegungen und einem Mangel an Kohärenz. Auch die Bundesbank räumt ein, dass das komplexe Regulierungsumfeld die Evaluierung einzelner Instrumente erheblich erschwert.
Spätestens die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Kapitalpuffer in der Praxis nur eingeschränkt nutzbar sind. Auch als die Aufsichtsbehörden sie teilweise freigaben, blieb die tatsächliche Freisetzung in vielen Instituten gering. Zu groß war die Unsicherheit hinsichtlich regulatorischer Folgen und die Angst vor Reputationsrisiken – ein klarer Hinweis darauf, dass das System derzeit zu starr ist, um in der Krise flexibel zu wirken.
Einfacher ist oft wirksamer
Eine Absenkung oder Aussetzung des antizyklischen Kapitalpuffers wäre daher ein sinnvoller Schritt. Sie würde kurzfristig die Kreditvergabekapazität der Banken stärken – und zugleich den Weg ebnen für eine überfällige strukturelle Reform. Denn die Debatte um die Vereinfachung des Aufsichtsrahmens gewinnt international an Fahrt: Weniger Komplexität, mehr Schlagkraft lautet die Devise.
Im Zentrum sollte künftig eine ganzheitliche Betrachtung der Kapitalanforderungen stehen. Statt einzelne Puffer isoliert zu justieren, ist eine Gesamtbewertung der Kapitalausstattung jedes Instituts notwendig. Wichtig ist auch, dass die Verantwortlichkeiten bei einer zentralen Aufsichtsinstanz gebündelt werden. Dies würde die Abstimmung vereinfachen, Transparenz schaffen und die Zielgenauigkeit der Regulierung erhöhen. Ein solches Umdenken wäre kein Rückschritt hinsichtlich der Finanzstabilität, sondern ein Schritt hin zu mehr Wirksamkeit. Denn stabile Banken entstehen nicht durch immer neue Puffer, sondern durch ein klar strukturiertes, verständliches Regelwerk, das in Krisen funktioniert und in Wachstumsphasen nicht bremst.
Die Aufsicht hat sich im Mai 2025 bereit zu Anpassungen gezeigt: Mit der Absenkung des sektoralen Systemrisikopuffers für Wohnimmobilienfinanzierungen von 2% auf 1% reagierte sie auf die konjunkturelle Abschwächung. Eine Aussetzung des antizyklischen Kapitalpuffers wäre das nächste konsequente Signal. Gleichzeitig sollte die Reform des gesamten Puffersystems energisch vorangetrieben werden. Ziel muss ein schlankes, transparentes und konsistentes Regelwerk sein, das Stabilität sichert, aber auch Kreditvergabe und Wachstum ermöglicht.
Gerade in einer Zeit schwacher Konjunktur darf Regulierung nicht zum Wachstumshemmnis werden. Ein einfacheres, klareres System von Kapitalpuffern würde nicht nur die Banken entlasten, sondern wäre auch ein wichtiges Signal für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Weniger Komplexität bedeutet mehr Wachstum – und damit mehr Zukunft.