Gastbeitrag

Zweite Fintech-Generation geht neue Wege

Während die Fintechs der ersten Stunde vor allem Wachstum anstrebten, agieren die neuen Firmen in reiferen Märkten.

Zweite Fintech-Generation geht neue Wege

Zweite Fintech-Generation geht neue Wege

Lena Hackelöer

CEO und Gründerin des schwedischen Fintechs Brite Payments

Die FinTech-Branche hatte über Jahre ideale Bedingungen: Etwa den Siegeszug des E-Commerce oder die Digitalisierung mit Innovationen wie Smartphones, Onlinebanking und neuen Bezahlmethoden. Auf diesen neuen Markt drängten viele Player mit einem klaren Fokus: Wachstum. Doch hat sich diese Zeit mit der Wirtschaftskrise geändert. Der Ansatz, möglichst schnelles Wachstum zu priorisieren und die nachhaltige Entwicklung dabei hinten anzustellen, scheint passé. Seit einigen Jahren wächst eine zweite Generation von Fintechs heran, die neue Wege geht. Oft gegründet von Veteranen der Branche, nutzen die „jungen Wilden” die Lektionen aus der Anfangszeit, um sich der neuen Realität anzupassen.

Oft waren größere Finanzierungsrunden nötig, die mit hohen Investoren-Ansprüchen einhergingen. Deshalb priorisierte die Branche oft das Wachstum. Die Pandemie stärkte den Trend, denn Kapital war günstig. Digitale Geschäftsmodelle, wie digitale Fitnesskurse oder Online-Supermärkte, erlebten einen Boom, der auch Payment-Anbietern entgegenkam. Doch die Zeiten haben sich geändert. Der Ukraine-Krieg prägte die Inflation mit Folgen für jeden Wirtschaftsbereich. In diesen Zeiten überdachten einige Investoren ihre Einstellung zu Fintechs.

Die Neuen sind dran

Doch bereits vor diesen Krisen begann ein Paradigmenwechsel. Es entstand eine neue Generation, die aufbauend auf den Errungenschaften und den Ideen der ersten Welle, die Erfolgsgeschichte nicht als beendet sehen, sondern neue Kapitel schreiben möchte. Dabei agiert sie mit Besonnenheit, will sich strategisch entwickeln und eine klare Vision verfolgen. Auch sie strebt natürlich Wachstum an, aber: Zum wirklichen Erfolg gehören auch Weitsicht und ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Sie läutet mit diesem Prinzip eine neue Ära ein.

Dazu gehören nicht nur Newcomer in der Branche. Viele Unternehmen sind von ehemaligen Fintech-Mitarbeitern gegründet worden. Dabei haben sie fünf Lektionen mitgenommen, die Fintechs der zweiten Generation anders machen:

Erstens: Wachstum ist nicht mehr die einzig relevante Kennzahl in der Gründerszene. Markt und Investoren benötigen den Nachweis, dass das Geschäftsmodell wirtschaftlich auf soliden Beinen steht – von Anfang an. Das Unternehmen soll in einem festen Rahmen wachsen; zu schnelles Wachstum kann negative Folgen mit sich bringen, worunter die Profitabilität leidet. Die neue Generation wählt einen nachhaltigeren Ansatz.

An Reife gewonnen

Zweitens: Die Dynamik im Markt hat sich verändert. Früher profitierten Fintechs von einigen Entwicklungen, vor allem vom Trend zum Online-Shopping. Sie sind in einem Umfeld gewachsen, in dem sich das Konsumverhalten von Endkunden grundlegend verändert hat. Diese Veränderungen gaben Rückenwind. Die zweite Generation findet einen deutlich reiferen Markt vor. Wer in diesem Markt, der nicht mehr so organisch und schnell wächst, Kunden im B2B-Segment gewinnen will, muss daher wesentlich effizienter agieren.

Drittens: Technologie an sich ist kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Für viele Fintechs der ersten Generation stellte sich nicht die Frage, ob sie ihre Lösung erst entwickeln oder ob sie sich Technologien einkaufen. Alles musste neu gebaut werden. Nun ist das Zeitalter der „Out-of-the-box“-Technologien eingetreten, weshalb die zweite Generation ihr Geschäft wesentlich schneller skalieren muss. Dabei müssen sie vorsichtig agieren: Einige technologische Grundbestandteile sind weit verfügbar und so könnten sich konkurrierende Marktteilnehmern theoretisch ähnlich konzipierte Lösungen „zusammenkaufen“. Ein Alleinstellungsmerkmal zu bilden, wird schwieriger. Deswegen fokussieren sich die neuen FinTechs weniger auf grundlegende Elemente und Zahlarten, die bereits im Markt verbreitet sind. Und stattdessen auf Lösungen, die potenziellen Kunden einen echten Mehrwert am Markt bieten.

Viertens: Die zweite Generation kann wichtige Schlüsse aus der Entwicklung der Geschäftsmodelle ihrer Vorgänger ziehen, welche Schritte sich für die nächsten Jahre lohnen. Fintechs der ersten Generation mussten in einem vollkommen neuen Markt agieren und passten oftmals ihre Strategie an. So vollzogen einige B2B-Dienstleister den Schritt zur B2C-Konsumenten-Marke. Mit der Vogelperspektive auf die Entwicklung anderer Unternehmen lässt sich erkennen, wie Wachstums- und Erfolgspfade sich auf verschiedene Art und Weise äußern. Mit diesen Vorbildern ist es für Neulinge einfacher, eine klare Vision für die Zukunft zu skizzieren und mit diesen Blaupausen Investoren anzusprechen.

Fünftens: Da sich die Fintech-Branche erst entwickeln und Wissen generiert werden musste, operiert die zweite Generation auch auf einem gänzlich anderen Arbeitsmarkt. Es ist möglich, ausgebildete Fachkräfte, auch auf Senior-Level und spezifische Skillsets zu suchen und zu finden, was vor zehn Jahren noch nicht der Fall war. Es ist heute um einiges deutlicher definiert, welche Rollen und Stellen es braucht. Deswegen können sich die neuen Fintechs darauf konzentrieren, eine stabile Unternehmenskultur aufzubauen und ihr Personal langfristig zu binden – und damit auch ihr Wissen. Dieses Wissen des Personals und der Gründer kombiniert mit den Vorteilen ihres Geschäfts ermöglicht ein stabiles Umfeld.

Große Geschwister schauen zu

Die Fintech-Branche befindet sich aktuell in einem Umbruch. Mit den Unternehmen der zweiten Generation entstehen womöglich nicht die schillernden Marken, die sich in den letzten zehn Jahren etabliert haben, aber dennoch spannende Player, die zwischen dem großen Fintech-Wirrwarr mit einem anderen Ansatz zum Erfolg kommen wollen. Und es sind bereits die ersten Anzeichen dafür da, dass auch die großen Geschwister auf die neuen Wege der neuen Generation schauen.