Lockerung von Kapitalvorgaben

Goldman-Präsident Waldron wirbt für Vorteile von Deregulierung

John Waldron, Präsident von Goldman Sachs, sieht gewaltigen privaten Finanzierungsbedarf für Mega-Trends wie KI. Deshalb sei es eine gute Idee, Banken einen lockereren Umgang mit ihrem Kapital zu ermöglichen.

Goldman-Präsident Waldron wirbt für Vorteile von Deregulierung

Goldman-Präsident wirbt für Vorteile von Deregulierung

Aufweichung von Kapitalvorgaben soll Kreditvergabe der Banken ankurbeln – Gewaltiger privater Finanzierungsbedarf von Mega-Trends um KI

xaw New York

An der Wall Street läuft die Debatte um die Aufweichung der Kapitalvorgaben für US-Banken heiß. John Waldron, Präsident und Chief Operating Officer des führenden Investmenthauses Goldman Sachs, pocht auf die Vorteile der Deregulierung. „Banken werden fraglos mit mehr überschüssigem Kapital umgehen müssen, was nach meiner Meinung sehr wertvoll für die Gesamtwirtschaft sein kann“, sagte der Wall-Street-Kopf im Rahmen einer Medienrunde am Donnerstag auf Nachfrage der Börsen-Zeitung.

Nur noch lockere Leitlinien

Waldron bezieht sich auf einen kontrovers diskutierten Vorschlag der Federal Reserve. Die Notenbank gab Ende Juni einen Regulierungsentwurf in die 60-tägige Marktkonsultation, gemäß dem sie die sogenannte Enhanced Supplementary Leverage Ratio (ESLR) lockern will. Die Mindestquote für das Tier-1-Kapital, das Geldhäuser gegen ihre bilanziellen und außerbilanziellen Fremdmittel vorhalten müssen, soll je nach Risikoprofil auf 3,5 bis 4,5% fallen. Bisher gilt ein Standard von 5% für Bankholdings und 6% für Tochtergesellschaften, die Einlagen verwahren. Im Gegensatz zur Kernkapitalquote ist die ESLR nicht risikogewichtet.

Künftig soll die ESLR laut dem für die Überwachung des nationalen Kreditwesens zuständigen Office of the Comptroller of the Currency (OCC) als Puffer dienen. Fallen Banken unter ihr jeweiliges Mindestniveau, werde dies als „Frühwarnsystem“ wirken, aber keine automatischen Beschränkungen für den Umgang mit Kapital mehr nach sich ziehen. Dies soll es Banken zum Beispiel ermöglichen, antizyklisch Kredite zu vergeben.

Sitzung des Fed-Gouverneursrates um Chef Jerome Powell (Mitte) und Michelle Bowman, Vize-Vorsitzende für Bankenaufsicht (links).
Sitzung des Fed-Gouverneursrates um Chef Jerome Powell (Mitte) und Michelle Bowman, Vize-Vorsitzende für Bankenaufsicht (links).
picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mark Schiefelbein

Auch Waldron rechnet sich positive Effekte der geplanten Deregulierung auf die Kreditvergabe und Finanzierungsaktivität aus. Dies sei gerade mit Blick auf den heraufziehenden „Investment-Superzyklus“ bedeutsam. „Um die großen globalen Trends zu finanzieren, braucht es außergewöhnliche Mengen an Kapital“, sagt der COO. Dabei verweist er auf Multimilliarden-Investitionen des Technologiesektors in generative KI und den Bedarf an Chips, Rechenleistung und Energie. Zugleich bänden die Dekarbonisierung, die bei den meisten Regierungen und Unternehmen rund um den Globus noch immer im Fokus stünde, und der Ausbau physischer Infrastruktur auch in den USA enorme Mittel.

Nationalstaaten mit eingeschränkten Möglichkeiten

„Der Großteil der Nationalstaaten kann infolge der Corona-Pandemie aber nur stark eingeschränkt agieren“, betont Waldron. Regierungen hätten die Wirtschaft in Reaktion auf die Krise mit schuldenfinanzierten Fiskalstimuli wiederbelebt und seien nun wohl in deutlich geringerem Umfang in der Lage, Zukunftsfinanzierungen zu stemmen. „Der private Investmentsektor wird viel davon vorantreiben müssen“, führt der Goldman-Präsident, der Gerüchte über Abwerbungsversuche großer Private-Equity-Gesellschaften oder seine Ambitionen auf den CEO-Posten des Wall-Street-Hauses nicht kommentieren will, aus. Banken dürften nach Waldrons Einschätzung den Hauptteil der Finanzierungen tragen. Deshalb sei es „global ein guter Zeitpunkt, Freiräume für Banken zu schaffen, damit sie ihre Kapazitäten zur Kreditvergabe an die Gesamtwirtschaft ausspielen können“.

Die Aufweichung der ESLR soll es Banken ermöglichen, im größeren Stil Treasuries zu zeichnen und den amerikanischen Staatsanleihemarkt zu stützen. Dieser steht wegen Sorgen um die fiskalische Stabilität der USA unter Druck und hat die Fed infolge ihrer Quantitativen Straffung als Ankerinvestor verloren.

Warnung vor größerer Risikofreude

Kritiker warnen allerdings, dass die Institute gelockerte Kapitalvorgaben nutzen würden, um so hohe Mittel wie möglich an ihre Anteilseigner zurückzuführen und die eigenen Aktien aufzupolieren. Führende Institute um Goldman Sachs haben nun kräftige Dividendenerhöhungen verkündet, J.P. Morgan und Morgan Stanley starten zudem zusätzliche Aktienrückkäufe von 50 bzw. 20 Mrd. Dollar. Außerdem erwarten Analysten, dass die Geldhäuser im Streben nach höheren Renditen die Geschäfte in schwach regulierten und intransparenten Marktsegmenten ausbauen. Laut S&P Global vergaben US-Banken 2024 erstmals Kredite von über 1 Bill. Dollar an Intermediäre ohne Einlagengeschäft, um ihre Zinsmargen zu stützen.

Der ehemalige Fed-Vize Michael Barr warnt vor einem Großbankenkollaps.
Der ehemalige Fed-Vize Michael Barr warnt vor einem Großbankenkollaps.
picture alliance / ZUMAPRESS.com | Saul Loeb

Zugleich legen die Geldhäuser etwas mehr als 16 Jahre nach der Finanzkrise wieder im großen Stil strukturierte Finanzprodukte jeglicher Couleur auf: Die Emissionen von Asset-Backed Securities (ABS) haben im vergangenen Jahr mit 335 Mrd. Dollar ein Rekordvolumen erreicht – bei Collateralized Loan Obligations (CLOs), in denen eine Vielzahl an Unternehmenskrediten gepoolt werden, schoss die Begabe mit 201 Mrd. Dollar ebenfalls auf das höchste Niveau jemals. Das Ende der Fahnenstange ist dabei wohl noch nicht erreicht, S&P Global rechnet für 2025 erneut mit Spitzenwerten. 

Großbankenkollaps wird wahrscheinlicher

Zu den Kritikern der ESLR-Aufweichung gehört Michael Barr, der sich als Fed-Vizevorsitzender für Bankenaufsicht für härtere Kapitalvorgaben stark machte, seinen Posten aber kurz nach dem Amtsantritt von Donald Trump abgegeben hat. Nun mahnt er als regulärer Notenbankgouverneur, dass die Lockerung einen Großbankenkollaps wahrscheinlicher mache. Waldron räumt ein, dass der Schub in Richtung Deregulierung – und der größere Spielraum von Banken für den Kapitaleinsatz – „die Saat für eine riskantere Kreditvergabe säen“ könnte. „Ich entscheide mich aber zu glauben, dass ein enormer Bedarf an Finanzierungen besteht und Banken über die vergangenen zehn bis 15 Jahre viel Disziplin gezeigt haben“, sagt der Goldman-COO.

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