PERSONEN

Gericht fährt Funke in die Parade

Von Michael Flämig, München Börsen-Zeitung, 4.4.2017 Es ist der Tag des Gerichts im Prozess gegen den früheren HRE-Chef Georg Funke und seinen Finanzvorstand Markus Fell. An den ersten beiden Verhandlungstagen hatten die Angeklagten die zuvor...

Gericht fährt Funke in die Parade

Von Michael Flämig, MünchenEs ist der Tag des Gerichts im Prozess gegen den früheren HRE-Chef Georg Funke und seinen Finanzvorstand Markus Fell. An den ersten beiden Verhandlungstagen hatten die Angeklagten die zuvor verlesene Anklage teils sehr ausführlich zurückgewiesen, nun muss erstmals die Richterin Petra Wittmann öffentlich aktiv werden. Sie tut es mit Hunderten Fragen in einer sechsstündigen Verhandlung – und einer Botschaft an Funke: So geht es nicht weiter.Was war passiert? Der angeklagte Ex-CEO leistete sich samt seinen Anwälten zum dritten Mal in nur drei Verhandlungstagen den Luxus, zu spät zu erscheinen und damit die Richter warten zu lassen. “Wir sind selbst pünktlich und erwarten auch von Ihnen eine gewisse Pünktlichkeit”, hält Wittmann Funke nach der Mittagspause entgegen – zumal sie zuvor gefragt hatte, ob die Pause ausreiche. Es sei 13.15 Uhr ausgemacht worden, nun sei es 13.30 Uhr, ärgert sich Wittmann.Im Saal B275 des Strafjustizzentrums geht es aber auch inhaltlich zur Sache. Das Gericht hält Funke und Fell, die vor allem wegen unrichtiger Angaben im HRE-Geschäftsbericht 2007 und im Halbjahresbericht 2008 angeklagt sind, immer wieder Passagen interner HRE-Dokumente vor, die die Liquiditätslage der Immobilienbank in der Finanzkrise wesentlich skeptischer beurteilen als die Finanzmarkt-Berichterstattung. Es falle auf, dass in den Protokollen sehr häufig die Vokabeln “angespannt” und “kritisch” auftauchten, während im Geschäftsbericht von einer stabilen Liquiditätslage die Rede sei, stellen die Richterinnen fest. Die Protokolle verwendeten sehr unterschiedliche Vokabeln für die Lage, halten die Anwälte dagegen. Es sei fraglich, ob es intern eine Konsistenz der Aussagen gebe. Liquidität als offene Flanke?Doch Wittmann lässt nicht locker. Sie zitiert aus einer Mail vom 19. März 2008, in der Funke erklärt, es seien “Funding und Liquidität unsere größte offene Flanke”. Man müsse eine Vollbremsung machen. Das höre sich doch schon sehr dramatisch an, kommentiert die Richterin: nicht nach einer kleinen Krise in der Liquidität, sondern nach größeren Schwierigkeiten. Ihre Frage: “Warum steht davon im Geschäftsbericht nichts drin?” Dieser sei schließlich nur sechs Tage später erschienen.Die Vollbremsung, entgegnet Funke, sei nur ein vorübergehender Rückzug aus dem Neugeschäft gewesen. Weil dieses erst Monate später auf die Bücher komme, habe man nur eine spätere Verschärfung der Liquiditätslage vermeiden wollen. Außerdem hätten sich Aussagen nur auf das Immobiliengeschäft und nicht auf die Gruppe bezogen.Wittmann lässt dies zumindest nicht ohne Weiteres gelten: Immobilien machten immerhin die Hälfte der Gruppe aus. Fell wehrt die Vorhaltungen dagegen mit dem Hinweis ab, die HRE habe ja Maßnahmen ergriffen, um gegenzusteuern. Genau dadurch habe vermieden werden sollen, dass in der Zukunft ein kritischer Zustand auftrete.Es prallen an diesem Tag zwei Welten aufeinander. Mit einem Fragemarathon versuchen die Richterinnen, die ihre Fragen im Wechselspiel stellen und die Akten erkennbar extrem gut studiert haben, die Welt der HRE in den Jahren 2007/2008 zu erfassen. Der Katalog ist vielseitig, wie schon ein kleiner Ausschnitt zeigt: Wer hat welche Funktionen, wer hat die Protokolle erstellt, wer ist verantwortlich für welche Zahlen im Geschäftsbericht, wie wurde der Bericht als Ganzes abgesegnet, warum haben die Managementberater von Oliver Wyman dem Ressort Risiko zur Seite gestanden, wer waren die externen Kommunikationsberater und welche Rolle hatte KPMG gespielt? Die Sache mit der ErinnerungIm Verlauf des Tages lassen die Angeklagten in ihren Antwortrunden immer häufiger die Formel fallen, sie hätten die abgefragten Sachverhalte in ihren Stellungnahmen ja schon erklärt. Fell, der übrigens immer überpünktlich im Gerichtssaal erscheint, pariert die Fragen präzise und hält sich kurz. Er ist nicht nur inhaltlich gut vorbereitet, sondern weiß auch zu unterscheiden zwischen einer Erinnerung aufgrund des Aktenstudiums und einer freien Erinnerung (die ausschließlich juristisch relevant ist).Funke erklärt dagegen schon mal, er habe an eine Mail keine Erinnerung – aber er könne erklären, was er sonst zu der Sache in Erinnerung habe. Als Wittmann nach vier Minuten Monolog dazwischen geht, hebt Funke – der gerne die Formel “ehrlicherweise” in seine Antworten einfließen lässt – den Finger und fragt: “Darf ich hier vielleicht noch eine Ausführung machen?” Er darf und spricht nochmals drei Minuten. Wenig später fängt er sich von Richterin Wittmann den Hinweis: “Das haben Sie uns schon wiederholt erzählt.” Staatsanwalt wehrt sichDie Angriffe von Funke am zweiten Verhandlungstag lässt die Staatsanwaltschaft nicht auf sich sitzen. “Dies kann nicht unwidersprochen bleiben”, betont Stephan Necknig, der federführend für die Anklage ist und bisher nur urlaubsbedingt vertreten wurde. Die Ermittlungen seien nicht einseitig zu Lasten der Angeklagten geführt worden, sondern objektiv. Schließlich habe man 90 % der ursprünglichen Tatvorwürfe fallenlassen. Sogar Zahlenirrtümer kann der Ankläger dem Ex-CEO nachweisen. Funke sei nicht, wie von ihm behauptet, nur einmal vernommen worden. Vielmehr habe es drei Vernehmungen gegeben. Zudem müsse ein Konzernlagebericht aus sich heraus verständlich sein, ohne Rückgriff auf den Konzernabschluss.Was bleibt? Das Gefühl nicht nur der Verteidiger, dass Funke und Fell massiv angegangen wurden vom Gericht. Doch als ein Anwalt dies am Nachmittag indirekt anmerkt, hebt Wittmann abwehrend die Hände: “Das soll bitte nicht negativ oder einseitig rüberkommen.” Das Abfragen kritischer Punkte diene ja dem Zweck, zielführend zu arbeiten. Am heutigen Dienstag stehen Zeugenvernehmungen auf dem Programm.