Im Gespräch: Gerold Grasshoff

Konflikt zwischen Autokratie und Demokratie prägt Risiken von Banken

Geopolitische Konflikte stellen nach Ansicht von Risikomanager Gerold Grasshoff eine der größten Herausforderungen für die Finanzindustrie dar.

Konflikt zwischen Autokratie und Demokratie prägt Risiken von Banken

Im Gespräch: Gerold Grasshoff

Geopolitik rückt in den Mittelpunkt

FIRM-Chef mahnt Banken, sich auf eine schärfere Auseinandersetzung zwischen Demokratien und Autokratien einzustellen

Von Tobias Fischer, Frankfurt

In einer immer unübersichtlicheren Welt nehmen die nichtfinanziellen Risiken für Finanzinstitute zu. Als die vier größten Herausforderungen bezeichnet Gerold Grasshoff, CEO des Frankfurter Instituts für Risikomanagement und Regulierung (FIRM), die geopolitische Entwicklung, Nachhaltigkeits- sowie Cyberrisiken und schließlich Reputationsrisiken im Zusammenhang mit Desinformation. „Nicht neu, aber deutlich stärker in den Blickpunkt gerückt sind geopolitische Themen, insbesondere China, Russland und den Iran betreffend“, sagt Grasshoff im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Nicht neu, aber deutlich stärker in den Blickpunkt gerückt sind geopolitische Themen, insbesondere China, Russland und den Iran betreffend.

Gerold Grasshoff, CEO von FIRM

Das bedeute keineswegs, dass beispielsweise Kredit- und Zinsrisiken nicht mehr relevant seien. Doch die Methoden, solche finanziellen Risiken zu definieren, zu messen und zu quantifizieren, seien weiter entwickelt als im Falle der nichtfinanziellen Risiken. Auch was die Abwehr von Geldwäsche und Verhinderung von Sanktionsumgehung angeht, seien die Banken mittlerweile sehr weit gediehen.

Hohe Strafen wegen Sanktionsumgehung

Zwar beschäftigten die Gefahren, die von nichtfinanziellen Risiken ausgehen, die Banken schon über einen längeren Zeitraum, doch nehme ihre Bedeutung weiter zu, sagt Grasshoff. „Die Schadensfälle, die Finanzinstitute in den vergangenen zehn Jahren zu bewältigen hatten, spielten sich vor allem im Bereich der nichtfinanziellen Risiken ab: Geldwäsche, Sanktionsumgehung und den erheblichen Strafen, die damit verbunden sind.“

China, Russland, Iran

Hinzu kämen nun unter anderem geopolitische Risiken, die etwa das Kreditgeschäft von Banken prägten. Die Spannungen zwischen China und den USA, Pekings Drohungen gegen Taiwan, der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der durch das Massaker der Hamas an Israelis ausgelöste Gaza-Krieg und die iranische Unterstützung etwa der Terrororganisationen Hamas und Hisbollah: All das könne als Teil einer globalen Auseinandersetzung zwischen Demokratien und Autokratien betrachtet werden.

Szenarien durchspielen

„International agierende Institute sollten sich damit auseinandersetzen, dass der Konflikt zwischen autokratischen und freiheitlich-demokratischen Systemen weitergeht und sich leider verschärfen kann“, mahnt Grasshoff. „Das muss durchdacht werden und in Szenarien abgebildet werden. Denn die Implikationen können erheblich sein.“ Solche Fragen werden seiner Erfahrung nach bereits in Banken diskutiert, und zwar nicht nur in international tätigen, sondern auch in auf Deutschland ausgerichteten Instituten, die exportorientierte Unternehmen zu ihren Kunden zählen.

International agierende Institute sollten sich damit auseinandersetzen, dass der Konflikt zwischen autokratischen und freiheitlich-demokratischen Systemen weitergeht und sich leider verschärfen kann.

Gerold Grasshoff, CEO von FIRM

Der FIRM-CEO spricht auch eine mögliche Entkoppelung der Wirtschaftsräume an, ein Decoupling, auf das es sich schlimmstenfalls vorzubereiten gelte. „Niemand wünscht sich eine Konfrontation mit autoritären Systemen, aber sie ist nicht auszuschließen, wie Russlands Angriff auf die Ukraine zeigt. Man kann nicht ausschließen, dass es zum Decoupling kommt, so wie in der Systemauseinandersetzung bis 1989. Das Thema ist leider zurück.“

USA stellen ESG im Zweifel hintan

Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte (ESG) seien im Risikomanagement ein Stück weit von geopolitischen Reflexionen verdrängt worden, beobachtet Grasshoff. So hätten die USA deutlich gemacht, Nachhaltigkeitskriterien hintanzustellen, sollte die Wettbewerbsfähigkeit darunter leiden. Die Prioritäten lägen dann angesichts des Systemwettstreits mit China woanders.

Grün via Regulierung

Grasshoff begrüßt es, externe Effekte internalisieren zu wollen, also etwa die Kosten der Umweltverschmutzung zu bepreisen. Die Frage, wie dies gelingen kann, werde aber nicht allerorten so beantwortet wie hierzulande. Deutschland und Europa hätten sich entschieden, den Weg über die Regulierung zu gehen, um die Banken verstärkt jene Sektoren finanzieren zu lassen, die klimafreundlicher wirtschaften, und andere Sektoren entsprechend weniger.

Die EZB habe Banken zu „Change Agents“ ernannt, die Veränderungen in der Finanzierung der Wirtschaft herbeiführen, bis sie CO2-neutral sei. „Das kann man so machen“, sagt Grasshoff. „Die Frage ist, wie erfolgreich es ist angesichts der Tatsache, dass nur 5% der Unternehmen über einen Transformationsplan verfügen und dass uns nur 50% der Emissionsdaten verlässlich vorliegen.“

Innovation und Ingenieurskunst

Ob der regulierungsbasierte Ansatz in Europa zu einer Lösung des Problems führe, sei also offen. Die USA verfolgten einen anderen Ansatz. Die Amerikaner setzten auf Innovation und Ingenieursfähigkeiten wie Carbon Capturing, das CO2 aus der Atmosphäre zieht. „Das subventionieren sie und hoffen, dass es die Wahrscheinlichkeit der Innovation und schließlich Durchsetzung am Markt fördert“, erläutert Grasshoff.

Debatte aufs Klima verengt

In jedem Fall komme die Internalisierung von externen Effekten einer Mammutaufgabe gleich. Über Mittel und Lösungswege müsse offen und ideologiefrei debattiert werden, mahnt der FIRM-Vorstandschef, der zudem eine Verengung des Themas ESG auf Klima, Erderwärmung und menschengemachte CO2-Emissionen beklagt. Das berge zum einen das Risiko, Lösungsansätze außer Acht zu lassen, zum anderen, sich bei Missachtung von Vorschriften Reputationsrisiken einzuhandeln.

Meine Empfehlung ist, in Sachen ESG einen gesamtheitlichen Ansatz zu verfolgen, anstatt das Thema auf eine reine CO2-Debatte zu verengen.

Gerold Grasshoff, CEO von FIRM

„Meine Empfehlung ist, in Sachen ESG einen gesamtheitlichen Ansatz zu verfolgen, anstatt das Thema auf eine reine CO2-Debatte zu verengen, die Regulierung langsam zu implementieren und sehr genau hinzuschauen, wie sich Dinge verändern können“, schlägt Grasshoff vor. Überdies müsse eine fortlaufende Debatte darüber geführt werden, was der beste Weg zur Wahrung der Biodiversität sei. „Andere Aspekte wie soziale Sicherheit oder Energieversorgung dürfen wir dabei nicht ignorieren“, gibt er zu bedenken.

Manipulation von Meinungen

Abgesehen von den Topthemen Geopolitik, Nachhaltigkeit und stetig steigenden Cyberrisiken treibt Risikomanager zunehmend die Gefahr durch Desinformation um. Wie mit falschen oder irreführenden Texten und Tonaufnahmen, Bildern und Videos umzugehen sei, ist nach Ansicht Grasshoffs auch eine gesellschaftliche Aufgabe, da demokratische Meinungsbildungsprozesse manipuliert würden. „Wenn eine Mehrheitsmeinung sehr schnell entsteht und es nur eine scheinbare ist, weil die Debatte durch Desinformation verkürzt wurde oder nicht stattgefunden hat, dann sind demokratische Strukturen anfällig. Es wäre naiv zu glauben, dass genau das auch in autokratischen Systemen nicht reflektiert würde“, warnt er.

Gefährliche Desinformation

Desinformation könne Wahrnehmungen produzieren, die es so gar nicht gebe oder die nicht relevant seien. Und wie gerade Soziale Medien nationale Debatten überlagerten, werde noch nicht ausreichend verstanden. „Das ist hochgefährlich für Unternehmen wie ganze Gesellschaften“, warnt Grasshoff. Mit Fragen wie diesen setzten sich die Mitglieder des Netzwerks FIRM auseinander, berichtet er, doch stehe man noch ganz am Anfang, Fake News und daraus resultierende Reputationsrisiken zu ergründen.

Laut Global Risks Report 2024 des World Economic Forum sind von künstlicher Intelligenz generierte Fehl- und Desinformation im mehrheitlichen Urteil von mehr als 1.400 befragten Risikospezialisten, Politikern und Managern das größte kurzfristige Risiko. Der Bericht wurde vergangene Woche vorgelegt.

Wachstum und Risikomanagement

Darüber hinaus werde sich FIRM dieses Jahr der Aufgabe widmen, die gesellschaftliche Relevanz von Risikomanagement erklärbar zu machen. „Es ist der Versuch, Rendite und Wachstum um das Thema Risiko zu ergänzen, um letztlich eine längerfristige, nachhaltigere Wertschöpfung zu schaffen. Unternehmen können nicht profitabel wachsen, wenn kein Bewusstsein darüber besteht, welche Risiken eingegangen werden.“


Zur Person
Gerold Grasshoff ist Managing Director und Senior Partner der Boston Consulting Group (BCG) sowie Vorstandsvorsitzender des Frankfurter Instituts für Risikomanagement und Regulierung (FIRM). Dem 2009 gegründeten Netzwerk gehören mehrere Dutzend Institutionen an, darunter Kreditinstitute und Finanzdienstleister, Unternehmensberatungen und Verbände, Deutsche Börse, BaFin, das Land Hessen und das House of Finance der Goethe-Universität. Die Geschäftsführung von FIRM hat Esther Baumann inne. Bei BCG leitet Grasshoff die Risk Task Force und die globale Arbeit im Risikomanagement in Finanzinstituten. Er stieß 1997 zu der Beratungsgesellschaft.


Geopolitische Konflikte stellen nach Ansicht von Risikomanager Gerold Grasshoff eine der größten Herausforderungen für die Finanzindustrie dar. Banken sollten sich auf verschärfte Spannungen zwischen Demokratien und Autokratien sowie zunehmende Gefahren durch Desinformation einstellen.

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